20.04.2023

Thüringer CDU auf Tea Party-Kurs?

Vor fünf Jahren publizierte die Deutsche Verlagsanstalt (DVA) die Studie "Wie Demokratien sterben und was wir dagegen tun können" von Steven Levitsky und Daniel Ziblatt. Die beiden Harvard-Professoren legten in der Untersuchung dar, dass - anders als in früheren Jahren - nicht mehr das Modell des prompten Zusammenbruchs einer demokratischen Ordnung, z.B. durch einen Putsch, die größte Gefahr darstelle, sondern vielmehr die Erosion der Demokratie, die so unmerklich geschehe, dass viele sie nicht wahrnähmen.

Dabei gibt es, wie Levitsky/Ziblatt darstellen, einige Merkmale, anhand derer diese demokratische Erosion erkenn- und nachweisbar ist. Dazu gehört die Infragestellung der Legitimität oder auch die Attackierung der „Schiedsrichter“- also der demokratischen Institutionen einerseits und der Wächter über die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates, wie Gesetzeshüter, Nachrichtendienste, Ethikkommissionen oder Gerichte andererseits. Weitere Merkmale sind die Neutralisierung der „Schlüsselspieler“ wie Medien oder andere Parteien und das Umschreiben bisher geltender Regeln. Im Mittelpunkt der Analyse der beiden Autoren standen die Vereinigten Staaten, in denen seinerzeit Donald Trump regierte.

Die Beschreibungen des Niedergangs der US-Demokratie, in die sich das Buch einreihte, füllen inzwischen ganze Bibliotheken. Und eine Vielzahl von Autor:innen ist sich darin einig, dass diese Entwicklung keineswegs erst unter dem Rechtspopulisten Trump begann, sondern eine lange Vorgeschichte hat.

Unter Druck gerieten die US-amerikanischen gewaltenkontrollierenden Institutionen und Verfahren, weil ihre Wirkungsweise nicht nur von den politischen Mehrheitsverhältnissen abhängt, sondern dafür "auch das Selbstverständnis der Mitglieder von Repräsentantenhaus und Senat eine entscheidende Rolle" spielt, wie Kilian Lüders und Wolfgang Merkel 2019 in einem Beitrag für das Magazin des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung Berlin bemerkten. Sie führten weiter aus: "So wurde in der Vergangenheit die legislative Gewaltenkontrolle meistens dann konstruktiv verwirklicht, wenn der Kongress parteiübergreifend zusammenarbeitete, [...]. Seit geraumer Zeit ist jedoch eine verhärtete parteipolitische Konfrontation zu beobachten. [...] Die unversöhnliche Konfrontation, in der sich Republikaner und Demokraten befinden, spiegelt sich mittlerweile auch in den Einstellungen der Bürger wider."

Die demokratische Erosion ist folglich kein unaufhaltbares Naturgesetz. Im Gegenteil - auch diese Entwicklung ist menschgemacht, weshalb die Parteien, davon sind Levitsky/Ziblatt überzeugt, zur Festigkeit der Demokratie beitragen können, indem sie den parteiübergreifenden Konsens suchen. „Wir brauchen nicht Koalitionen von Gleichgesinnten, sondern Koalitionen von politischen Gegnern“ lautet das Fazit, das zugleich Appell ist.

In diesem Sinne sind die ersten fünf Absätze dieses Beitrags keine Ouvertüre eines an Mario Voigt, den Fraktions- und Landesvorsitzenden der Thüringer CDU, gerichteten Vorwurfs, er sei quasi der Donald Trump Thüringens, sondern vielmehr ein besorgter Blick auf eine seit dem Verlust der Regierungsmacht im Jahre 2014 aus dem Tritt geratene christdemokratische Landespartei, die seither um ihr Selbstverständnis ebenso ringt, wie um den wirksamsten Weg zurück in die Staatskanzlei. Hierfür scheint sie sich - eingeklemmt zwischen der in Thüringen starken "catch all"-Ramelow-Linken einerseits und der rechtsextremen Höcke-AfD andererseits - u.a. des kulturkämpferischen Strategiekastens der von der Tea Party-Bewegung geprägten US-Republikaner zu bedienen. Dieses Herangehen nach dem Muster "Der Zweck heiligt die Mittel" mag möglicherweise parteitaktisch mittel- und langfristig erfolgreich sein, doch mit Blick u.a. auf die USA zu einem um ein Vielfaches höheren Preis, nämlich demjenigen der demokratischen Kultur insgesamt, die einem pluralen und liberalen politischen System erst seine Stabilität verleiht. [...]

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