Rede im Bundesrat, 11.02.2022

 

„Die Verharmlosung des Holocaust durch Corona-Leugner ist inakzeptabel. Die Europäische Gemeinschaft ist ein Ort der Gleichheit und der Inklusion, eine Wertegemeinschaft, die ihre Werte auch verteidigen muss. Es ist unsere deutsche Verantwortung das jüdische Leben zu fördern,“ so Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff am 11.02. im Bundesrat zum TOP 12 EU-Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus und Förderung jüdischen Lebens.

Hier die komplette Rede:

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass wir uns mit dieser europäischen Strategie gegen Antisemitismus befassen, ist schondeshalb wichtig, weil wir auch in Deutschland dazu neigen, im Umgang mit dem Thema Antisemitismus in eine Form von Ritualisierung zu verfallen, die dem Themenfeld, der Komplexität und vor allem der Aktualität nicht angemessen ist.

Tatsächlich ist diese Aktualität ja eine nicht neue, son-dern bleibende Aktualität, wie auch Herr Strobl in seiner Rede gerade deutlich gemacht hat:Es war eine Situation, in der jüdische Remigranten nach dem Zweiten Weltkrieg in Ost wie in West als Juden um gesellschaftliche Anerkennung kämpfen mussten. Es war der Anschlag der politischen Linken auf die jüdische Gemeinde in Berlin im Jahr 1969. Es waren die 80er-Jahre, in denen ein Schwein durch die Straßen Westberlins getrieben wurde, auf das der Name Heinz Galinski, des damaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, gemalt war. Es war das Jahr 2000, in dem auf die Erfurter Synagoge ein Brandanschlag verübt wurde, bei dem sich die Täter im Bekennerschreiben eindeutig auf Adolf Hitlerbezogen haben. Und so lassen sich eine Vielzahlgroßer und kleiner Vorfälle bis zum Anschlag in Halle und danach aufzählen.

Antisemitismus ist Aktualität. Er war nie weg, er war immer da, und er ist Gegenstand unseres Lebens. Inso-fern ist die Bekämpfung des Antisemitismus ebenso Verpflichtung – jeden Tag, für uns alle. Und wenn in dieser Debatte so oft der Begriff des antisemitischen Ressentiments bemüht wird, dann ist das insofern nicht nur ärgerlich, sondern hochproblematisch, als darin ein systematischer gedanklicher Fehler enthalten ist. Vorurteile beruhen auf Stereotypen, und diese sind wiederum Verallgemeinerung konkreter Erfahrung. Das würde aber heißen, dass es irgendeine konkrete Erfahrung gibt, die Antisemitismus legitimiert – und schon dieser Gedankengang ist falsch.

„Antisemitismus ist“, um mit Theodor Adornozu sprechen, „das Gerücht über den Juden“, das heißt also: ein zur Verschwörungserzählung geronnenes Gerücht. Es ist die Konstruktion dieser Verschwörungserzählung, dieses Gerüchts, dieses Stereotyps, die Jüdinnen und Juden erst zu „dem Juden“ macht. Und es sind drei Punkte des Pseudowissens, wie Adorno und Horkhei-meram Institut für Sozialforschung und in der Kriti-schen Theorie herausgearbeitet haben, die den Antisemitismus von anderen Formen des Rassismus unterscheiden: Das ist erstens die Idee, dass „die Juden“ ein Problem seien, zweitens die Erklärung, sie seien alle gleich, und drittens die Behauptung, dass Jüdinnen und Juden ohne Ausnahme als solche zu erkennen seien. Dieses Bild, diese Stereotypen sind kein Ressentiment, sondern sie sind eine Verschwörungserzählung – eine Verschwörungserzählung, die deshalb das politische Klima vergiftet, weil sie für Jüdinnen und Juden existenzgefährdend ist und weil sie insbesondere in den sozialen Netzwerken als eine Tatsache behauptet wird.

