12.12.2022
Christian Görke / Benjamin-Immanuel Hoff

Übergewinnsteuer – Ampel schont die Krisenprofiteure

Der russische Angriffskrieg hat unermessliches Leid über die Menschen in der Ukraine gebracht. Er stellt die europäische Sicherheitsordnung in Frage und erschütterte die Grundsätze des friedlichen Miteinanders der Völker in Europa in ihrem Kern.

Sowohl der Angriffskrieg als auch die in Reaktion darauf beschlossenen Sanktionen führen zu erheblichen wirtschaftlichen Verwerfungen. Märkte und Handelsverbindungen sind weggebrochen, Lieferketten sind gerissen. Die Inflation ist so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr. Alles wird teurer, gerade auch Lebensmittel, und die Energiepreise sind rasant angestiegen. Die Folgen spüren alle in der Geldbörse. Doch am stärksten wie stets diejenigen, die ohnehin wenig haben.

Ebenso wie in der Corona-Krise steuern Bund und Länder mit milliardenschweren Entlastungspaketen gegen die Härten der Energiekrise an und beschleunigen zugleich die Energiewende in Deutschland.

Während Bund und Länder sowie die Kommunen gemeinsam die Entlastungspakete schultern, Bürger:innen aber auch Unternehmen unter den Preissteigerungen ächzen, füllen sich die Energieunternehmen mit ebendiesen Preissteigerungen die Taschen. Denn klar ist: Höhere Ausgaben der Einen sind höhere Einnahmen der Anderen.

 

Extraprofite für Energiekonzerne

Marktmächtige Energiekonzerne, die ihre Einkaufspreise langfristig gesichert hatten, konnten in dieser Marktlage durch hohe Verkaufspreise außerordentliche Gewinne erwirtschaften. Ähnliches gilt für den Strommarkt. Durch das sogenannte Merit-Order-Prinzip erhalten an der Börse alle Kraftwerke für ihren Strom den Preis, den das teuerste Kraftwerk verlangt. Durch die gestiegenen Gaspreise haben die teuren Gaskraftwerke den Preis an der Strombörse bestimmt und damit in die Höhe getrieben. Das hat bei günstigen Anbietern für außerordentliche Gewinne gesorgt.

Mit anderen Worten: Energiekonzerne verdienen, ohne zusätzliche Leistung, ohne neue wirtschaftliche Aktivität oder höheres Risiko durch Extraprofite in der Krise. Sie verdienen sich auf Kosten der ganzen Gesellschaft eine goldene Nase, indem sie die Energiekrise und hohen Energiepreise ausnutzen.

Wenn der Chef des Mannheimer ZEW, Achim Wambach, sagt, es sei das gute Recht von Unternehmen, Gewinne zu maximieren, dann trifft das auf unsere Wirtschaftsordnung zu. Aber es trifft auch auf unsere Verfassungsordnung zu, dass es das gute Recht des Staates ist, diese Gewinne durch Steuern abzuschöpfen und eine der größten Umverteilungen von unten nach oben der letzten Jahrzehnte zu stoppen.

Das dafür geeignete Instrument ist eine Übergewinnsteuer. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, kurz WD Bundestag, hatte bereits im Jahr 2021 eine Ausarbeitung „Übergewinnsteuer – historische Hintergründe, aktuelle Diskussion und rechtliche Fragen“ veröffentlicht. Aus seiner damaligen Sicht kann eine Übergewinnsteuer „materiell als Einkommensteuer bzw. Körperschaftssteuer auf die Kompetenzgrundlage des Art. 106 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 GG gestützt werden. Das Aufkommen der Übergewinnsteuer steht dann dem Bund und den Ländern gemeinsam zu (Art. 106 Abs. 2 Satz 1 GG).“ [WD 2021: 19]

Christoph Trautvetter und David Kern-Fehrenbach, beide vom Netzwerk Steuergerechtigkeit, legten im Sommer 2022 eine vom Netzwerk gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebenen Studie „Kriegsgewinne besteuern. Ein Beitrag zur Debatte um Übergewinnsteuern“ vor. Darin schlagen die Autoren vor, „Deutschland [sollte] – ob mit oder ohne EU-Kommission – die Steuer nach dem Vorbild der in einigen anderen Ländern bereits angewandten Digitalsteuer gestalten, also die in Deutschland zu versteuernden Gewinne anhand des deutschen Anteils am Umsatz aus den Konzerngewinnen ableiten. Mittelfristig sollte die Bundesregierung auf eine allgemeingültige, international abgestimmte Steuer hinwirken.“ [Trautvetter/Kern-Fehrenbach 2022: 6]

 

DIE LINKE. forderte früh im Bundestag und Bundesrat die Übergewinnsteuer

Als Reaktion auf die Auswirkungen des Ukraine-Krieges hatte Italien schon im März 2022 eine einmalig in 2022 zu erhebende „außerordentliche Solidaritätsabgabe“ für Unternehmen des Energiesektors als Teil eines umfassenderen Maßnahmepakets eingeführt.

