14.09.2023

Keine Ahnung vom Bundesrat

Auch beim "Heizungsgesetz" sind der Thüringer CDU-Fraktion Fakten egal, wie sie im Landtag zeigt.

Wieder einmal versucht die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, sich gegen die rot-rot-grüne Landesregierung zu profilieren. Diesmal bemüht sie das sogenannte Heizungsgesetz der Bundesregierung und versucht aus der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts Kapital zu schlagen. Wir erinnern uns an die letzte Arbeitswoche des Deutschen Bundestages vor der parlamentarischen Sommerpause. Sie endete mit einem Paukenschlag. In einem Eilverfahren stoppte das Bundesverfassungsgericht die geplante Verabschiedung des umstrittenen „Heizungsgesetzes“ aka Gebäudeenergiegesetz (GEG). Die zweite und dritte Lesung des Gesetzes konnten nicht mehr in der laufenden Sitzungswoche durchgeführt werden.

Die erste Lesung des ursprünglichen Regierungsentwurfs zur Änderung des GEG, zur Änderung der Heizkostenverordnung und zur Änderung der Kehr- und Überprüfungsordnung (BT-Drs. 20/6875) hatte im Bundestag am 15. Juni stattgefunden. Am 21. Juni führte der federführende Ausschuss für Klimaschutz und Energie eine Sachverständigenanhörung durch. Die Ampelfraktionen legten anschließend dem Bundestag am Freitag, 30. Juni, eine „Formulierungshilfe“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz für einen Änderungsantrag zum Regierungsentwurf vor. Sie enthält eine 94-seitige Synopse des Gesetzentwurfs der Bundesregierung und der Änderungsvorschläge sowie einen 14-seitigen Begründungsteil.

Diese Änderungsvorschläge waren am Montag, 3. Juli, Gegenstand einer zweiten Sachverständigen-Anhörung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie. Nachdem die Koalitionsfraktionen am Dienstagnachmittag, 4. Juli, einen umfangreichen Änderungsantrag vorgelegt hatten, beschlossen die regierungstragenden Fraktionen mit ihrer Mehrheit den geänderten Gesetzentwurf am Mittwoch, 5. Juli 2023, bevor das Bundesverfassungsgericht seine Eilentscheidung traf.

Parallel zum Deutschen Bundestag tagte am 7. Juli 2023 auch der Bundesrat. Vorgesehen war ursprünglich, das Gebäudeenergiegesetz, sofern es vom Deutschen Bundestag beschlossen worden wäre, im Bundesrat abzustimmen. Bereits zwei Monate zuvor hatte der Bundesrat den Gesetzentwurf der Bundesregierung in seiner 1033. Plenarsitzung ausführlich diskutiert.

Die fünf Redner:innen in erwähnter Bundesratssitzung - die Ministerpräsidenten aus Bayern und Sachsen-Anhalt, die Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns sowie die beiden Landesminister aus Thüringen und Brandenburg - kritisierten sowohl eine Reihe von inhaltlichen Aspekten des Gesetzentwurfes, als auch parteiübergreifend die Eile des Gesetzgebungsverfahrens. Als Thüringer Redner führte ich aus, dass bei allem Verständnis für einen großen Handlungsdruck und zügige Entscheidungen eine hohe Zahl an Gesetzen fristverkürzt in den Bundesrat kommt. Dies nimmt den Ländern im föderalen Konzert die Möglichkeit, auf die Spezifika von Bundesgesetzen in der Wirkung auf das jeweilige Bundesland einzugehen. Es geht also nicht nur darum, in einem politisch sehr bunten Bundesrat die unterschiedlichsten politischen Interessen zusammenzubringen, sondern immer auch um spezifische Länderinteressen.

So ist der normale Werdegang, denn wenn die Bundesregierung ein Gesetz ändern oder einführen möchte, muss der Bundeskanzler den Gesetzentwurf zunächst dem Bundesrat zuleiten. Der Bundesrat hat dann in der Regel sechs Wochen Zeit, um eine Stellungnahme abzugeben, zu der sich die Regierung wiederum schriftlich äußern kann. Danach leitet der Bundeskanzler den Entwurf mit der Stellungnahme an den Bundestag weiter. Eine Ausnahme von diesem Ablauf bildet das Haushaltsgesetz: Hier werden Gesetzentwürfe zugleich an Bundesrat und Bundestag gesendet.

Im Fall des GEG übermittelte der Bundesrat der Bundesregierung auf zwölf Seiten (BR-Drs. 170/23) seine Stellungnahme zum Gesetzentwurf. Die Bundesregierung musste dann eine Gegenäußerung formulieren und beides an den Bundestag geben. Angesichts des erheblichen öffentlichen Interesses, der Vielzahl an Detailregelungen und der sich zuspitzenden Kritik hätte sie allerdings die sechswöchige Beratungsfrist des Bundesrates durchaus nutzen können, um informell die Abgeordneten des Bundestages auf den Stand zu bringen. Dass sie das nicht tat, ist allerdings kein Versäumnis, für das der Bundesrat Verantwortung trägt.

