10.05.2006

Das teure Hokuspokus

Kaum eine andere Branche ist so einflussreich und so klandestin wie die Zunft der Berater. Thomas Leif hat den Schleier des Schweigens von McKinsey, Roland Berger und Co. gezogen. In zehn Thesen legt er in der "Frankfurter Rundschau" das Innerst

1. Berater scheuen die Öffentlichkeit wie der Teufel das Weihwasser.

Mit perfekt gesteuerter Öffentlichkeitsarbeit gelingt es den Beratungsfirmen, selbst in Qualitätsmedien den Nimbus von "professionellen Wissensmanagern" und "genialen Problemlösern" zu vermitteln. Wenn mehr gesicherte Informationen und Analysen zur tatsächlichen Arbeit der Berater vorlägen, würde die Branche allerdings rasch entmystifiziert. Intransparenz ist das Schmiermittel der Branche, die Abschottung von der Öffentlichkeit hat System. In den Verträgen mit den Kunden werden die "Nichtveröffentlichung der Ergebnisse" und das absolute "Schweigegebot" für alle Parteien festgeschrieben. Dies hat einen Vorteil für die Berater: Sie können ihre bereits bezahlten, bei der Konkurrenz beschafften Informationen problemlos anderen Kunden weiterverkaufen.

Die Intransparenz ist also die Garantie für das Geschäftsprinzip, das auf den Verkauf von standardisierten Lösungsmodellen und dem Recycling von Wissen für neue Kunden setzt.

2. Berater sind heute vor allem professionelle Wissens-Recycler, geschickte Informationsbeschaffer aus dem Wissensfonds und Erfahrungsschatz ihrer Kunden sowie geniale Vereinfacher von vermeintlich komplizierten Prozessen.

Wissen dient vor allem als "Eintrittskarte" zu den Büros der Entscheider, die in Unternehmen und Ministerien die Aufträge ergeben. Am Ende werden Berater für ihre "Vogelperspektive" auf die aufgeworfenen Probleme, für die Strukturierung, Zuspitzung, Verdichtung und Vereinfachung vorgefundener Informationen bezahlt.

Dieses Geschäftsmodell ist in der Praxis nur möglich, weil die jeweiligen Auftraggeber in den Vorständen oder Verwaltungsspitzen den Beratern eine Sonderstellung zuweisen und ihren vermeintlichen Kompetenzvorsprung ungeprüft akzeptieren. Berater werden vor allem als "rücksichtslose Vereinfacher" eingekauft, die abseits eingefahrener Rollenmuster für die Simplifizierung von Prozessen zuständig sind. Deshalb visualisieren sie - zur Reduzierung von Komplexität - prinzipiell ihre Botschaften.

Die Kunden in der Industrie und dem öffentlichen Sektor haben die Schwächen der Branche zum Teil erkannt und richten deshalb immer häufiger Stabsstellen zur Auftragsprüfung ein. Im Zuge dieser Tendenz zum Berater-Controlling wird sich der Beratermarkt künftig weiter spezialisieren und individualisieren. Immer mehr Spezialaufträge fördern diesen Trend.

3. Berater für Unternehmen oder den öffentlichen Sektor werden vor allem eingekauft, weil man ihre Hebelfunktion und ihre Rücksichtslosigkeit bei den gewünschten Reformen oder Restrukturierungen nutzen will.

Es geht nicht zuerst um Wissensbeschaffung und um Lösungsansätze. Im Zentrum steht der erhoffte Kultur- und Mentalitätsbruch, den man mit Hilfe der Berater erreichen will. Berater leisten Ersatzdienste für ein überfordertes Management an der Spitze und im Mittelbau von Unternehmen und Behörden. Sie übernehmen Ersatzrollen als Stellvertreter des Managements, dienen als Projektionsflächen oder Blitzableiter.

Beratung ist oft ein Scheinbeleg für unternehmerische oder politische Tatkraft. Berater symbolisieren Tatendrang und Modernitätsversprechen. Sie fügen sich als Dienstleister dem Auftrag der Kunden und übernehmen die Rolle des Erfüllungsgehilfen. Beratung ist daher immer auch die Delegation von unternehmerischer Verantwortung.

