14.05.2012

Die Ergebnisse der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 13. Mai 2012 – Wahlnachtbericht und erste Analyse

Benjamin-Immanuel Hoff/Horst Kahrs/Konstanze Kriese

I. Zusammenfassung des Wahlergebnisses und erste Bewertung

Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis werden im Landtag Nordrhein-Westfalen weiterhin fünf Parteien vertreten sein, wobei DIE LINKE den Landtag verlässt und dafür die Piratenpartei in das vierte Landesparlament einziehen.

Die Piraten haben damit endgültig den Status als städtische Regionalpartei verlassen, deren Biotop das großstädtische Milieu darstellt. Denn mit jeweils mehr als 5% gewählt wurden sie nunmehr in einem metropolitanen Stadtstaat (Berlin), einem kleinen Flächenland (Saarland) und einem weiterhin agrarisch und kleinstädtisch geprägten Flächenland (Schleswig-Holstein).

Nunmehr stellen sie auch eine Landtagsfraktion in dem Land, das häufig als die „kleine Bundesrepublik“ bezeichnet wird. Auf dem Weg in den Deutschen Bundestag ein wichtiger Schritt für die Partei, die derzeit Platz drei in den Umfragen auf Bundesebene hält – selbst wenn Die Grünen seit 2011 ein Lied davon singen können, wie vergänglich ein solches Stimmungshoch sein kann.

DIE LINKE, deren Entstehung untrennbar mit der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Jahre 2005 verbunden ist, verliert im bevölkerungsreichsten Bundesland ihre landesparlamentarische Repräsentanz. DIE LINKE in NRW erhält als weiterer Landesverband die Quittung für die Unterlassungssünden im Parteiaufbau und die politische Aufstellung auf Bundesebene.

Der neue Landtag hat aufgrund vieler Überhang- und Ausgleichsmandate 237 statt 181 Mitglieder.

a) Die Wahlbeteiligung und die Parteien bei der Landtagswahl 2012

Die Wahlbeteiligunglag bei dieser Landtagswahl mit 59,6% leicht über dem Ergebnis von 2010, der mit 59.3% zweitschlechtesten Wahlbeteiligung überhaupt.

Die SPD hat diese Wahl eindeutig gewonnen. Sie verzeichnet prozentual Zugewinne von rund 4,5% und ein Plus von rund 375.000 Wählerinnen und Wählern. Psychologisch wichtig dürfte für die SPD zudem sein, das sozialdemokratische Kernland, welches sie 2005 verlor, mit einer stabilen Mehrheit zurückerobert zu haben und mit der Regierungsbildung beauftragt worden zu sein.

Der Erfolg wird mit der alten und neuen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft verbunden. Bei einer Direktwahl hätten sie 68% gegenüber ihrem christdemokratichen Herausforderer Norbert Röttgen (26%) gewählt. Die hohe Zustimmung wird auch als bundespolitisches Signal gegen die Regierungskoalition in Berlin ernst genommen und beflügelt voraussichtlich die Kanzler/-innenkandidatendebatte für 2013. Infratest dimap veröffentlichte am Wahlabend, dass auf die Frage, wer seitens der SPD gegen Merkel antreten sollte, sich 36% für Steinbrück, jeweils 23% für Kraft und Steinmeier aussprachen, während gerade einmal 8% den SPD-Parteivorsitzenden Gabriel präferierten.[1]

Die SPD in NRW gewinnt von allen Parteien mit Ausnahme ihres hohen Verlustes von 90.000 Wählerinnen und Wähler an die Piraten (genauso viele Stimmen gewinnt sie von DER LINKEN). Mit 110.000 Stimmen aus dem Nichtwähler/-innenlager und 190.000 Stimmen von der CDU hat sie hier die meisten Zugewinne zu verzeichnen.

Die CDU läuft mit einem Verlust von 8,2% gegenüber 2010, einem Ergebnis von 26,3% und mehr als 12% weniger als der SPD weit abgeschlagen als zweitstärkste Kraft in den Landtag ein. Dies ist das schlechteste Ergebnis, das die CDU jemals in NRW erhielt. Diese Niederlage schwächt nicht nur Norbert Röttgen, der noch am Wahlabend als Landesvorsitzender in NRW zurücktrat, um – wie die FAZ bereits formuliert hatte – zur Sicherung seiner Position innerhalb des Kabinetts eine Brandmauer zur Wahlniederlage hochzuziehen, sondern das NRW-Wahlergebnis ist vor allem eine Niederlage der ganzen Merkel-CDU.

