10.02.2017

Rede zum Gesetz zur Neuregelung des Bundesarchivrechts

Sehr geehrter Herr Präsident,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das neue Bundesarchivgesetz soll Journalisten, Wissenschaftlern und Privatpersonen den Zugang zu Dokumenten erleichtern. Schutzfristen für personenbezogenes Archivgut werden von 30 auf zehn Jahre nach dem Tod der betroffenen Person gesenkt. Für Amtsträger und Personen der Zeitgeschichte entfällt die Schutzfrist komplett, es sei denn, der schutzwürdige Privatbereich wäre betroffen. Die Novelle sieht ferner vor, dass alle Stellen des Bundes ihre Akten nach spätestens 30 Jahren an das Bundesarchiv in Koblenz abgeben.

Nach fast 30 Jahren wird das Bundesarchivgesetz modernisiert und an die Erfordernisse der Digitalisierung angepasst. Das begrüße ich ausdrücklich.

Das Bundesarchivgesetz ist im Kern ein Informationsfreiheitsgesetz. Indem Bürgerinnen und Bürger Einblick in die Akten nehmen können, wird eine demokratische Kontrolle von Handlungen und Entscheidungen von Politik und Verwaltung im Nachhinein ermöglicht.

Archive sind als Gedächtnis der Gesellschaft für unsere parlamentarische Demokratie essenziell. Sie bilden die Geschichte unseres Landes ab und stehen jedermann zur Verfügung. Umso wichtiger ist es nach meiner Auffassung, dass alle Behörden und Institutionen hier gleichermaßen in der Pflicht stehen.

Lassen Sie mich daher auf einen Punkt eingehen, der bereits in den Sachverständigenanhörungen des Deutschen Bundestages die zentrale Rolle gespielt hat! Es geht um die Anbietungspflicht für Unterlagen der Nachrichtendienste. Die Neuregelung in § 6 Absatz 1 Satz 2 sieht eine Ausnahme von der Anbietungspflicht vor, wenn zwingende Gründe des nachrichtendienstlichen Quellen- und Methodenschutzes sowie schutzwürdige Interessen von bei den Nachrichtendiensten beschäftigten Personen entgegenstehen. Die Formulierung wurde im parlamentarischen Verfahren insoweit geändert, als es nun „zwingende Gründe“ und nicht lediglich „überwiegende Gründe“ für eine Ausnahme von der Anbietungspflicht geben muss.

Im Ergebnis bleibt es aber dabei, dass die Nachrichtendienste selbst entscheiden, ob und welche Unterlagen an das Bundesarchiv übergeben werden, ohne dass dies gerichtlich nachprüfbar ist. Das wiegt mit Blick auf die Bereichsausnahme des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) besonders schwer, wonach Nachrichtendienste vom Informationszugang ausgenommen sind (§ 3 Ziffer 8 IFG). Damit bleibt das, was von den Nachrichtendiensten den Archiven nicht angeboten wird, dem Informationszugang Dritter auf Dauer verschlossen.

Der Verband deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA) nennt die neue Regelung zu Recht „einen bedenklichen Eingriff in die Möglichkeit der demokratischen Kontrolle der Nachrichtendienste“. Die Journalistengewerkschaften dju und DJV fordern in einer gemeinsamen Stellungnahme die Streichung der „immer noch großzügigen Sonderregelung“. Auch die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) kritisiert, dass historisch bedeutsame Unterlagen gegebenenfalls nicht archiviert werden und somit für Forscher und Wissenschaftler verlorengehen könnten. Sie forderte bereits in der Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages gemeinsam mit weiteren Sachverständigen die Streichung.

Es geht nicht darum, geheimhaltungsbedürftige Unterlagen offen zu Markte zu tragen, erst recht dann nicht, wenn damit eine Gefährdung für einzelne Personen oder für schutzwürdige Interessen des Staates verbunden wäre. Niemand will das. Zu Recht weist der Verband der Archivare (VdA) aber darauf hin, dass man in Archiven auch bisher in der Lage war, mit hochbrisanten Unterlagen adäquat umzugehen. Sogenannte VS-Archive gewährleisten heute schon die Archivierung und den Schutz von Verschlusssachen.

Der Expertise von Archivarinnen und Archivaren sollte man nach meiner Überzeugung auch weiterhin ausnahmslos alle behördlichen Unterlagen anvertrauen. Nur so ist eine lückenlose Recherche möglich, und nur so kann man darauf vertrauen, noch in Jahrzehnten und Jahrhunderten das ganze Bild zu sehen.