25.11.2022

Dem Bürgergeld muss Hartz IV endgültig ausgetrieben werden

Rede im Bundesrat am 25. November 2022

Anrede,

binnen zwei Wochen diskutiert der Bundesrat zum zweiten Mal über das Bürgergeld-Gesetz. Dieses Gesetz hat die politische Debatte in dieser Zeit bestimmt.

Bereits am Montag der vergangenen Woche kritisierte ich hier an diesem Pult in Richtung derjenigen Länder, in denen die CDU und die CSU an der Regierung beteiligt sind, dass die Kritik der Unionsparteien sowohl in der Sache wissenschaftlich belegte Fakten ignoriert als auch dazu angetan ist, gesellschaftlich zu spalten.

Falsches Bild vom trägen Hilfesuchenden und anachronistische Rohrstockpädagogik

Die Unionsparteien zeichneten in der Debatte um das Bürgergeld das Bild des trägen Hilfesuchenden und plädierten für eine anachronistische Rohrstockpädagogik, um den Vorsitzenden des Paritätischen Gesamtverbandes, Dr. Ulrich Schneider zu zitieren.

Ich will es hier an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich sagen:

-          Die Differenzierung zwischen Sozialleistungsbezieher:innen einerseits und denjenigen mit durch Erwerbsarbeit ausgedrückter Lebensleistung geht an der Realität von Hunderttausenden Menschen vorbei, die aufgrund zu niedriger Löhne aufstocken müssen. Diese Menschen schuften jeden Tag und können vom Gehalt nicht ausreichend leben.

-          Die Realität ist doch, dass über lange Jahre durch Niedriglohnstrategien und die Untergrabung des Tariflohnsystems zur Armut in Deutschland beigetragen wurde. Ich erinnere mich sehr gut, wie die Unionsparteien im Deutschen Bundestag gegen die Einführung des Mindestlohns und gegen dessen Erhöhung gewettert haben.

-          Die Behauptung des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag, Mario Voigt, Sozialleistungsbezieher:innen könnten und würden mit dem Bürgergeld künftig mit dem Maserati durch die Gegend fahren zeugt von beispielloser Unkenntnis der Lebensrealität derjenigen, die in unserem reichen Land in Armut leben müssen.  Der Thüringer CDU-Fraktionsvorsitzende ließ sich in der Debatte zum Bürgergeldgesetz dazu hinreißen, aus Dostojweskis „Die Brüder Karamasow“ wie folgt zu zitieren: „Am Ende werden sie uns ihre Freiheit zu Füßen legen und zu uns sagen 'Macht uns zu euren Sklaven, aber füttert uns'.“ Ich habe darauf ebenfalls aus die „Brüder Karamasow“ wie folgt geantwortet: „Ich habe mich wohl schon tausendmal über diese Fähigkeit des Menschen gewundert, das höchste Ideal neben der niedrigsten Gemeinheit in seiner Seele hegen zu können, und beides mit vollkommener Aufrichtigkeit.“

Kurzum: Das in der konservativen Ablehnung des Bürgergeldes sich offenbarende Menschenbild aus Kontrolle, Gängelung und dem Kleinhalten der Benachteiligten durch Sanktionen lehne ich ab.


Niemand soll Angst haben müssen, aus der Wohnung ausziehen zu müssen

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Union war es im Vermittlungsausschuss sehr wichtig, dass das Wohnungsmoratorium von 24 Monaten auf 12 Monate verkürzt wird. Ich habe dafür weiterhin wenig Verständnis.

Ich verstehe nicht, warum Menschen, die Sozialleistungen beziehen, Angst haben sollen, ihre Wohnung, das vertraute Umfeld zu verlieren, obwohl wir alle um die angespannten Wohnungsmärkte wissen. Obwohl wir wissen, dass Wohnen die soziale Frage unserer Zeit ist.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin hat am Beispiel des Jobcenters Recklinghausen errechnet, dass durch ein wenigstens 24-monatiges Wohnungsmoratorium in Recklinghausen rund 17.400 Arbeitsstunden für Beratung und Vermittlung mehr zur Verfügung stünden – bundesweit 30 Millionen. Das wäre sinnvoll, statt Menschen mit letztlich erfolglosen Umzugsanordnungen Angst und bange zu machen.


Die Überwindung von Hartz IV steht noch aus

Sehr geehrte Damen und Herren,

der tatsächliche Systemwechsel, mit dem Hartz IV endgültig überwunden wird, steht jedoch noch aus.

Hartz IV ist dann endgültig überwunden, wenn die Grundsicherung armutsfest ist und nicht länger an Sanktionen gebunden.

Sanktionen missachten das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sanktionen dienen vor allem als Drohung gegenüber Erwerbslosen und als Mittel der Gängelung – nicht zuletzt um einen der größten Niedriglohnsektoren Europas weiter am Laufen zu halten.

Hartz IV ist dann endgültig überwunden, wenn die Regelsatzberechnungen nachvollziehbar sind und bedarfsgerecht. Wenn die Regelsatzberechnungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen ermittelt werden und basierend auf schlüssigen Berechnungsverfahren. Dann, wenn Regelsätze nicht mehr künstlich kleingehalten werden.


Konkrete Verbesserungen durch das Bürgergeld-Gesetz und weiter nötige Sozialreform

Sehr geehrte Damen und Herren,

wenn wir heute auch aus Thüringen dem Bürgergeldgesetz zustimmen, dann tun wir dies, weil wir erkennen an, dass mit dem Bürgergeld-Gesetz Verbesserungen kommen.

Diese werden jeweils für sich Erleichterungen für die Bürger:innen im Sozialleistungsbezug bringen.

Indem Bildung und Weiterbildung im Vordergrund stehen sollen, statt die Vermittlung in irgendeine Erwerbstätigkeit.

Mit höheren Freibeträgen und dem Weiterbildungsgeld.

Oder indem Jugendliche, deren Eltern Bürgergeld beziehen, ihr Geld aus Ferien- oder Nebenjobs bzw. der Ausbildungsvergütung behalten.

Wir können das schon deshalb anerkennen und im Bundesrat zustimmen, weil dies unseren Forderungen nach kurzfristigen Sofortmaßnahmen entspricht, für die wir uns seit Jahren einsetzen.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Bundesrat wird sich weiter mit der Stärkung des Sozialstaates befassen und ich wünsche mir, dass es dann sowohl hier als auch im Deutschen Bundestag Mehrheiten dafür gibt. Und zwar Mehrheiten, bei denen die Interessen und das Gerechtigkeitsempfinden der Ärmsten im Land der Maßstab für die Reform ist.