Die Grünen erreichen 11,3% der Stimmen und sind damit eine stabile Koalitionspartnerin für die SPD. Trotzdem haben sie – gleich ihrem Bundestrend – leicht verloren und bewegen sich auch weit hinter den bundespolitischen Umfragespitzen, die durch die „S21-Demonstrationen“ und durch die von den Katastrophen in Japan forcierten Energiedebatten 2011 getragen wurden. Sie haben 80.000 Stimmen an die Piraten verloren und zeigen damit erneut, dass die Newcomerin im bundesdeutschen Parteiensystem für die Grünen am gefährlichsten sind. Innerhalb des Landes wurde ihnen anerkannt, dass sie nicht mehr so zerstritten sind (78%) und 68% wollten sie wieder in der Regierung sehen.[2]

Die FDP hat mit einem Ergebnis von 8,6% erneut gezeigt, dass sie ein erfolgreiches – die Bundespartei attackierendes - Rezept mit Christian Lindners „Das ist meine FDP“ gefunden hat. Es kann angenommen werden, dass die Ergebnisse von Schleswig-Holstein und NRW die Grundlage für das Durchschreiten der Talsohle bundespolitischer Existenzbedrohung der Liberalen im Hinblick auf die Bundestagswahl 2013 darstellen.

Die FDP-Wählerinnen und Wähler zeigten mit ihrer Zustimmung entgegen dem Bundestrend, dass Philipp Rösler offenbar der falsche Vorsitzende ist. Mit Spitzenkandidaten wie Kubicki in Schleswig-Holstein und noch deutlicher mit Politikern wie Christian Lindner gelingt es der FDP die programmatische Engführung der Westerwelle-Ära zu überwinden und könnten die Liberalen den Gebrauchswert eines modernen Liberalismus zurück in die bundespolitische Debatte holen. Die FDP könnte auf diesem Wege wieder mehr als eine eingleisige Steuersenkungspartei werden, obwohl sie zugleich weit entfernt vom Anknüpfen an sozialliberale Positionen ist.

Die Piraten sind in den vierten Landtag eingezogen. Anders als in Schleswig-Holstein greifen sie mit ihrem Ergebnis von 7,8% die sichere rot-grüne Mehrheit nicht an und verfehlen einen unmittelbaren Einfluss auf die Regierungsbildung.

Ihnen gelang es allerdings erneut, mehr Wählerinnen und Wähler in den ländlichen Regionen als in den städtischen Ballungsräumen zu gewinnen. Damit punkteten sie mit ihrem landespolitischen Angebot zum zweiten Mal gegen ihr mediales Image, als Partei das urbane junge Prekariat zu vertreten.

Das politische Angebot, sich für eine andere Beteiligungskultur an politischen Entscheidungen einzusetzen, ist offenbar in allen Siedlungsstrukturen ein attraktives Thema und wird zunehmend unabhängig von netzpolitischen Interessen anerkannt.

DIE LINKE verfehlt den Wiedereinzugs in den Landtag. Mit ihrem Ergebnis von 2,5% liegt sie noch unter dem summierten Ergebnis von WASG und PDS, die 2005 in zwei Formationen in NRW antraten.

Obwohl es in NRW in Ansätzen gelang, die Fraktion und die Landespartei als eigenständige und aufeinander bezogene politische Zentren zu entwickeln, genügten diese ersten landespolitischen Erfahrungen nicht, um an das achtbare Ergebnis von 5,6% 2010 anzuknüpfen.

In nur 20 Monaten konnten weder die Landespartei mit ihrem stetigen Parteiaufbau, noch engagierte Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer aus der ganzen Partei, sowie sympathische Spitzenkandidatinnen und Landessprecherinnen (Katharina Schwabedissen, Hubertus Zdebel, Bärbel Beuermann und Wolfgang Zimmermann) sich gegen den Bundestrend der LINKEN stemmen.

DIE LINKE verliert außer an die CDU an alle Parteien und an die Nichtwählerinnen und Nichtwähler. Am meisten verliert sie an die SPD, an die sie auch die Kompetenzuweisung bei der sozialen Gerechtigkeit verloren hat, und an die Piraten.

Die rechten Parteien blieben auch in der Summe unter fünf Prozent. DIE NPD verlor, Pro NRW gewann gegenüber der Vorwahl jeweils leicht an Stimmen.

Lesen Sie den Volltext hier:

[1] http://wahlarchiv.tagesschau.de/wahlen/2012-05-13-LT-DE-NW/umfrage-aktuellethemen.shtml.

[2] http://wahlarchiv.tagesschau.de/wahlen/2012-05-13-LT-DE-NW/umfrage-aktuellethemen.shtml

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