27.12.2016

Keine Landesentwicklung ohne Kultur

In Heft 154 der Kulturpolitischen Mitteilungen reflektiert Tobias J. Knoblich die Thüringer Theatervertragsverhandlungen. Seiner ebenso klugen wie kritischen Betrachtung und der von ihm vertretenen Annahme, dass »der betriebene Aufwand [der Debatte um die Theaterverträge] im krassen Gegensatz zu den Resultaten« steht, wird im Folgenden der konkrete Blick auf die Verhandlungen und die Ergebnisse im Einzelnen entgegengehalten. Es scheint sinnvoll zu sein, eine Betrachtung aus Perspektive des Landes vorzunehmen und einen tatsächlichen Paradigmenwechsel zu verdeutlichen.

Tobias J. Knoblich weist in seinem Beitrag zutreffend darauf hin, dass die Verhandlungen über die Theaterfinanzierung in Thüringen traditionell einen Ritt auf der Rasierklinge darstellten. In der Zange zwischen den Erwartungen einer medialen Öffentlichkeit und Einsparungserfordernissen einerseits und dem kulturpolitischen Protest andererseits blieb den betreffenden Kulturministern entweder der Rücktritt oder die Akzeptanz, dass Veränderungen nur sehr inkrementell durchzuführen waren.

 

Partizipative Kulturpolitik

Die Staatskanzlei, in der die Kultur seit Bildung der rot-rot-grünen Landesregierung ressortiert, setzte sich deshalb frühzeitig mit der Konferenz der Intendantinnen und Intendanten zusammen, um den Rahmen zu umreißen, in dem die Theaterentwicklung der künftigen Jahre diskutiert werden solle. Übereinstimmung bestand darin, standortübergreifend zu einer gemeinsamen und realistischen Bewertung der bisher getroffenen Strukturentscheidungen zu kommen und auch »schwarze Schwäne« zu denken. Dieser hoffnungsvolle Prozess wurde durch die von Knoblich erwähnten Indiskretionen im Sommer 2015 jäh unterbrochen und führte insbesondere in Weimar zu indiskutabler Kritik am Intendanten des Deutschen Nationaltheaters sowohl seitens der Presse als auch aus der eigenen Belegschaft. Für die Staatskanzlei bestand nun die Notwendigkeit, aus der Not eine Tugend zu machen. Der Veröffentlichung von Halbwahrheiten und Vermutungen sowie darauf aufbauender Spekulationen war nur durch absolute Transparenz und Offenheit zu begegnen. Der Begriff dafür war zügig gefunden: partizipative Kulturpolitik. Aus Betroffenen sollten Beteiligte werden. Deshalb wurde die Veröffentlichung eines Positionspapiers »Perspektive2025 – Sicherung und Weiterentwicklung der Thüringer Theaterlandschaft« verbunden mit dem Angebot an alle interessierten Akteure, in das direkte Gespräch einzutreten, was zu hunderten Gesprächen mit Betriebsräten, Orchestervorständen, Gewerkschaften, Fördervereinen und Veranstaltungen an fast allen Theaterstandorten mit mehr als 3.000 Besucherinnen und Besuchern führte. So viel Öffentlichkeit war selten. Der Öffentlichkeit wurde jedoch zugemutet, nicht nur zu kritisieren, was vorgelegt wurde, sondern sich zwischen drei Strukturvorschlägen für die künftige Theaterentwicklung zu entscheiden oder bessere Vorschläge auf den Tisch zu legen. Im Gegenzug war die Landesregierung bereit, auf das klassische TINA-Prinzip (»There is no alternative«) zu verzichten und entwicklungsoffen zu entscheiden. In diesem Prozess lernten alle Seiten dazu. Die Qualität der Debatte, der Vorrang des Arguments gegenüber dem symbolischen Protest spricht für dieses Vorgehen.

 

Theaterbetriebe als kulturelle Ankerpunkte der Landesentwicklung

Die finanzielle, ökonomische und demographische Entwicklung der ostdeutschen Länder führte in den vergangenen 25 Jahren dazu, dass nicht nur, aber auch im kulturellen Sektor Einsparungen und Strukturanpassungsmaßnahmen dominierten. Wenngleich die Entwicklungnen im Bereich der Theater und Orchester Thüringens moderat gegenüber anderen ostdeutschen Ländern ausfielen, wurden auch hier seit den frühen 1990er Jahren erhebliche Anpassungen vorgenommen:

