10.01.2023

Zweiter Bericht des Landesbeauftragten zur Förderung jüdischen Lebens und die Bekämpfung des Antisemitismus

Dieser Bericht, der hier abgerufen werden kann, schreibt den vor zwei Jahren erstmals vorgelegten fort. Er folgt dem gleichen Ordnungsprinzip und knüpft unmittelbar an die damals bestehenden Erkenntnisse an.

Leider war auch die Zwischenzeit nicht frei von beschämenden Ereignissen der Schoa-Verharmlosung, der Opferverhöhnung oder dem Bekenntnis nationalsozialistischer Gesinnung.
Beispielhaft genannt seien hier nur die anlässlich von Corona-Protestkundgebungen verwendeten und an den „Judenstern“-Ärmelaufnäher angelehnten Zeichen „Ungeimpft“ oder das Absägen von sieben Bäumen nahe der Gedenkstätte Buchenwald im Juli 2022, die den dort getöteten Kindern und sechs namentlich genannten Häftlingen gewidmet waren. Den toxischen Geist einer verirrten Weltsicht zu bekämpfen, die in solchem Handeln zutage tritt, bleibt Aufgabe aller öffentlichen Einrichtungen aber auch der Zivilgesellschaft da, wo der Staat diesen Auftrag nicht allein erfüllen kann.

Ich bin froh zu wissen, dass Thüringen hier auf ein breit aufgestelltes Engagement zur Bewahrung des jüdischen Erbes und zum lebendigen Erfahren jüdischer Kultur zählen kann, auch und besonders durch ehrenamtlich Tätige.

Diesen hoffnungsvoll stimmenden Lichtblick hat uns wie zum Beweis das Themenjahr 2020/2021 „Neun Jahrhunderte jüdisches Leben in Thüringen“ gewährt. Dem deutschlandweiten Pogrom in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 war die am 4. September 1884 eingeweihte Erfurter Große Synagoge zum Opfer gefallen. Nachdem zwei Entwürfe für einen Nachfolgebau an gleicher Stelle bei der Stadtverwaltung als „zu groß“ bzw.„zu sakral“ auf Ablehnung gestoßen waren, konnte schließlich ein dritter Plan für ein schlichtes und sich unauffällig in die städtebauliche Umgebung einfügendes Gebäude umgesetzt werden. Die Einweihung erfolgte am 31.August 1952. Es sollte der einzige reine Synagogenneubau in der DDR bleiben.
Der Tag des 70. Jubiläums der Einweihung der Neuen Synagoge wurde in einer großen, würdigen und prominent besuchten Festveranstaltung begangen. Ein am selben Tage enthülltes Tastmodell im Maßstab 1:68 an der gegenüberliegenden Straßenseite gibt einen Eindruck von der Stattlichkeit des Vorgängerbaus. Bei aller aufgezwungenen Zurückhaltung in der Architektur des Gotteshauses in Erfurt ist die Jüdische Landesgemeinde doch mit einer starken und selbstbewussten Stimme in unserer Mitte vertreten. Ich freue mich, dass jüdisches Leben in Thüringen somit immer häufiger auch an sichtbaren Orten stattfindet.


Hoffnung für die Zukunft muss auch wachsen aus dem Gedenken, das uns zur Besinnung kommen lässt. Welchen bedeutenden Rang hier der staatliche Bildungsauftrag einnimmt, vor konfrontativer Auseinandersetzung mit dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte nicht zurückzuschrecken, zeigt exemplarisch der Erfahrungsbericht einer Oberstufenschülerin des Evangelischen Ratsgymnasiums Erfurt vom Schulbesuch der KZ-Gedenkstätte Dachau, den sie anlässlich des Gedenkens an die Reichspogromnacht 1938 am 9. November 2022 auf dem Jüdischen Friedhof in Erfurt vorgetragen hat. Diese ergreifende junge Literatur drückt mehr aus, als die Analyse nüchterner Zahlen und Fakten zu veranschaulichen vermag. Die Sinnhaftigkeit unseres Wirkens für die Würde des Nachbarn und den Respekt vor dem Leben des Mitmenschen kann kaum treffender begründet werden. Dieses Lehrstück sei den interessierten Leserinnen und Lesern besonders ans Herz gelegt.