Anklang findet diese Verschwörungserzählung auch deshalb, weil Menschen auf die Zumutungen der Moderne regressiv reagieren: indem sie sich abschotten, indem sie versuchen, Erklärungsmuster zu finden und soziale Konstruktionen herzustellen, die eine Abwehr dieser Zumutungen der Moderne sind. Indem man einen bösen Anderen konstruiert, wird also versucht, so etwas wie Sicherheit zurückzugewinnen. Man muss bei allen Zumutungen sagen, die Moderne ist nicht zurückzudrehen und Gesellschaft ist voller Widersprüche. Die Widersprüche auszuhalten, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, ist die Zumutung, mit der wir alle jeden Tag fertigwerden müssen.

Wenn dann aber von Parteien, die rechtsextrem sind – ob sie nun Mandate im Deutschen Bundestag und in den Landtagen haben oder als außerparlamentarische Rechtsextreme tätig sind –, versucht wird, die zu uns gekommenen Geflüchteten als Sicherheitsrisiko für Jüdinnen und Juden zu stigmatisieren, wird damit unter dem „Kampf gegen den Antisemitismus“ aber ein neues Stereotyp erzeugt, nämlich: Alle Musliminnen und Muslime seien Antisemiten. Wir können, wenn wir heute über den Kampf gegen Antisemitismus sprechen, nur zwei Dinge ganz deutlich machen: Es gibt keinerlei religiöse oder politische Begründung für Antisemitismus, und genauso wenig gibt es eine Begründung dafür, dass einige in unserem Land versuchen, ihr traditionell rechtsextremes Anti-semitismusbild als menschenrechtlich und humanitär zu modernisieren, indem sie Musliminnen und Muslimein unserem Land unter Generalverdacht stellen. Und das erscheint mir in dieser Debatte unglaublich wichtig zu sein.

Die Infragestellung des Existenzrechts Israels ist inakzeptabel, egal wie sie begründet wird. Der Vorsitzende unserer jüdischen Landesgemeinde, Professor Schramm, pflegt eigentlich in jedem seiner Redebeiträge darauf hinzuweisen: Hätte es Israel in den 30er-Jahren bereits gegeben, hätten Jüdinnen und Juden in Deutschland und der Welt gewusst, es gibt ein Land, das ihnen Sicherheit bietet, in das sie kommen können, in dem sie vorurteilsfrei aufgenommen werden und das für ihre Sicherheit sorgt. Mir ist dieser Satz noch einmal in besonderer Weise durch den Kopf gegangen und klargeworden, als ich mit einer Delegation unseres Ausschusses für Europa, Kultur und Medien des Thüringer Landtages in Auschwitz war. Wir sind durch die Ausstellung gegan-gen und mit uns in zeitlicher Parallelität eine Delegation der Israel Defense Forces. Es ist schon schwer erträglich, wenn du diese jungen israelischen Soldatinnen und Sol-daten siehst und aus den Lautsprechern kommen Hetzreden des Nationalsozialismus in deutscher Sprache. Und dann kommst du in den Raum des Buchs der Namen und du siehst Menschen, die halb so alt sind wie ich, die in diesem Buch der Namen die Namen ihrer ermordeten Verwandten – Großeltern, Urgroßeltern – heraussuchen und weinend dort stehen. Da wird einem noch einmal deutlich, was Professor Schramm meint und wie recht er hat in dem, was er deutlich macht. Insofern ist es tatsächlich unerträglich.

