02.12.2013

Wer Rot-Grün-Rot in 2017 möchte, müsste jetzt beginnen

Rede zum Abschied als fds-Bundessprecher am 30. November 2013

-Es gilt das gesprochene Wort -

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde,

wenn Oskar Lafontaine darauf angesprochen wurde, dass er Ende der 1980er Jahre in der Frage der Arbeitszeitgestaltung noch in manchem Widerspruch zu den Gewerkschaften stand und heute als linker SPD-Kritiker gilt, wies er gern darauf hin, dass er seine Position beibehalten habe, während die Welt drumherum immer weiter nach rechts gewandert sei.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es als ein Zeichen besonderer Schlauheit zu werten ist, in der Hoffnung darauf, dass sich der Zeitgeist zufällig einmal der eigenen Position zuwenden mag, stur an der eigenen Meinung festzuhalten.

Aber eins kann sicher festgestellt werden: Die Zeiten und Rahmenbedingungen für die Arbeit und die inhaltlichen Ansprüche des forum demokratischer sozialismus waren schon mal schlechter als derzeit.

Als auf dem Geraer Parteitag 2002 das forum zweite Erneuerung in einer parteipolitischen Krisensituation sondergleichen als Sturzgeburt auf die Welt kam, definierte es im Wesentlichen zwei Anforderungen:

  1. Die PDS sollte einsehen, dass sie ihr Innovationspotenzial erschöpft hat, weshalb sie

  2. vor der Aufgabe steht, sich inhaltlich und in der Art ihrer politischen Organisation und Kommunikation als moderne Linkspartei in einer zweiten Erneuerung quasi neu zu konstituieren.

Damals, auf diesem Geraer Parteitag stand die PDS unter dem Schock der verlorenen Bundestagswahl. Nur noch zwei PDS-Abgeordnete waren im Bundestag vertreten – die Regierungspolitik in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern wurde als Hauptproblem der Partei angesehen.

Zehn Jahre später:

  • ist die Partei DIE LINKE eine tatsächlich gesamtdeutsche Partei geworden – bei allen Schwächen und weißen Flecken, sowohl in West, wie auch in Ost.

  • hat eine hessische LINKE zum zweiten Mal die Rahmenbedingungen für eine rot-grün-rote Landesregierung sondiert,

  • regieren wir in Brandenburg,

  • sind wir in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zweitstärkste sowie im Bund drittstärkste Partei, obwohl wir auch am 22.09.2013 verloren haben

  • öffnen sich SPD und Grüne strategischen Bündnissen mit der LINKEN

  • hat die Partei – in einer Mischung aus Einsicht in die Notwendigkeit und weil mittlerweile eine Generation Mitglied dieser Partei geworden ist und immer stärker wird, die weder in der alten DDR oder BRD, sondern nach 1990 geboren wurde – mit einer Parteireform begonnen, die letztlich die Partei fundamental verändern wird.

  • ist die Partei DIE LINKE aus dem bundesdeutschen Parteiensystem – vorerst – nicht mehr wegzudenken.

Liebe Genossinnen und Genossen,

zehn Jahre später müssen wir aber auch konstatieren:

  • wir sind in den Landesregierungen Berlin und Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr vertreten,

  • ist das Spektrum der linksreformerischen Kräfte keineswegs gebündelt, sondern individualisiert

  • bestehen ungelöste Aufgaben der linksreformerischen, die in der PDS seit dem Parteitag in Münster im Jahre 2000 offen sind, weiter fort

  • ist die konzeptionelle und strategische Fähigkeit, in Bund, Ländern und Gemeinden Gestaltungspolitik zu betreiben deutlich weniger gewachsen, als die Bereitschaft, Gestaltungsverantwortung zu übernehmen.

Liebe Genossinnen und Genossen,

vor diesem Hintergrund möchte ich zu drei Themenkomplexen einige Anmerkungen machen:

  1. Die Bundestagswahl 2013 hat das Fünfparteiensystem mit einer moderaten Biparteiendominanz bestätigt. In diesem Fünfparteiensystem hat die Wahrscheinlichkeit von kleinstmöglichen Gewinnkoalitionen abgenommen, weshalb die Notwendigkeit besteht, jenseits der klassischen Lager der 1980er und 1990er Jahre – rot-grün vs. Schwarz-gelb – politische Mehrheiten zu suchen.

In diesem politischen Wettbewerb verfügen alle Parteien außer der Linken über mehr als eine Bündnisoption.

SPD und Grüne haben aus der Not eine Tugend gemacht und endlich die demokratische Selbstverständlichkeit erkannt, auch mit uns als der LINKEN regieren zu wollen.