Und so befasste sich am Mittwoch, 5. Juli, nicht nur der Klimaausschuss des Bundestages mit dem Gesetzentwurf des Heizungsgesetzes, sondern sogar noch der sogenannte Ständige Beirat des Bundesrates mit dem Gesetzentwurf. Der in § 9 der Geschäftsordnung des Bundesrates geregelte Ständige Ausschuss entspricht in seiner Funktion dem sogenannten Ältestenrat, wie er im Deutschen Bundestag und den Parlamenten der Länder für die sitzungsvorbereitenden Angelegenheiten zuständig ist. Er kümmert sich um Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung für den Bundesrat und hat dabei wichtige Informations- und Koordinationsaufgaben wahrzunehmen.

Gebildet wird der Ständige Ausschuss von den Bevollmächtigten der Länder beim Bund, die, von Ausnahmen abgesehen, keine  stimmberechtigten Mitglieder des Bundesrates sind. Der Beirat tagt regelmäßig einmal wöchentlich und tritt meist wenige Stunden nach der Sitzung des Bundeskabinetts zusammen. Über ihre Vertreter:in hat die Bundesregierung die Möglichkeit, frühzeitig die Ansichten des Bundesrates zu Fragen der Gesetzgebung zu erkennen und für eigene Ziele und Absichten zu werben.

In seiner Sitzung am 5. Juli 2023 diskutierten die Mitglieder des Ständigen Beirates durchaus kontrovers über die Aufsetzung des Tagesordnungspunktes Gebäudeenergiegesetz auf die 1035. Plenartagung des Bundesrates. Im "Tagesspiegel" war anschließend zu lesen, dass die Bevollmächtigten der CDU-geführten Länder, die im Bundesrat über eine Mehrheit verfügen, dafür plädiert hätten, das sogenannte Heizungsgesetz nicht auf die Tagesordnung der Plenarsitzung zu nehmen. Aufgrund des Umstandes, dass die Bevollmächtigten der unionsgeführten Länder nicht vollzählig gewesen sein sollen und sich der Vertreter des grün-schwarz regierten Landes Baden-Württemberg enthalten haben solle, wurde der Gesetzentwurf – unter dem Vorbehalt der Zustimmung im Deutschen Bundestag – auf den Entwurf der Tagesordnung des Bundesrates gesetzt. Beschlossen wird die Tagesordnung selbstredend erst am Beginn jeder Plenarsitzung des Bundesrates.

Im Ergebnis der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes entfiel die Behandlung des GEG im Juli 2023. Der Bundestag hat inzwischen entschieden, so dass die Beschlussfassung im Bundesrat aller Voraussicht nach am 29. September stattfinden wird. Die Landesregierungen legen ihr Stimmverhalten in der Regel in der Kabinettsitzung vor der Bundesratssitzung fest. Also am Dienstag oder Mittwoch der letzten Septemberwoche. Letzte Abstimmungen finden in den, mit Ausnahme des Saarlands, Koalitionsregierungen der Länder häufig nach den - jeweils getrennt nach Parteifarben durchgeführten Abstimmungsrunden am Donnerstagabend, den sogenannten Kaminen von CDU/CSU, SPD, Grünen und LINKEN, - am Freitag vor der Bundesratssitzung statt.

Damit hätte es nun sein Bewenden haben können. Doch der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag sind diese Fakten offenkundig egal. Sie brachte einen Antrag (LT-Drs. 7/8363) in den Landtag ein, der nicht nur handwerklich schludrig erarbeitet wurde, sondern der Landesregierung aufgeben möchte, das Heizungsgesetz im Bundesrat abzulehnen. Das kann man politisch so sehen und deshalb auch fordern. Aber die Thüringer CDU verbindet ihren Antrag, wie so oft in jüngster Zeit, mit einer politischen Mission.

Schludrig ist der Antrag dort, wo die Thüringer CDU-Fraktion die Behauptung aufstellt, dass der Eilantrag von der CDU-Fraktion im Deutschen Bundestag eingebracht worden sei. Dies ist mehrfacher Hinsicht falsch, denn gestellt wurde der Eilantrag vom Berliner Bundestagsabgeordneten und vormaligen Justizsenator Thomas Heilmann, der als CDU-Mitglied der Bundestagsfraktion der CDU/CSU angehört. Unterschlagen wird von der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag nonchalant, dass dem Eilantrag Heilmanns weitere 11 Bundestagsabgeordnete der AfD beigetreten sind.

Falsch ist die Argumentation in Ziffer 1 des Landtagantrages, die Zustimmung im Ständigen Beirat über die Fristverkürzungsbitte der Bundesregierung wollte „ein Verfahren ermöglichen […], das ausweislich des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 05. Juli 2023 die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages unheilbar verletzt und die Abgeordneten zu bloßen Durchwinkern degradiert hätte“. Diese Formulierung zeugt von erheblicher Unkenntnis des Verhältnisses zwischen den Verfassungsorganen Bundesregierung, Deutscher Bundestag und Bundesrat aber wohl doch eher von deren absichtlicher Ignoranz.