Ein Vorteil der Berater ist dabei ihre Position "von außen". Sie stellen im Lauf ihrer Projekte den Auftraggebern offenbar strategisch aufschlussreiche Fragen, die intern so nicht angesprochen werden. Berater bringen also für die Unternehmen und den öffentlichen Sektor sinnvolle Nebeneffekte, indem sie aus der Distanz und frei von interner Konkurrenz Grundorientierungsfragen stellen.

4. Die Auftraggeber kaufen Akzeptanz, Legitimation und Loyalität. Berater übernehmen oft das Coaching für Manager in den Vorstandsetagen.

Unternehmensberater übernehmen in der Praxis oft die Funktion des Coachs für "einsame Manager". Sie wachsen damit meist in die Rolle von "verdeckten Entscheidern" hinein. Die Kunden erwarten absolute Vertraulichkeit. Die Unternehmen kaufen Loyalität, die die Manager in ihrer Berufspraxis zum Teil auf Grund des zunehmenden Konkurrenzkampfes nicht erfahren. Sie beschaffen sich damit zudem Legitimation für wichtige Entscheidungen. Wenn die Implementierung der Ergebnisse misslingt, können sie sich jederzeit von den Ergebnissen distanzieren und die Verantwortung auf die Berater abwälzen.

5. Das größte Defizit der Berater besteht in der Operationalisierung der erarbeiteten Lösungen.

Bei allen Beratungsgeschäften geht es zunächst um die Akquise von neuen Aufträgen beziehungsweise um die Stabilisierung von Beratungsbeziehungen.

Die Berater sind vor allem an Folgeaufträgen interessiert. Die dauerhafte Installierung von Beratern in den Kundenunternehmen garantiert den geforderten Umsatz. Deshalb ist das enorme Defizit in der Operationalisierung der Projekte ein strukturelles Problem.

Oftmals zielen Aktivitäten auf künftige Aufträge und nicht auf die substanzielle Problemlösung der gerade gestellten Projektaufgabe. Diese wesentliche Schwachstelle des Beratergeschäfts soll durch eine aufwendige Öffentlichkeitsarbeit ausgeglichen werden. Die gesamte PR-Arbeit und die gezielte Veröffentlichung von Studienergebnissen dient immer nur einem Ziel: neue Märkte zu generieren. Probleme - etwa im IT-Bereich - werden zunächst gezielt dramatisiert, um dann die entsprechenden Beraterlösungen zu empfehlen.

6. Zum erfolgreichen Geschäftsmodell gehören der rasche Wechsel der Mitarbeiter innerhalb der Berater-Branche und die Jobrotation in der Wirtschaft.

Neue Aufträge werden oft von Beratern bei einem Jobwechsel "mitgebracht" - als Einstieg in den neuen Berater-Job oder von Beratern, die in die Wirtschaft wechseln.

Um die durch Rotation und Ausstieg verursachten Personallücken zu schließen, investieren die Beraterfirmen in Deutschland intensiv in die Nachwuchsrekrutierung. Das System benötigt auf Grund der gewollten Rotation und des enormen Personalverschleißes ständig Nachschub. Seilschaften, Alumni-Netzwerke und Mentorensysteme gehören deshalb zur aufwendig gepflegten Innenausstattung der Branche.

Die ständige Beschaffung von Nachwuchs ist ein Lebenselixier der Branche, weil das gnadenlose "Up or out"-Prinzip nur eine begrenzte Arbeitszeit in den Beratungsunternehmen zulässt.

7. Die Berater arbeiten mit Nachdruck und Erfolg an der "Magie" der eigenen Branche.

Den großen Beraterfirmen ist es mit aufwendigen Werbe- und PR-Strategien gelungen, sich öffentlich als hoch bezahlte Erfolgsbranche zu positionieren und diesen Erfolgsmythos auch den Kunden zu verkaufen. Das Image der schnellen, effizienten und intelligenten Problemlöser soll sich auf den Kunden übertragen und zudem die aufwendige Nachwuchsrekrutierung erleichtern. Umgekehrt dienen die Rekrutierungsanstrengungen auch dazu, dass sorgfältig gepflegte "Exzellenzprinzip" auf die Berater zu projizieren.