Bereits 1991 fusionierte das Loh-Orchester in Sondershausen mit dem Theater Nordhausen zu einem 3-Spartenhaus. Ein Jahr später fusionierte die Landeskapelle Rudolstadt mit dem Staatlichen Sinfonieorchester Saalfeld zu den Thüringer Symphonikern Saalfeld-Rudolstadt, die bis heute das Konzert- und Opernangebot in beiden Städten absichern. Zur Spielzeit 1993/1994 wurde am Theater Eisenach die Schauspielsparte aufgelöst und die Fusion mit dem Theater Rudolstadt zum Jahr 1995 vollzogen. Obwohl in vielerlei Hinsicht auch aus heutiger Perspektive sinnvoll, wurde die Fusion im Jahr 2003 aufgehoben. Seit 1995 arbeiten die Theater in Altenburg und Gera unter dem Dach der »Theater und Philharmonie Thüringen GmbH«. Im Zuge der Fusion beider Bühnen verschmolzen 2001 auch die beiden Orchester zu einem Klangkörper. Dadurch entstand das in Thüringen einzige 5-Spartenhaus (Musiktheater, Schauspiel, Konzert, Puppentheater und Ballett), wobei der im Zuge dessen vollzogene Personalabbau das Volumen eines der beiden fusionierten Häuser umfasste. Die Thüringen Philharmonie Gotha entstand 1998 aus der Vereinigung des Landessinfonieorchesters Thüringen Gotha und der Thüringen Philharmonie Suhl, aus deren Finanzierung die Stadt Suhl 2009 ausstieg. Im Zuge der Rückabwicklung der Theaterfusion Eisenach und Rudolstadt wurde eine Verkleinerung der Landeskapelle Eisenach auf 24 Stellen beschlossen.

Im Vergleich zu den 1990er und den ersten 2000er Jahren, in denen der gesamtgesellschaftliche Diskurs vorrangig auf neoliberale Entstaatlichung fokussierte und die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschland zu Optimismus wenig Anlass gab, haben sich inzwischen wesentliche Rahmenbedingungen verändert. Thüringen muss zwar weiterhin erhebliche Anstrengungen unternehmen, um den Wegfall der Mittel aus dem Solidarpakt II zu kompensieren und den Erfordernissen der Schuldenbremse Rechnung zu tragen. Dennoch schließt das Land seit einigen Jahren mit Haushaltsüberschüssen ab und kann zudem auf eine auch gegenüber westlichen Bundesländern hervorragende Arbeitsmarktentwicklung verweisen. Der demographische Rückgang ist verlangsamt, es besteht ein Fachkräftebedarf in versicherungspflichtigen Beschäftigungen, der für Zuwanderung statt Abwanderung spricht.

In dieser Situation, so wurde eingeschätzt, müssen die Prämissen der Kultur- und Theaterentwicklung den veränderten Herausforderungen des Freistaates angepasst werden. Theater sind kulturelle Ankerpunkte der regionalen Entwicklung. Sie erzeugen Wertschöpfung sowohl im wirtschaftlichen als auch im gesellschaftlichen Sinne. Insoweit sind gerade die Theaterstandorte jenseits der Prosperitätsachse entlang der A 4 von Eisenach bis Jena von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Landesentwicklung. Planungssicherheit bei den Theatern und Orchestern, verstärkte künstlerische Kooperation sowie die Verbesserung der Tarifbedingungen waren neben dem Ziel der erhöhten Verantwortungsübernahme seitens der Landkreise für »ihre« Theater die wesentlichen Ziele des Landes.

Erreicht wurde eine möglichst lange Laufzeit der Finanzierungsvereinbarungen, um damit allen Partnern – sowohl den Zuwendungsgebern Land und den jeweils im Hinblick auf die Theater und Orchester beteiligten Kommunen einerseits, den Theatern und Orchestern, deren Leitungen und vor allem allen dort Beschäftigten – Planungssicherheit zu ermöglichen. In den meisten Fällen wird die Laufzeit bis zum 31. Dezember 2024 reichen. Alle bestehenden produzierenden Theater- und Orchesterstandorte werden erhalten. Bestehende erfolgreiche Kooperationsvereinbarungen und Arbeitsteilungen bei Produktionen zwischen den Standorten werden fortgeführt und vertieft. Statt auf Biegen und Brechen ein Staatstheater zwischen Weimar und Erfurt zu erzwingen, wurde zwischen dem Theater Erfurt und dem Deutschen Nationaltheater Weimar eine eigene Kooperationsvereinbarung zur Vertiefung und Verfestigung der Zusammenarbeit abgeschlossen, die von einem eigenen Kooperationsgremium begleitet wird. Ein Schritt, der vor Beginn der Verhandlungen undenkbar gewesen wäre. Mit der Zusammenführung der Landeskapelle Eisenach und der bisherigen Thüringen Philharmonie Gotha zur neuen Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach wird ein Klangkörper entstehen, der in allen beteiligten Kommunen – Stadt Gotha und Landkreis Gotha sowie Stadt Eisenach und Wartburgkreis – mit einer insgesamt verstärkten Besetzung ein abwechslungsreiches hochwertiges Konzertangebot ermöglichen wird. Zugleich wird mit dem Doppelstandort der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach eine zukunftsfähige Struktur geschaffen, bei der Überhangstellen nicht nachbesetzt werden müssen und Spielräume für tarifliche Verbesserungen entstehen. Darüber hinaus wird es eine engere Kooperation zwischen der Jenaer Philharmonie mit dem Theater Altenburg/Gera geben. Das Thüringer Staatsballett wird zukünftig landesweit auftreten. Vorgesehen sind bis zu vierwöchige Präsenzen am Theater Erfurt und die Verstetigung der Thüringer Balletttage am Standort Gera. Daneben wird in Gera ein »Eleven-Programm« aufgebaut, das tänzerischen Nachwuchs für das Staatsballett und die anderen Compagnien in Thüringen generieren und ausbilden wird: Dies erfolgt in enger Kooperation mit namhaften Ballettschulen u.a. aus Sachsen. Die anderen Compagnien in Nordhausen und Eisenach werden ihre erfolgreiche Arbeit ebenso fortsetzen.