Ich habe das hier an anderer Stelle auchschon gesagt und bin dem Bundeskanzler dankbar, dass er in gleicher Weise darauf hingewiesen hat, ebenso wie Kollege Strobl bezogen auf die Innenministerkonferenz darauf hingewiesen hat: Wenn heute einige denken, der Protest gegen Corona und der Widerstand gegen einzelne Maßnahmen, die einem nicht passen, wie Impfen oder Ähnliches seien ein Akt des Widerstands wie jener der Geschwister Scholl oder wenn Davidsterne getragen werden mit der Aufschrift „ungeimpft“, dann ist das antisemitisch. Das ist der Versuch, den Holocaust zu verharmlosen, und es ist inakzeptabel. Ich bin froh, dass bereits Ende des vergangenen Jahres in Thüringen klargestellt wurde: Wenn so etwas auf Thüringer Demonstrationen, die sich als Spaziergänge mit Rechtsextremisten tarnen, vorkommt, wird strafrechtlich dagegen vorgegangen. Und ich bin froh, dass auch in anderen Ländern klar dagegen vorgegangen wird. Kollege Pistoriusaus Niedersachsen hat das gestern noch einmal deutlich gemacht, und in der Innenministerkonferenz herrscht hierzu auch Einigkeit.

Sehr geehrte Damen und Herren, diese Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens reiht sich in eine ganze Reihe von Maßnahmen ein, die die europäische Gemeinschaft zu einem Ort der Gleichheit und der Inklusion machen sollen. Das ist wichtig. Wir haben hier an verschiedenen Stellen über Maßnahmen der Europäischen Union diskutiert, und häufig erscheint uns die EU als ein Bund von verfeindeten Geschwistern. In dieser europäischen Strategie zur Bekämpfung des Antisemitismus wird deutlich, dass die Europäische Union eine Wertegemeinschaft ist und dass diese Wertegemeinschaft ihre Werte aber auch verteidigen muss, und zwar jeden Tag.

Was mir im Zusammenhang mit dieser Strategie aber auch besonders gefällt und wichtig ist – und ich bin in Thüringen Landesbeauftragter zuerst zur Förderung jüdischen Lebens und dann an zweiter Stelle zur Bekämpfung des Antisemitismus –: Wir neigen dazu, über jüdisches Leben immer im Präteritum zu sprechen, in der Vergangenheitsform. Das ist aber nicht der Fall. Unsere jüdische Gemeinde in Thüringen hatte 1989 30 Mitglieder. Es sind heute 700 – ganz viele, das ist gesagt worden vom Kollegen Bovenschulte und vom Kollegen Strobl, durch die Zuwanderung aus den früheren Republiken der Sowjetunion und die inzwischen, eine Generation später, auch hier geborenen Kinder. Die Arbeit jüdischer Gemeinden ist in großem Maße eine auch sozialpolitische Arbeit. Jüdisches Leben findet eben nicht nur im Präteritum, in der Vergangenheitsform, statt. Auch das ist aktuell. Und ich möchte über jüdisches Leben nicht immer nur als Sicherheitsrisiko reden, aber auch nicht als so eine Art von pittoresker Kulturveranstaltung. Jüdisches Leben ist alles, was Jüdinnen und Juden machen. Klar, dazu gehören auch unsere drei Thüringer Kulturfestivals und vieles mehr.

Wenn wir sagen: „Förderung jüdischen Lebens“, dann, weil das genau die Verpflichtung ist, auf die Kollege Bovenschulte hingewiesen hat: Es ist unsere deutsche Verantwortung, dass jüdische Kultur, jüdisches Erbe in unvorstellbarem Maße europa- und weltweit zerstört worden ist. Und es ist unsere Verantwortung, dazu beizutragen, dass jüdisches Leben gefördert wird. Insofern finde ich das eine wie das andere wichtig: jeden Tag Antisemitismus zu bekämpfen und jeden Tag deutlich zu machen, es ist kein neues Phänomen, es ist ein Phänomen, dass es seit Jahrzehnten auch in unserem Land, auch in unserer Demokratie gibt. Aber es ist vor allem auch unsere Verpflichtung, jüdisches Leben zu fördern, weil das – neben dem Schutz von Jüdinnen und Juden –Teil eines normalen Lebens in unserem Land ist. Um nicht mehr und um nichtweniger geht es. – Vielen Dank.