Der WD Bundestag legte hierzu zwei Ausarbeitungen vor:

Mitte April 2022 erschien „Neue Übergewinnsteuer in Italien. Außerordentliche Solidaritätsabgabe der Energieunternehmen“, in der nach einer Darstellung der vorgesehenen Solidaritätsabgabe u.a. hinsichtlich der Steuerziele, Steuersubjekte wie –objekte, Steuertarif das Verhältnis der italienischen Übergewinnsteuer zur EU-Leitlinie über die Besteuerung übermäßiger Gewinne, soweit zum damaligen Stand möglich, geprüft wurde.

In der im Juli 2022 veröffentlichten Untersuchung „Verfassungsmäßigkeit einer Übergewinnsteuer nach italienischem Vorbild“ wurde geprüft, ob das italienische Modell der außerordentlichen Solidaritätsabgabe als Übergewinnsteuer für Unternehmen des Energiesektors verfassungskonform auf Deutschland übertragbar sei. Dies bejaht der WD Bundestag im Wesentlichen, gestützt auf die bereits ein Jahr zuvor dargelegte Argumentation und in der konkreten Prüfung der italienischen Abgabe.

Bereits im Mai 2022 forderte die Linksfraktion im Deutschen Bundestag die Bundesregierung auf, dem Vorbild der damals noch von Mario Draghi geführten Regierung Italiens zu folgen und einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Teil der Umsatzüberschüsse von Energiekonzernen im Geschäftsjahr 2022, jene des Vorjahres um mehr als 10 Millionen Euro übersteigt, zusätzlich einer Übergewinnsteuer in Höhe von 25 Prozent zu unterwerfen (Drucksache 20/1849). 

Im Bundesrat setzten sich die vier Landesregierungen, in denen DIE LINKE. vertreten ist (Bremen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen) deshalb bereits im Sommer 2022 dafür ein, die Bundesregierung aufzufordern, eine Übergewinnsteuer einzuführen, mit dem Ziel der Finanzierung außergewöhnlicher finanzieller Belastungen im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine (Drucksache 268/22).

DIE LINKE. in den vier Landesregierungen war überzeugt, dass wenn in der Corona-Krise im Bundesrat übereinstimmend, zum Teil in kurzfristig anberaumten Sondersitzungen der Länderkammer, der Weg dafür freigemacht wurde, dass der Bund Unternehmen mit Milliardenhilfen stützt, dann muss in der gegenwärtigen Krise genauso zügig dafür Sorge getragen werden, dass Extraprofite abgeschöpft werden.

Dafür gibt es sowohl historische wie auch gegenwärtige Beispiele. Es liegt auf der Hand, dass die Verfassungsordnungen derjenigen Länder, die bereits historisch eine Übergewinnsteuer kennen bzw. sehr schnell durch eine entsprechende Steuer die Krisengewinnler der Energiekrise zur Kasse baten, darunter Griechenland, Italien, Großbritannien oder die USA sich von Deutschland unterscheiden. Doch entgegen allen Unkenrufen zeigte sich, dass eine Übergewinnsteuer weder in Deutschland noch in der Europäischen Union rechtswidrig ist. Im Gegenteil.

 

Ambitionsloser Ampel-Gesetzentwurf statt „Zukunft wird aus Mut gemacht“

Während noch in der 1.022. Sitzung des Bundesrates am 10. Juni 2022 die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, Katja Hessel (FDP) in sechs Punkten begründete, warum die Einführung einer Übergewinnsteuer, insbesondere im Energiesektor, der falsche Weg sei, befasst sich nunmehr der Bundesrat in seiner 1.029. Sitzung am 16. Dezember 2022 mit dem Jahressteuergesetz 2022 (Drucksache 627/22 – neu), in dem als Artikel 40 das „Gesetz zur Einführung eines EU-Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854“, kurz: EU-Energiekrisenbeitragsgesetz, enthalten ist. Wieder einmal zeigt sich, was sich mit Druck von links erreichen lässt.

Gleichzeitig lässt sich bei der Übergewinnsteuer im Jahressteuergesetz 2022 betrachten, was passiert, wenn der Druck von links nicht stark genug ist. Die Ampelparteien haben im notwendigen Dauerkompromiss mit den steuerpolitischen Falken der FDP die Übergewinnsteuer weichgespült.

