04.06.2016

Wer folgt auf Gauck?

Beitrag auf dem Blog von www.freitag.de

Endlich hat der amtierende Bundespräsident Joachim Gauck seine Entscheidung bekannt gegeben - er steht für eine zweite Amtszeit nicht zur Verfügung.

Unmittelbar nach dem diese Nachricht die Öffentlichkeit erreichte, teilte die Union via SPIEGEL mit, dass sie bei der kommenden Bundespräsidentenwahl, die am 12. Februar 2017 stattfinden wird, mit einem eigenen Kandidaten ins Rennen gehen wird. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), ebenso anerkannter wie nicht selten unbequemer Wahrer der Interessen des Bundestages gegenüber der Bundesregierung, gilt als Favorit.

Angesichts der aufgebrauchten Gemeinsamkeiten in der Großen Koalition war von einem gemeinsamen Kandidaten oder einer Kandidatin seitens CDU, CSU und SPD ebenso wenig auszugehen, wie von einer annähernden Wiederholung des Szenarios der Bundespräsidentenwahl 2012.

 

Rückblick: Gaucks Wahl 2012 - Röslers Coup gegen Merkel

Die Wahl Joachim Gaucks im zweiten Anlauf zum Bundespräsidenten war ein gelungener Coup gegen Angela Merkel. Eingefädelt vom ansonsten glücklosen FDP-Vorsitzenden Rösler. Er führte die beiden Oppositionsparteien SPD und Grüne zu einer informellen Ampel zusammen, brüskierte die Kanzlerin und machte es ihr angesichts des Lebenslaufs und der früheren Tätigkeit Gaucks als Stasiunterlagenbeauftragter unmöglich, sich wie 2010 gegen seine Wahl zu stellen.

SPD und Grüne, im Jahr 2010 am Beginn einer Reihe von Landtagswahlen stehend, die sie in gemeinsame Regierungsverantwortung brachte, fiel - nachdem sich Joachim Gauck zwei Jahre zuvor dem vormaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff im dritten Wahlgang geschlagen geben musste - der Bundespräsident wie eine reife Frucht in den Schoß. So viel Glück hat man selten.

Genützt hat es bei der Bundestagswahl 2013 niemandem. Die Unionsparteien fuhren ihr bestes Ergebnis seit langer Zeit ein, die FDP verabschiedete sich aus dem Bundestag, SPD und Grüne verfehlten ihre Wahlziele deutlich.

Die Linkspartei setzt 2010 wie 2012 auf ihre Außenseiterrolle und Opposition gegen alle. So verpasste sie die Gelegenheit, 2010 auf den Prozess der Bundespräsidentenwahl gestaltend Einfluss zu nehmen, indem sie eine Mitte-Links-Option ernsthaft angestrebt und dafür einen Preis in Sachen Lockerungsübung bezahlt hätte.

Immerhin stellte sie mit Luc Jochimsen eine wirklich respektable Person zur Wahl - was nicht immer der Fall war. Jochimsen, im Medien- wie Politikgeschäft erfahren und anerkannt, absolvierte ihre Rolle als Zählkandidatin mit Würde.

Auf diese Weise ersparte sie es der Partei, sich vorab die Frage zu stellen, was sie im Falle des dann tatsächlich eingetretenen dritten Wahlgangs tun würde und ob sie bereit gewesen wäre, selbst einen Kandidaten wie Gauck gegen einen schwarz-gelben Wulff zu unterstützen.

Zwei Jahre später stellte sich aufgrund des Rösler-Coups die Frage nach Mitte-Links-Mehrheiten nicht. In der Bundestagswahlauswertung 2013 wurde zwar die Frage nach dem verlorenen linken Gebrauchswert aufgerufen, die Bundespräsidentenwahlen zuvor aber sorgsam umschifft.

 

Bundesversammlung: Komfortable Mehrheit für Mitte-Links

Die politische Mehrheit bei der Bundestagswahl 2013 entschied sich für Mitte-rechts. Da FDP und AfD den Einzug in den Bundestag jedoch knapp verpassten, haben SPD, LINKE und Grüne rechnerisch eine knappe eigene Mehrheit. Bei den vergangenen Landtagswahlen wurden mehr Mitte-Links-Regierungen gebildet als bürgerliche Koalitionen, zu denen hier auch die schwarz-grünen Bündnisse zu zählen sind.

Die kommende Bundesversammlung besteht, legt man die Daten von Wahlrecht.de zugrunde, bei denen die Ergebnisse der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin im September dieses Jahres noch nicht eingepreist sind, aus drei politischen Blöcken:

  1. Bürgerliche Parteien mit 585-587 Stimmen (Union: 544-546, FDP 31, Freie Wähler: 10)
  2. Mitte-Links mit 641-654 Stimmen (SPD: 386-389, Grüne: 146-148, LINKE: 94, Piraten: 14, SSW: 1)
  3. Rechtsblock mit derzeit 31 Stimmen (AfD: 30, NPD: 1).