Für uns als LINKE ist dies eine dreifache Herausforderung, weil jeder Wahlkampf – auch wenn wir noch so sehr auf Opposition setzen – in gestaltungspolitischer Notwendigkeit enden kann: in Nordrhein-Westfalen, in Hessen etc. pp.

  • Unsere politischen Vorschläge müssen nicht nur in der Opposition gut klingen, sondern sie müssen auch in Gestaltungsverantwortung – egal ob Regierung oder Tolerierung – mindestens umsetzbar sein. Sie sollten darüber hinaus jedoch auch das Potenzial für gesellschaftliche Veränderung beinhalten. Die PDS hat in Berlin 1995 gegen die Privatisierung der kommunalen Unternehmen (GASAG, BEWAG, Wasserbetriebe) gekämpft. Sie hatte sogar Vorschläge für einen Verbund kommunaler Energieunternehmen erarbeitet. Heute re-kommunalisiert eine rot-schwarze Landesregierung die Wasserbetriebe – doch in dieser Situation müssten wir schon weiter sein und Ideen nicht nur für die Re-Kommunalisierung von kommunalen Energieversorgern, sondern ausgehen von Ideen wie sie der private Energie-Anbieter Lichtblick präsentiert, die Re-Kommunalisierung mit z.B. dem Verbund von Mini-Kraftwerken zu einem dezentralen Konzept der Energiewende verknüpfen.

  • Ich habe es satt, mich an der SPD und den Grünen abzuarbeiten und ihnen stets ihre Fehler vorzuhalten. Ich persönlich habe mit der SPD und den Grünen keine Rechnung offen. Die SPD und die Grünen sind für mich zwei strategische Optionen, um Positionen der Linken umzusetzen und – soweit möglich – eine Gemeinde, ein Bundesland oder die Bundesrepublik sozial gerechter, friedlicher und toleranter zu gestalten. Sie sind eine Option für unsere strategischen Ziele – nicht mehr, nicht weniger. Aber beide Parteien sind nicht meine politischen Hauptgegnerinnen – im Gegenteil.

  • Es wird niemanden überraschen, wenn ich sage, dass ich die Position falsch finde, die behauptet, dass es auf der einen Seite uns als Partei DIE LINKE. gibt und auf der anderen Seite einen Block von neoliberalen Kartell-Parteien. Ich halte das für schlichten Unsinn. Genauso falsch halte ich es aber auch, die Möglichkeit abzulehnen, eine rot-grün-rote Regierung zu bilden oder mit den beiden Parteien in Gestaltungsverantwortung zusammenzuarbeiten, weil es für rot-grün-rot keine gesellschaftliche Mehrheit gäbe. Sieht man einmal davon ab, dass ich nicht weiß, ab welchem Zustimmungswert bei welchem Meinungsforschungsinstitut von einer solchen Mehrheit ausgegangen wird, überschätzt diese Vorstellung die Funktion einer linken Regierungsbeteiligung. Der Eintritt in eine Regierung sollte letztlich Gegenstand einer kühlen Abwägung sein: Wie kann DIE LINKE die Interessen der durch sie mitrepräsentierten Milieus am ehesten vertreten. Mit anderen Worten: je positiver die gesellschaftlichen Diskurse und Kräfteverhältnisse sind und je einflussreicher diejenigen Pressure-Groups sind, die eine linke Regierung fördern und fordern, um mal einen Begriff aufzugreifen, umso besser. Aber ich finde es weiterhin richtig, dass die PDS in Berlin zu einer Zeit, als in allen Bundesländern Studiengebühren eingeführt wurden, nach intensiver Diskussion ein Studienkontenmodell abgelehnt hat und Studiengebühren verhinderte. Wenn es nach den gesellschaftlichen Mehrheiten gegangen wäre, hätte die PDS in der Opposition die schärfste Waffe, die Pressemitteilung einsetzen können, während eine schwarz-rote Regierung oder sonstwer Studiengebühren eingeführt hätte.

Liebe Genossinnen und Genossen,

so sehr wir uns darüber gefreut haben, dass die FDP aus dem Bundestag geflogen ist, müssen wir doch konstatieren, dass wir noch nicht wissen, welche Auswirkungen damit verbunden sein werden.

Bisher war Deutschland – erstaunlicherweise – von den europäischen Trend der Einflussgewinnung rechtspopulistischer Parteien ausgenommen. In Österreich lässt sich besichtigen, wie die Politik Großer Koalitionen ein wesentlicher Ausgangspunkt für das Erstarken rechtspopulistischer Parteien war.