Die Berater-Branche ist faktisch unkontrolliert, bedient sich eines eigenen Dresscodes, einer speziellen Sprache und einer besonderen elitären Rekrutierungsmethode. Man setzt vor allem deshalb auf junge, unerfahrene Hochschulabsolventen, um die Imprägnierung der Persönlichkeit durch das Unternehmen möglichst effektiv vorzunehmen. Nur die Absicherung von normierten Rekrutierungsstandards ermöglicht quantitativ ausreichenden Beraternachwuchs.

8. In den Beratungsfirmen herrscht ein modernes System der Ausbeutung.

Das Ausbeutungssystem funktioniert: Die eigentliche Basisarbeit machen die jungen Berater. Sie arbeiten bis zu 14 Stunden am Tag. Sie werden mit relativ hohen Einstiegssummen von rund fünfzigtausend Euro (ein Examen) bis rund achtzigtausend Euro (zwei Examina) plus Dienstwagen und attraktiven Zusatzleistungen geködert. Voraussetzung ist, dass sie dem Unternehmen komplett zur Verfügung stehen, rund um die Uhr. Von diesem System profitieren vor allem die jeweiligen Partner, die auch die neuen Aufträge verhandeln und den Löwenanteil der Beratungssumme kassieren.

Das System funktioniert, weil alle Berater diese extrem lukrative Stufe erreichen wollen. Der "normale" Berater hat nach rund vierzig Arbeitstagen sein Jahresgehalt "eingespielt".

9. Das "Up or out"-Prinzip ist ein Druck- und Überwachungsinstrument. Jeder wird im engmaschigen Netz der Befragungen potenziell informeller Mitarbeiter.

Ständig werden die Berater bewertet, um festzustellen, ob sie die nächste Stufe der Karriereleiter erreichen können oder das Unternehmen verlassen müssen. In diesem standardisierten, aber geheimen Überprüfungsverfahren werden alle Mitarbeiter befragt - die Sekretärin, der Pförtner und die Kollegen. Es entsteht ein Klima der Überwachung.

Der Vorteil: Der Überprüfungsdruck erspart alle weiteren Kontrollen und fördert die Anpassung an die vorgegebenen Strukturen. Gleichzeitig soll den Kunden damit indirekt ein "Qualitätszertifikat" sowie der Anspruch der ständigen Personalauslese vermittelt werden.

10. Der Beratungskomplex in Deutschland ist noch ein perfekt gehütetes Geheimnis, aber der Mythos der Branche bröckelt.

Die großen Beratungsfirmen leben von der durch sie gesteuerten Kommunikation und dem Schweigekartell. Noch überwiegt die positive Platzierung in der Öffentlichkeit und den Medien durch gezielte PR.

Wenn künftig die Leistungen und Defizite der Beratungsfirmen transparenter werden, wird die Branche realistischer und nüchterner betrachtet werden. Der Berater-Komplex wird dann genauer geprüft und entmystifiziert werden. Erste Tendenzen in diese Richtung sind schon erkennbar. Große Unternehmen prüfen den Beratereinkauf und den Sinn der Projekte genauer. Die Schwachstellen und Dunkelfelder der "Bluff-Branche" werden im Zuge dieser Entwicklungen künftig immer öfter ans Licht kommen, zum Nutzen aller Beteiligten im heute noch intransparenten Beratungsgeschäft.
In der Praxis stützen sich Berater auf ihren im Lauf der Jahre entwickelten Datenpool für Vergleichsanalysen der Branchen, die vorgefundenen Dokumente und das Erfahrungswissen ihrer Kunden. Das Wissen zum Untersuchungsgegenstand spielt meist nur eine nachgeordnete Rolle.

Der Autor
Thomas Leif ist Chefreporter Fernsehen beim SWR in Mainz und Vorsitzender des Netzwerk Recherche e.V. (http://www. netzwerkrecherche. de).
Er hat Politik, Publizistik und Pädagogik in Mainz und Frankfurt studiert und zahlreiche Bücher veröffentlicht, u.a. "Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland".
Der dokumentierte Text ist ein Auszug aus seinem neusten Buch "Beraten und verkauft", das am 10. Mai 2006 in Berlin vorgestellt wurde.

Das Buch
Thomas Leif: Beraten und verkauft. McKinsey & Co. - der große Bluff der Unternehmensberater. C. Bertelsmann Verlag, München2006. 448 S., 19,95 Euro.