Die Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern werden vermutlich dazu führen, dass die Piraten zwei Mandate in Berlin verlieren, die NPD ihr Mandat aus Mecklenburg-Vorpommern, die AfD in beiden Ländern Stimmen hinzugewinnt und die SPD Mandate verlieren wird. Gleichwohl ist der Vorsprung von Mitte-Links in einer Weise komfortabel, dass sich die Stimmengewichte nicht derart verschieben werden, dass eine Gestaltungsmehrheit von Mitte-Links verhindert würde.

 

Bundespräsidentenwahl 2017: Gelegenheit für Mitte-Links ein Zeichen zu setzen

Während im Jahre 2010 angesichts der Zerwürfnisse in der schwarz-gelben Koalition einerseits und der klaren Mehrheit in der Bundesversammlung für Union und FDP andererseits auch für SPD und Grüne keine Notwendigkeit, bestand, einen rot-rot-grünen Kandidaten resp. eine -kandidatin zu suchen, weil es attraktiver und strategisch wertvoller war, mit einem Kandidaten Gauck unzufriedene Unions-Wahlleute anzusprechen und darüber hinaus als SPD Offenheit in Richtung FDP zu demonstrieren, sieht die Lage 2017 anders aus.

Die SPD muss die Bundespräsidentenwahl 2017 nutzen, um ein politisches Zeichen der eigenen Gestaltungskraft gegen die Union zu setzen. Dies wäre legitimatorischer Rückenwind für einen SPD-Kanzlerkandidaten, der mehr sein will als Leiter eines sozialdemokratischen Himmelfahrtskommandos.

Die grüne Wahlstrategie setzt darauf, dass gegen die Grünen keine Bundesregierung gebildet werden kann. Die Plausibilität ist nicht von der Hand zu weisen. Erwartet wird innerhalb der Grünen eher ein schwarz-grünes als ein rot-grün-rotes Bündnis. Angesichts der Performance der Union aufgrund der destruktiven Politik der CSU unter Seehofer darf über den Erfolg eines solchen Bündnisses für die Durchsetzung grüner Politikziele durchaus spekuliert werden, doch dafür ist hier nicht der Raum. Gleichwohl dürfte angesichts dessen und im Hinblick auf den demobilisierenden Effekt einer zu frühen schwarz-grünen Festlegung eine Mitte-Links-Orientierung bei der Bundespräsidentenwahl die grüne Strategie der Äquidistanz stützen.

Die LINKE erhielte die Gelegenheit, auf dem Weg zur Bundestagswahl 2017 nach den Stationen Berlin und Mecklenburg-Vorpommern und im Vorfeld der angestrebten Sondierungsverhandlungen über die Wiederaufnahme von rot-grün-rot in NRW in überdeutlicher Weise gestaltenden Einfluss auf die Bundespolitik zu nehmen und dabei die Piraten und den SSW einzuladen, mitzugestalten. Sie könnte zudem einen Vertrauensvorschuss setzen, der all diejenigen Lügen straft, die rot-grün-rot schon jetzt für illusorisch halten. Warum dies ein Irrtum ist, haben wir jüngst hier ausgeführt.

Ihre Entsprechung könnten die jeweiligen parteistrategischen Überlegungen in einer klugen Kandidatin finden, die nicht nur die erste Frau im Schloß Bellevue wäre. Sie könnte und sollte in Zeiten des Populismus von rechts, der Abstiegsangst weiter Teile der Mittelschicht, der Herausforderung durch die Flüchtlingsintegration und der Notwendigkeit, die europäische Integration ideell neu zu begründen, für den Mut stehen, zu sagen was ist und Bürgerinnen und Bürgern diejenige Komplexität zuzumuten, ohne die Politik und Entwicklung des demokratischen Gemeinwesens nicht zu haben sind.

Könnte ein Plan sein. Nun müssten sich SPD, Grüne, Linke, Piraten und der SSW nur gemeinsam an einen Tisch setzen. Die Bundesversammlung tagt im Deutschen Bundestag. Der Bundesrat ist nicht weit entfernt. Einmal im Monat wird dort getagt. Eine gute Gelegenheit, sich zu verabreden.

 

Gemeinsam verfasst mit Alexander Fischer, Referatsleiter in der Landesvertretung Berlin des Freistaates Thüringen. Beide Autoren geben in diesem Text ihre persönliche Meinung wieder.