Ich habe bereits gestern in der Europa-Debatte darauf hingewiesen, dass ich die Aussage falsch finde, auf die Abwanderung von 340.000 Wähler/-innen der LINKEN zur AfD mit einer Überbietungskonkurrenz im Euro-Skeptizismus zu reagieren.

Dies ist empirisch falsch, weil angenommen wird, dass die AfD vor allem wegen ihrer euro-skeptischen Positionen gewählt wurde. Allensbach und andere zeigen, dass dies so nicht stimmt.

Es ist aber vor allem politisch falsch, weil es letztlich anti-aufklärerisch ist. Die AfD-Wähler/-innen, die von der Linken abgewanderten, dürften in nicht unerheblichem Maße zu denjenigen gehören, die 2005 bzw. 2009 aus dem Nichtwähler/-innenlager zur LINKEN kamen. Eine milieumäßige Zuordnung könnte sie charakterisieren als abgehängtes Prekariat, autoritätsorientierte Geringqualifizierte, bedrohte Arbeitnehmermitte. Die Aufgabe der LINKEN kann nicht die Verstärkung im schematischen Oben-Unten sein, sondern muss ein positiver Zukunftsentwurf sein. Den zu skizzieren bedarf es einer positiven Grundhaltung im Anspruch, diese Gesellschaft gestalten zu können.

Letztlich glaube ich, dass sich eine Vielzahl unserer innerparteilichen Konflikte, beginnend bei der Frage regieren oder nicht regieren, Zustimmung zur Veränderung der Nato statt ihrer Abschaffung, ein positiver Bezug auf die europäischen Institutionen, der Glaube an die Fähigkeit der UNO für die Universalität der Menschenrechte einzutreten auf den Kern zurückführen lässt, dass ein relevanter Teil der Partei, diese Gesellschaft für nicht reformierbar hält und den Glauben daran verloren hat, gesellschaftliche Hegemonie erlangen zu können.

Sich dies bewusst zu machen und dies zu thematisieren, ist meines Erachtens aber auch der Schlüssel dazu, die bestehenden innerparteilichen Blockbildungen aufzulösen.

Liebe Genossen und Genossen,

ich weiß, dass ich keine ungeteilte Zustimmung erhalte, wenn ich sage, dass der in Göttingen gewählte Parteivorstand dazu beigetragen hat, dass DIE LINKE zuerst aus der Krise torkelte und heute eine weitgehend stabilisierte Formation darstellt. Das wir heute so dastehen, wie wir dastehen, war in Göttingen keine Selbstverständlichkeit. Dieses Verdienst geht auf das Konto von Matthias Höhn, ebenso wie Katja Kipping, Bernd Riexinger einerseits und vielen, vielen Genoss/-innen in Bund, Ländern und Gemeinden andererseits.

Wir werden im kommenden Jahr einen neuen Parteivorstand wählen und ich habe ein Interesse daran, dass der linksreformerische Teil der Partei in diesem Parteivorstand gestärkt ist.

Ich möchte, dass wir einen Parteivorstand wählen, der in der Lage ist, all diejenigen notwendigen Schritte auf den Weg zu bringen, die erforderlich sind, um in dieser Wahlperiode eine kluge Oppositionspolitik im Bund zu betreiben, aber bereits heute diejenigen Voraussetzungen zu antizipieren, die nach 2017 vor uns stehen und darauf Antworten zu finden.

Ich möchte einen kleinen Auszug aus einem Interview mit Wolfgang Schäuble aus der Zeitung DIE WELT zitieren:

Die Welt: Aber Experten rechnen nur wegen der von Ihnen beschlossenen Maßnahmen mit Beitragssteigerungen, die spätestens ab 2017 fällig sind.

Schäuble: Entschuldigen Sie, wir haben einen Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode bis 2017 geschlossen und nicht für die nächsten 20 Jahre.

Die Welt: Ausgerechnet Sie, der in langen Linien denkt, rechnet jetzt nur noch bis zum Jahr 2017?

Schäuble: Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass wir einen Koalitionsvertrag bilden, der für diese Legislaturperiode gilt und nicht für die nächste. Wir haben uns jetzt, ganz bescheiden, aber konkret, dafür entschieden, was wir in dieser Wahlperiode machen. Im nächsten Wahlkampf wird darüber entschieden, was danach passiert.“

Wenn Schäuble also ungerührt feststellt, dass nach 2017 die Sozialbeiträge steigen, dann redet er über die Zeit, in der wir mit SPD und Grünen regieren wollen. Dann müssen wir heute Antworten für 2017 und länger finden.

Dafür braucht es eine starke linksreformerische Handschrift im Parteivorstand.

