15.09.2023

„Die CDU wollte es genau so, wie es jetzt gekommen ist“

In Thüringen hat die CDU mithilfe der AfD ein Gesetzesvorhaben durchgesetzt. Der Erfurter Staatskanzleichef sieht keine Mitschuld bei der rot-rot-grünen Landesregierung.

Herr Hoff, Bodo Ramelow hat den Beschluss zur Senkung der Grunderwerbssteuer, den die oppositionelle CDU mit Stimmen von Björn Höckes AfD durchgesetzt hat, einem „Pakt mit dem Teufel“ genannt. Geht es nicht eine Nummer kleiner? Macht die Wortwahl die Zusammenarbeit unter Demokraten nicht noch schwerer?

Wir gehen mit der Faschismuskeule in Thüringen durchaus vorsichtig um. Allerdings reden wir hier gerade auch nicht von irgendeinem Teil der AfD, der durch das politische Manöver der CDU aufgewertet wurde, sondern von Björn Höcke, einem waschechten Rechtsextremisten. Wenn die Christdemokraten diesem Mann einen Erfolg bescheren, begeben sie sich auf einen Weg, den wir schon von  Republikanern in den USA kennen – sie verabschieden sich davon, eine staatstragende Partei zu sein.

Trifft Rot-Rot-Grün nicht auch eine Mitschuld, wenn Höcke nun diesen Erfolg feiern kann? Man hätte schließlich über seinen Schatten springen können und dem CDU-Gesetz zu einer Mehrheit ohne AfD-Stimmen verhelfen können.

Es gab auf Einladung des Ministerpräsidenten ein Gespräch der CDU mit ihm, den drei rot-rot-grünen Fraktionsvorsitzenden und der Finanzministerin.  Wir haben gestern erneut angeboten, die Gespräche über den nächsten Haushalt und die von der CDU gewünschte Steuersenkung zu verknüpfen, weil beide Gesetze zum 1. Januar 2024 in Kraft treten sollen, aber - und nur das ist seriöse Politik - die 48 Millionen Euro Mindereinnahmen bei der Grunderwerbsteuer an anderer Stelle ausgeglichen werden müssen. Der Ministerpräsident und die Finanzministerin haben Mario Voigt sehr klar gemacht, wie groß unser Interesse an einer einvernehmlichen Lösung war.

Und?

CDU-Landeschef Mario Voigt hat mit Blick auf die Landtagswahl in einem Jahr die strategische Entscheidung getroffen, sich bewusst von dieser Kooperation mit uns in Sachfragen zu distanzieren und stattdessen gemeinsam mit der AfD in die Konfrontation zu gehen. Er wollte Härte zeigen, weil er meint, im nächsten Landtagswahlkampf nur bestehen zu können, wenn er deutlich macht, dass er kein Problem damit hat, auch einmal mit der AfD zu stimmen. So macht er allerdings die frühere Staatspartei CDU kaputt.

In der speziellen Thüringer Situation einer Minderheitsregierung kann aber doch jeder Oppositionsantrag mit den Stimmen der AfD die Mehrheit bekommen. Soll die CDU im Umkehrschluss aufhören Anträge einzubringen?

Die Situation in Thüringen bietet der CDU doch andere Möglichkeiten. Wir hatten in den vergangenen vier Jahren keine einfache, aber eine richtig positive Demokratiegeschichte. Wir haben hier gelebt, was Bürgerinnen und Bürger immer wieder fordern, dass Parteien lagerübergreifend wichtige Entscheidungen für das Land treffen sollen. Das haben wir als Minderheitsregierung häufig geschafft – in der Coronazeit oder in der Energiekrise. Die Oppositionsparteien CDU und FDP konnten – weil wir sie als Minderheitsregierung immer wieder gebraucht haben - ebenfalls eine ganze Reihe ihrer Punkte erfolgreich einbringen. Das ist jetzt schwer beschädigt, und das finde ich schon bitter.

Welche Punkte meinen Sie?