Im Jahr 2018 bemerkte der heutige Vizekanzler Deutschlands, Robert Habeck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), in seinem Blog im Beitrag über „Die integrative Gesellschaft“ zutreffend, „[…] es gibt eine geradezu obszöne Vermehrung von Reichtum bei wenigen und eine immer grassierendere Armut bei vielen. Wesentliche Teile unserer Wirtschaft- Finanz-, Immobilien- und Energiesysteme – höhlen das einigende Prinzip unseres Grundgesetzes aus: Eigentum ist dem Gemeinwohl verpflichtet. […] Und insofern brauchen wir höhere Steuern auf Kapital und Vermögen und geringere auf Arbeit.“

Von diesem Anspruch findet sich wenig bis gar nichts in der bundesdeutschen Umsetzung des EU-Energiekrisenbeitrags im Jahressteuergesetz 2022.

Das Gesetz definiert als Steuersubjekt die im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich tätigen Unternehmen, die in Bereichen Extraktion, Bergbau, Erdölraffination oder Herstellung von Kokereierzeugnissen mindestens 75 Prozent ihres Umsatzes eines Wirtschaftsjahres erzielen. Als Steuerobjekt werden jene Gewinne erfasst, die 20 Prozent oberhalb des Durchschnitts des steuerlichen Gewinns der Jahre 2018-2021 liegen. Dies bedeutet bei einen Steuersatz von gerade einmal 33 Prozent im Besteuerungszeitraum der Jahre 2022 und 2023 ein Steueraufkommen in Höhe von 1 bis 3 Milliarden Euro.

Statt einen mutigen Gesetzentwurf vorzulegen, der auf die geradezu obszöne Vermehrung von Reichtum einiger Weniger in der Krise angemessen reagiert, setzt die Ampel-Koalition ambitionslos die EU-Mindestvorgaben um. Die einzige Ausnahme besteht darin, dass ein Besteuerungszeitraum von zwei Jahren gewählt wird, statt optional von einem Jahr.

Der von der Ampel gewählte Steuersatz liegt spürbar unter denen anderer Länder. So plant die schwarz-grüne Koalition in Österreich mit 40 Prozent, die rechtsextreme Regierung Italiens mit einem Steuersatz von 50 Prozent und die bürgerlich-konservative Regierung in Tschechien mit einem Steuersatz von 60 Prozent.

Durch eine unnötig enge Übergewinndefinition werden insbesondere die Extraprofite der Mineralölkonzerne nicht erfasst. Weitere Schlupflöcher zur Steuerumgehung entstehen durch die Ausnahmeregelung für Umwandlungsvorgänge sowie die Orientierung am Wirtschaftsjahr statt am Kalenderjahr.

Kurzum: Die von der Ampel gewählte Kombination aus unnötig geringem Steuersatz und absichtlich zu enger Übergewinndefinition führt zu einem geringeren Aufkommen und geringerer Abschöpfung der Übergewinne als rechtlich möglich und politisch geboten wäre. Das hat zur Folge, dass eine Wenige mit den zusätzlichen Profiten in der Krise nahezu ungeschoren davonkommen.

 

CDU und CSU selbst gegen mutlose Übergewinnsteuer – aber nicht mit uns.

Wie bereits beim Bürgergeld gehen den Unionsparteien CDU und CSU selbst diese kleinen Schritte zu weit. Sie kündigten durch die fünf Finanzminister der CDU und CSU an, das Gesetz im Bundesrat zu blockieren und damit die Einführung zu verhindern. Im Vermittlungsausschuss, dem Gremium, in dem die 16 Länder und Vertreter:innen der Fraktionen des Deutschen Bundestages sitzen, wollen sie die gesetzlichen Standards noch weiter schleifen. Ihre Begründung: Mit der von der Ampel-Koalition vorgelegten Regelung werde de facto eine weitere Ertragssteuer eingeführt – neben bereits bestehenden Steuern – und würde so den von der EU vorgegebenen Rahmen verlassen.

Die Linksfraktion im Deutschen Bundestag hat sich bei der Abstimmung über das Jahressteuergesetz u.a. aufgrund der Kritik an der ambitionslosen Übergewinnsteuer enthalten.

Im Bundesrat werden wir als DIE LINKE. in den Landesregierungen Bremens, Berlins, Mecklenburg-Vorpommerns und Thüringens nicht gemeinsam mit CDU und CSU dafür die Hand heben, dass es gar keine Übergewinnsteuer gibt. Wir wollen sie nicht verhindern, sondern fordern, dass der Steuersatz spürbar angehoben wird. Sollte es zu einem Vermittlungsausschussverfahren zur Übergewinnsteuer kommen, werden wir darin die Anpassung des Steuersatzes nach den Vorbildern derjenigen Länder beantragen, die mutigere Regelungen als die Ampelkoalition angekündigt bzw. getroffen haben.

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Die Autoren:

[*] Christian Görke ist Obmann für die Linksfraktion im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages. Von 2014 bis 2019 war er Finanzminister des Landes Brandenburg. Benjamin-Immanuel Hoff ist seit 2014 Chef der Staatskanzlei und Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten in Thüringen.

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