18.04.2006

Was ist "politische Kommunikation"?

Einführende Stichworte

I. Wandlungsprozesse

a) Es besteht eine Akteurs- und Interessenvielfalt der politischen Kommunikatoren (Absender, Adressaten). Politik und Medien stehen in einem Spannungsverhältnis und Abhängigkeitssystem, das jedoch einem Wandlungsprozess unterworfen ist.

b) Die Medien unterliegen einem Veränderungsprozess:
- die Zeitungen haben rasant zugenommen. In den vergangenen zehn Jahren um 54%, auf heute 400 Tageszeitungen, Wochen- und Sonntagszeitungen, auf rund 850 Zeitschriften
- die Medienlandschaft hat sich durch die Konkurrenz zwischen privatem und öffentlichem Rundfunk erweitert sowie durch die Zahl der Rundfunkstationen und Fernsehsender (1984: vier Fernsehsender; 2001: durchschnittlich 37 Fernsehsender und insgesamt über 60
- die Umlaufgeschwindigkeit nimmt zu, auch und vor allem durch das Internet

c) Auch die Parteien wandeln sich:
- Parteien wandeln sich von der Mitglieder- zur Wählerpartei
- soziale Milieus lockern sich und damit traditionelle milieugebundene Parteibindungen
- unmittelbare Interaktion und damit einhergehende interpersonale Kommunikation wird zunehmend schwieriger
- Wählermehrheiten sind heute Allianzen auf Zeit. Die Wählersegmente sind nicht mehr sozialstrukturell abgrenzbar und die Konzentration auf vermeintlich Stammmilieus ergibt keine Mehrheit mehr (vgl. Zahlen zu den Parteien, die in der Veranstaltung präsentiert wurden). Statt dessen entstehen Mehrheiten an einem bestimmten Wahltag aus breiten Allianzen sehr unterschiedlicher Milieus, die durch Medienkommunikation geschmiedet werden.

d) Nicht zuletzt hat sich das Konsumentenverhalten verändert:
- Das moderne Medienpublikum erwartet heute neben informationen und Unterhaltung offenbar auch ganz selbstverständlich eine Portion Persuasion und bezieht diese in den Wahrnehmungsprozess mit ein: "Wir wissen, dass Werbung Imagepflege eine Absicht verfolgen und lassen uns schon fast bewusst und gar nicht geheim von denjenigen verführen, denen wir für besondere Leistungen auf diesem Gebiet den ersten Preis zuerkennen. Wenn uns eine Werbe- oder Public-Relations-Kampagne aus Gründen der Ästhetik, der Originalität oder Professionalität gefällt, dann erkennen wir diese Mitteilung durchaus als Werbung und Public-Relations-Kampagne, sind aber dennoch bereit, schon diese Kommunikationsleistung auf die kommunizierende Quelle und das von ihr verbreitete Produkt zu übertragen" (Münch 1995: 115).

II. Schlussfolgerungen:

Aufmerksamkeit wird unter diesen Bedingungen ein flüchtiges Gut. Das hat gravierende Auswirkungen auf die politische Arbeit der Parteien. Die Tatsache, dass immer weniger Menschen die selbe Zeitung lesen, das selbe Radioprogramm hören oder die selbe Sendung im Fernsehen sehen, erfordert wesentlich höheren Kommunikationsaufwand und eine klar konturierte Strategie, um eine politische Botschaft überhaupt noch an die WählerInnen zu bringen.

a) nötig ist ein professionell-werblicher Ansatz in der politischen Kommunikation:
- wiedererkennbare Gesichter, denn Personen stehen für Kontinuität, Orientierung, Zurechenbarkeit und sicherlich auch Symphatie (Personifizierung)
- einen Markenkern, also eine zentrale Botschaft oder eine Unique Selling Proposition (USP), um ihre Identität transportieren zu können
- eine bestimmte Ästhetik oder Stilistik, die in Beziegung zu den Vorlieben und Präferenzen der ihnen nahe stehenden Milieus

b) Es reicht aber nicht aus, allein eine Marke und Gesichter zu präsentieren. Parteien müssen einen Balanceakt vollziehen: Einerseits muss sie sehr detaillierte, schwer nachvollziehbare Sachlösungen erarbeiten, gleichzeitig aber auch dafür sorgen, dass die vereinbarten Maßnahmen so kommuniziert werden, dass alle Menschen im Lande deren Sinn und Notwendigkeit verstehen können. Dazu bedarf es:
- politische Vorleistungen in Form intensiver Programmarbeit, ohne die Kommunikationsfachleute nicht tätig werden können
- die Programmarbeit mit klaren Strukturen und eindeutiger Aufgabenverteilung und entsprechende personelle Rollenverteilung.
- die Politik braucht die Medien als jenes gesellschaftliche Teilsystem, über das sie sich selbst erst betrachten kann (vgl. Luhmann). Deshalb orientiert sie sich - auch - an den Funktionsmechanismen des Medienbetriebs. Die folge ist eine Art medial-politischer Verdrängungswettbewerb, in der sich die Logik des Darstellbaren mehr und mehr von der Logik des Entscheidungsnotwendigen, die politische Kommunikation vom politischen Handlungsvollzug entkoppelt.

c) Daraus den Schluss zu ziehen, es würde nur noch "Darstellungspolitik" statt "Entscheidungspolitik" geben, greift jedoch zu kurz, denn Probleme lassen sich nicht vollständig "wegkommunizieren". Es gibt "verdrängungsresistente Wirklichkeitsreste" (vgl. Sarcinelli), von denen politische Akteure auch in der Mediendemokratie eingeholt werden.

III. Zu den Begriffen "Agitation", "Propaganda" und "Public Relations"

a) Zu Agitation:
- Die politische Agitation (lat. agere: tun, handeln) ist eine besondere Form der politischen Werbung. Der Begriff wird in der Umgangssprache abwertend benutzt.
- In der leninistischen Parteipolitik wurde die "Agitation" als Werbung anlässlich besonderer Aktionen bezeichnet und positiv gesehen; "Propaganda" war dagegen die generell kommunistische Werbung.

b) Zu Propaganda:
vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda

c) Zu Public Relations:
http://de.wikipedia.org/wiki/Public_Relations

Literaturverweise

Forum.Medien.Politik (Hrsg.) 2004, Trends der politischen Kommunikation. Beiträge aus Theorie und Praxis, Münster.