Ich sehe weder die Möglichkeit, noch die Notwendigkeit, die Vorsitzenden oder den Bundesgeschäftsführer auszutauschen. Ich möchte vielmehr, dass sie deutlich mehr Linksreformer/-innen im Parteivorstand haben, mit denen sie zusammenarbeiten können oder müssen.

Wir Linksreformer/-innen sind ja gemeinhin der Kopf und Verstand der Partei, während die selbsternannten Parteilinken eher den Bauch der Partei repräsentieren. Während der Bauch häufig rebelliert, wird gemeinhin an den Verstand appelliert, Bauchentscheidungen zu treffen, weil wenigstens einer vernünftig sein muss. Dagegen hilft nur, eine gehörige Portion mehr Ratio.

Liebe Genossinnen und Genossen,

Gregor Gysi hat vor Göttingen in einem Interview den „Irren-Anteil“ in der Partei auf ca. 10% geschätzt. Wir haben uns als Linksreformer/-innen davon in der Regel nicht angesprochen gefühlt. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob dies zutrifft.

Wenn wir ehrlich zu uns sind, praktizieren auch wir zum Teil ein schwarz-weiß-Denken in Freund-Fein-Kategorien, grenzen uns in Lager-Kategorien ein, verharren in innerparteilichen Schützengräben und verfügen über nur wenig Gelassenheit, bereits in unserem eigenen Spektrum eine Bandbreite an taktischen, strategischen oder inhaltlichen Positionen zu ertragen.

Ich würde mir wünschen, dass wir damit aufhören. Ich habe es bereits im vorhergehenden Punkt angesprochen: die aktuelle Parteiführung ist nicht mein innerparteilicher Gegner. Im Gegenteil – ich möchte mit ihr in Partnerschaft linksreformerische Politik machen.

Ein künftiger Parteivorstand soll SPD und Grünen nicht nur symbolisch eine Sondierung zur Bildung einer gemeinsamen Regierung anbieten – das bereits ist ein riesiger Fortschritt -, sondern auch noch tatsächlich daran glauben, dass dies klappen könnte und zudem auch noch auf den Fall der Fälle vorbereitet sein.

Nur auf einer solchen Grundlage kann der linksreformerische Teil der Partei stärker, handlungsfähiger und inhaltsreicher werden.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde,

heute verabschiede ich mich zum zweiten Mal als Sprecher der linksreformerischen Strömung in unserer Partei. Ich durfte diese Aufgabe zwischen 2003 und 2007 sowie seit 2010 ausüben. Das ist für mich in der Tat ein rührender Moment.

Der fds-Bundesvorstand hat in seiner Amtszeit:

  • wenige Sitzungen aber ziemlich viele Telefonkonferenzen durchgeführt,

  • Ausgaben der fds-Schriftenreihe zu Themen wie Moderner Sozialismus, 4-in-1-Perspektive, Regional- und Strukturpolitik sowie Re-Kommunalisierung herausgebracht

  • der fds-Newsletter erschien mehr als einhundert mal

  • Anträge zur Verbesserung des Bundestagswahlprogramms verfasst

  • auftragsgemäß die Abschaffung des Stimmrechts der eigenen Parteitagsdelegierten gefordert,

  • auftragsgemäß einen Blog zur Parteireform eingerichtet – der eine Pleite war

  • sowie eine fds-Akademie durchgeführt. Eine ganze Reihe von Arbeitsaufträgen aus dem Beschluss von 2012 haben wir nicht umgesetzt. Dafür Entschuldigung.

Ich möchte mich ganz herzlich bei den Genossinnen und Genossen aus dem fds-Bundesvorstand bedanken, aber insbesondere auch bei denjenigen, ohne die die Arbeit des fds nicht möglich wäre. Hier möchte ich stellvertretend für alle diejenigen, die ich gar nicht aufzählen kann, Achim Bittrich aus Sachsen-Anhalt nennen. Danke Achim und allen anderen, dass du, das ihr da wart, wenn Unterstützung gebraucht wurde.

Wenn uns in den vergangenen zwei Jahren etwas gelungen ist, dann die Vorstellung beginnen zu überwinden, dass das fds quasi die Fortsetzung der PDS im Osten und im Westen die therapeutische Praxis versprengter Reformer/-innen ist. Wir konstatieren heute, dass wir im Westen Fuss fassen. Unsere Mitglieder sind auf lokaler Ebene, in Landesvorständen oder als Parteitagsdelegierte, in Stiftungen etc. tätig.

Ich habe das Gefühl, dass wir heute in einer deutlich besseren Verfassung und optimistischeren Stimmung sind, als noch beim letzten Bundestreffen 2012. Daran mitgewirkt zu haben, war mir eine Freude.

Besten Dank dafür und für eure Aufmerksamkeit.