An allen Standorten werden in der Laufzeit der Finanzierungsvereinbarungen – teils erhebliche – tarifliche Verbesserungen ermöglicht, um so die Teilhabe aller Beschäftigten an der allgemeinen Lohn- und Gehaltsentwicklung zu ermöglichen. Bei den Theatern Meiningen, Weimar und Erfurt wird weiterhin die volle Tarifbindung gewährleistet. Landesseitig werden stets mindestens für den Landesanteil an der Finanzierung jährliche Erhöhungen des Zuschusses für die Gehälter des sozialversicherungspflichtig-beschäftigten Personals vorgesehen – in vielen Fällen auch dann, wenn die Kommunen sich nicht bereit erklärt haben, auch ihren Anteil entsprechend zu dynamisieren. In den Beträgen zur institutionellen Förderung ist daher ein prognostizierter Anstieg der Gehälter von bis zu 2,5 Prozent enthalten. Das Land wird den Landesanteil an diesem Tarifaufwuchs bei den Theatern und Orchestern mit einem Haustarifvertrag bzw. denen ohne tarifliche Bindung sowie für das Theater Erfurt bis einschließlich 2020 auch für den Fall zahlen, dass die betreffenden kommunalen Träger sich ihrerseits zur entsprechenden Ko-Finanzierung außerstande sehen. Die Rückkehr zum Flächentarif kann jedoch aufgrund dieser finanziellen Rahmenbedingungen nicht an allen Häusern sofort realisiert werden, insbesondere dann, wenn die kommunalen Partner nicht ebenfalls ihre Zuschussanteile erhöhen. Ziel muss es aber weiterhin sein, dass sich Land und Kommunen gleichermaßen um tarifliche Verbesserungen für die Beschäftigten bei den Theatern und Orchestern bemühen.

Unabhängig vom unmittelbar bevorstehenden Abschluss der Finanzierungsvereinbarungen vertritt die Landesregierung die Ansicht, dass sich grundsätzlich die Landkreise, die zum Verflechtungsraum eines Theater- oder Orchesterstandorts gehören, an der Finanzierung der jeweiligen Kultureinrichtung zu beteiligen haben. Dies kann und sollte mit einem Eintritt in die jeweilige Trägerschaft verbunden sein. Zwischenzeitlich hat die Landesregierung den Vorschlag für eine Gebietsreform auf den Tisch gelegt, der die bisher 17 Landkreise und 6 kreisfreien Städte auf künftig 2 kreisfreie Städte und 8 Landkreise reduziert. Allein durch das von der Landesregierung vorgeschlagene Modell würden wenigstens vier ggf. sogar sechs Landkreise, die sich bislang der Theaterfinanzierung entziehen und Trittbrettfahrer der Finanzierung von Land und Kommen sind, an der Trägerschaft der Theater und Orchester beteiligt, die Solidarität und Lastenteilung verbessert.

Der Kritik von Tobias J. Knoblich, »Traditionen in neuen, klug regionalisierten Betriebsformen aufgehen zu lassen, scheint in Thüringen leider immer noch nicht verhandelbar«, ist zuzustimmen. Hier wäre mehr denkens- und wünschenswert gewesen. Die zugleich geäußerte Feststellung »es bleibt im Wesentlichen bei den bisherigen Standorten und Strukturen, von kleineren Innovationen und finanziellen Eingeständnissen abgesehen«, mutet angesichts der oben angeführten regional- und strukturpolitischen Ziele der Kulturentwicklung und des Umstandes, dass der Freistaat allein bis 2025 rund 30 Millionen Euro zusätzlich für die Theater und Orchester zur Verfügung stellen wird, nicht überzeugend an. Bislang finanziert das Land mit rund 65 Millionen Euro jährlich die Theater- und Orchesterbetriebe im Land. Die Theaterverträge werden 2020 überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, um für die zweite Finanzierungsperiode Schlussfolgerungen zu ziehen. Bis dahin sollen die nun gepflanzten Bäume Früchte tragen.

 

Der Artikel erschien in den Kulturpolitische Mitteilungen 155, IV/2016: Kulturpolitikforschung – 20 Jahre Institut für Kulturpolitik in Bonn, S.53-54.

Der Artikel kann hier als PDF-Datei abgerufen werden.