Der Antrag, der das Ziel verfolgt, die Landesregierung zu rügen, verkennt, dass die Beratungsfristen des Bundesrates, über deren Verkürzung der Ständige Beirat zu entscheiden hat, in keiner Weise dazu angetan ist, die Rechte der Bundestagsabgeordneten zu schützen oder einzuschränken, sondern ausschließlich die Beteiligungsrechte des Bundesrates. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Für die kurzen Beratungsfristen im Bundestag sind ausschließlich die Ampelfraktionen zuständig, nicht der Ständige Beirat des eigenständigen Verfassungsorgans Bundesrat, der die Funktion einer zweiten Kammer wahrnimmt.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) stellt in Rz 79 seines Beschlusses ausdrücklich fest: „Der Erlass der einstweiligen Anordnung hat zwar zur Folge, dass der Entwurf des Gebäudeenergiegesetzänderungsgesetzes in der laufenden Sitzungswoche (27. Kalenderwoche) nicht in zweiter und dritter Lesung beraten und beschlossen werden kann. Damit wird aber nicht zugleich über den weitergehenden Feststellungsantrag in der Hauptsache entschieden und insbesondere keine erst dort zu prüfende Verletzung der Abgeordnetenrechte des Antragstellers festgestellt.“

Es führt in Rz 89 desweiteren aus: „Welche Bindungen sich aus dem Grundsatz der gleichberechtigten Teilhabe der Abgeordneten an der parlamentarischen Willensbildung für die Ausgestaltung von Gesetzgebungsverfahren ergeben, hat der Senat bisher nicht entschieden (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 24. Januar 2023 - 2 BvF 2/18 -, Rn. 92).“ und stellt in Rz 92 fest: „Aufgrund der besonderen Umstände bei der Durchführung des streitgegenständlichen Gesetzgebungsverfahrens bedarf die Frage, ob die Wahrnehmung der Verfahrensautonomie der Parlamentsmehrheit vorliegend in ausreichendem Umfang den verfassungsrechtlich garantierten Beteiligungsrechten des Antragstellers Rechnung getragen hat, eingehender Prüfung.“ Näheres wird dann abwägend in den Rz 94 und 95 ausgeführt.

Zwar kann angenommen werden, dass das BVerfG auch in der Hauptsache dem Tenor seiner Eilentscheidung folgen dürfte, doch greift die CDU-Fraktion im Landtag Thüringen quasi per angestrebtem Landtagsbeschluss einer Entscheidung des höchsten Gerichts in Deutschland vor, das in der Hauptsache noch gar nicht entschieden hat. Von Respekt vor der richterlichen Unabhängigkeit zeugt diese Indienstnahme für den parteipolitischen Wettbewerb nicht.

Es bleibt aber in der Logik einer politischen Argumentation und Handlungsweise der Thüringer CDU, die ich an anderen Fallbeispielen (vgl. hier und hier) bereits als Verwahrlosung des politischen Diskurses im Stil der US-amerikanischen „Tea Party“ bezeichnete, die wesentliche Verantwortung für den Niedergang der Republikaner und der Selbstaufgabe vor Donald Trump trägt. Die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag formuliert mit ihrem Antrag zum GEG und ihrer Aufforderung an die Landesregierung, das Gesetz abzulehnen, solange nicht „alle übrigen Elemente staatlicher Übergriffigkeit und Bevormundung aus dem Gesetzentwurf entfernt wurden“ wieder einmal im klassischen Vokabular des Tea-Party-Sprechs.

In der FAZ vom 13. September 2023 formuliert Claudius Seidl in seinem Beitrag "Autoritäre Rhetorik. Das Volk und die Eliten" unter anderem: "Wenn Politiker und Meinungsproduzenten sich aber nicht mehr auf die Schlüssigkeit ihrer Argumente, die Legitimität ihrer Interessen, die Plausibilität ihrer Annahmen berufen; wenn sie stattdessen verkünden, aus ihnen oder durch sie hindurch spreche das Volk: Dann ist Widerspruch nicht möglich. Dann ist schon die Rhetorik autoritär."

Die Thüringer CDU rutscht erneut ein Stück weiter auf der schiefen Ebene, auf der sie sich seit geraumer Zeit befindet und bleibt weiter hinter ihrer Verantwortung für den Freistaat zurück.

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Nachtrag vom 14. September 2023

Nachtrag: In der Sitzung des Thüringer Landtags vom 14. September 2023 übersendete die Landtagsverwaltung eine Neufassung des CDU-Antrags, aus dem einige der in diesem Beitrag genannten Schludrigkeiten getilgt und Forderungen gegenüber dem Tea-Party-Sprech relativiert wurden. Das grundsätzliche Missverständnis gegenüber dem Verhältnis der Verfassungsorgane Bundesrat und Deutscher Bundestag sowie der Funktion des Ständigen Beirats bleibt freilich bestehen.

Ob die Neufassung des CDU-Antrags eine Reaktion auf diesen Beitrag ist oder nicht, kann naturgemäß nicht verifiziert werden.

Nachstehend finden Sie die Ursprungsfassung und die Neufassung der Landtagsdrucksache.