Beim Thema Glücksspiel hat die FDP Dinge durchgesetzt, die Rot-Rot-Grün alleine so nie beschlossen hätte. In vergangenen Haushaltsverhandlungen hat die CDU erfolgreich einen Kinder-Bausparbonus eingebracht und anderes mehr. Da hat es in der Thüringer Sondersituation einen guten parteipolitischen Wettbewerb unter den demokratischen Kräften gegeben. Wenn die CDU jetzt die AfD einbindet und zu deren Normalisierung beiträgt, will sie etwas Anderes.

Noch einmal die Nachfrage? Selbst wenn Gesprächsangebote vorab ausgeschlagen worden sein sollten. Hätte man nicht mit geballter Faust in der Tasche zustimmen sollen, nur um Höckes AfD nicht diese Vorlage zu liefern?

Das wäre sicher eine Option gewesen, wenn es keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den handwerklich unsauberen Gesetzentwurf der CDU gegeben hätte, weil Teile davon mutmaßlich in die Zuständigkeit des Bundes fallen. Unsere Abgeordneten konnten doch nicht ein Gesetz mittragen, gegen das ihre Landesregierung nun aller Voraussicht nach vor dem Landesverfassungsgericht Klage einreichen muss. CDU, FDP und AfD haben sogar noch verhindert, dass der wissenschaftliche Dienst des Landtags im Vorfeld für mehr juristische Klarheit sorgen konnte. Die CDU wollte es genau so, wie es jetzt gekommen ist.

Haben Sie denn Hinweise auf konkrete Absprachen?

Ja. CDU, FDP und AfD haben sich am Donnerstag gezielt abgestimmt – es wurden parallel eigene Punkte von der Tagesordnung genommen, um dann die Grunderwerbsteuer behandeln zu können. Alle drei haben gemeinsam die Beschlussempfehlung im Haushaltsausschuss abgegeben. Die AfD hat im Vorfeld öffentlich klargestellt, dass sie das Vorhaben unterstützen wird. Es gibt seit geraumer Zeit Absprachen, die augenfällig sind.

Das ist sicherlich kritikwürdig. Aber dürfen Sie mit dem moralisch erhobenen Zeigefinger kommen, wenn die AfD beispielsweise auch Rot-Rot-Grün bei der Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zu den nötigen Stimmen verholfen hat?

Es stimmt, es gab diese Mehrheit, so wie der Landtag heute einstimmig an Bund appelliert hat, den reduzierten Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie beizubehalten. Der entscheidende Punkt ist aber bei all den Beispielen, die die CDU anführt, dass Rot-Rot-Grün mit 42 Stimmen im Parlament stets auch ohne die AfD eine eigene Mehrheit gehabt hat, in der Regel, weil längst nicht alle CDU-Abgeordneten im Plenarsaal anwesend waren. Insofern ist es Augenwischerei, diese Fälle zu vergleichen. Wir haben noch nie einen Gesetzentwurf eingebracht, von dem wir annehmen konnten, dass er nur mit der AfD erfolgreich sein würde.

Was bedeutet das jetzt politisch für die nächste Wahl? Wird es noch schwerer, die AfD in Schach zu halten?

Die AfD kann vor Kraft kaum laufen. Die direkte Einflussnahme auf staatliches Handeln war in gewisser Weise die letzte Brandmauer, die es zu schützen galt – da hat die CDU unserer Demokratie einen Bärendienst erwiesen. Gerade in so einer Lage müssten sich alle demokratischen Kräfte aufeinander verlassen können – das ist nun leider nicht mehr so klar der Fall.

Was wird Ihr Ziel 2024 sein?

Wir werden jetzt noch stärker für eine eigenständige rot-rot-grüne Mehrheit kämpfen. Sollte es sie nicht geben, sind wir zu Gesprächen mit allen anderen demokratischen Fraktionen bereit über das, was in den nächsten Jahren für Thüringen getan werden muss. Auch Mario Voigt wird dann wieder mit uns sprechen müssen – daran ändert auch der Unvereinbarkeitsbeschluss seiner Partei gegenüber der Linken nichts.

Das Interview auf dem Internetangebot des Tagesspiegel