13.01.2022

Mit Anlauf gegen die Wand

Corona-Impfpflicht. Das Vorgehen sowohl der Ampelkoalition als auch der Unionsparteien verhindert die notwendige sachliche und sensible gesellschaftliche Debatte über eine gesetzliche Impfpflicht. Die Folgen werden langfristig spürbar sein.

Quelle: freepic

Blogbeitrag für die Wochenzeitung "der Freitag", erschienen am 12.01.2022 auf https://www.freitag.de/autoren/benjamin-immanuel-hoff/mit-anlauf-gegen-die-wand

Während die CDU ihre Rolle in der Opposition noch sucht, hat sich ihre bayerische Schwesterpartei CSU bereits im Krawallmodus eingerichtet. Sie postete dieser Tage ein Bild der Mitglieder des Kabinett Scholz unter der Überschrift „Nichtregierungsorganisation“. In der Erklärung warf sie der Ampelkoalition vor, weder bei der Impfpflicht noch bei der Energiepolitik zu regieren. Das ist nicht schlecht und würde einen schmunzeln lassen, wenn das Thema »Pro & Contra Impfpflicht«, das sich die Unionsparteien ausgesucht haben, nicht so ungeeignet wäre, eine politische Schlammschlacht zu beginnen.

Gleichzeitig ist die laissez faire-Haltung, mit der die Ampelkoalition an die vom Bundeskanzler Olaf Scholz selbst mitiniierte Debatte herangeht, geeignet auch noch diejenigen vor den Kopf zu stoßen, die bereit waren und sind, in einem zunehmend schwieriger werdenden Diskursklima aufklärerisch und abwägend teilzunehmen. Von politischer Führung, die Olaf Scholz versprochen hat, ist diesbezüglich wenig zu spüren. Die Unionsopposition wiederum, verweigert die Erarbeitung eigener konstruktiver Vorschläge und handelt mindestens genauso verantwortungslos.

Omikron löst Delta ab

Die COVID-19-Pandemie befindet sich im zweiten Winter. Zu keinem Zeitpunkt war in Deutschland die Infektionsrate der an COVID-19 Erkrankten so hoch wie im Spätherbst, mehr als eineinhalb Jahre nach Ausbruch des Pandemiegeschehens. Die Erkrankungen basieren inzwischen nicht mehr auf dem ursprünglichen Wildtyp des Virus und mehrheitlich auch nicht mehr auf der längere Zeit dominierenden mutierten sogenannten Delta-Variante, sondern inzwischen auf der sogenannten Omikron-Variante. Nach bisherigen Erkenntnissen war Delta um 60-80% ansteckender als der Wildtyp.

Omikron entstand unabhängig von der dominierenden Delta-Variante und besitzt nach Aussagen des Robert-Koch-Instituts (RKI) im Vergleich zum ursprünglichen Wildtyp SARS-CoV-2 aus Wuhan eine ungewöhnlich hohe Zahl von ca. 30 Aminosäureänderungen im Spike-Protein, darunter solche mit bekanntem phänotypischem Einfluss (Erhöhung der Transmission, Immunevasion, Übertragbarkeit), aber auch viele Mutationen, deren Bedeutung unklar ist.

Alle Impfstoffe, die aktuell in Deutschland zur Verfügung stehen, schützen nach derzeitigen Erkenntnissen des RKI bei vollständiger Impfung sehr gut vor einer schweren Erkrankung. Gleichzeitig weist das RKI darauf hin, dass die Wirksamkeit der einzelnen Impfstoffe gegen die Omikron-Variante noch nicht endgültig zu beurteilen ist.

Ein relevanter Teil der Bevölkerung hat jedoch weiterhin noch keinerlei Immunschutz. Mit Stand 11. Januar 2022 waren mindestens 60 Millionen Personen vollständig geimpft (72,2 Prozent der Gesamtbevölkerung) und mindestens 36,8 Millionen Personen hatten eine Auffrischungsimpfung erhalten. Das RKI geht davon aus, dass die tatsächliche Impfquote um bis zu 5 Prozentpunkte höher liegt als das Impfdashboard des Bundes angibt, da eine hundertprozentige Erfassung durch das Meldesystem nicht erreicht würde.

Unabhängig davon ist weiterhin rund ein Viertel der Bevölkerung (25,2 Prozent) nicht geimpft, wobei zu berücksichtigen ist, dass für rund 4 Millionen dieser Menschen im Alter von 0 bis 4 Jahren kein Impfstoff zugelassen ist.

Vom Ziel einer Impfquote, die wenigstens 85% der impffähigen Bevölkerung umfasst, ist Deutschland weit entfernt.

Ethikrat: »Impfdebatte im Raum der Ungewissheit«

Angesichts dessen wird innerhalb der wissenschaftlichen, medialen und politischen Öffentlichkeit über eine COVID-19-Impfpflicht sowohl für einzelne Berufsgruppen als auch für diejenige Bevölkerung, für die seitens der Ständigen Impfkommission (STIKO) eine Impfempfehlung ausgesprochen wird, diskutiert. Das geltende Recht kennt keine Impfpflicht im engeren Sinne, sieht man von bestimmten Sonderregelungen für Soldatinnen und Soldaten ab. Das Verteidigungsministerium hat die Corona-Schutzimpfung für die Männer und Frauen in der Bundeswehr am 24.11.2021 duldungspflichtig gemacht.

Aufgrund der erheblichen grundrechtlichen, individuellen Eingriffstiefe und der zu befürchtenden Vertiefung der sich innerhalb des Pandemiegeschehens herausgebildeten gesellschaftlichen Bruchlinien ist es erforderlich, exakt zu klären, was unter einer Impfpflicht genau verstanden wird, die rechtlichen Grundlagen zu definieren und Fragen der praktischen Umsetzung ebenso zu beschreiben wie mögliche weniger einschneidende Maßnahmen.

Der Deutsche Ethikrat spricht in seiner jüngsten Stellungnahme davon, dass die »Debatte um eine allgemeine Impfpflicht […] in einen Raum vielfacher Ungewissheit« stößt. Einerseits habe sich die Faktenlage über den Verlauf der Pandemie mehrfach erheblich geändert und andererseits bestünden weiterhin Daten- und Wissenslücken. »Virusvarianten wie Omikron und erwartbar weitere Varianten des Virus nötigen Sachverständige dazu, ihre Einschätzungen zum künftigen Pandemieverlauf immer wieder aufs Neue zu revidieren. Dies ist innerhalb des Wissenschaftssystems gängige Praxis, führte aber in Politik und Medien teils zu Irritationen und Missverständnissen.«

Erbeten wurde diese Stellungnahme des Deutschen Ethikrates am 2. Dezember durch die Bundesregierung und die Ministerpräsident:innen der Länder. Es ist nicht erkennbar, dass die seit dem 22. Dezember 2021 vorliegende Stellungnahme in der politischen Argumentation der Ampelkoalition, der Unionsparteien oder den Ministerpräsident:innen der Länder, die Kritik an noch nicht vorliegenden Anträgen zur Impfpflicht im Deutschen Bundestag üben, reflektiert wird. Im Gegenteil.

Dies wäre jedoch notwendig, denn der Ethikrat sieht in dem von ihm beschriebenen Raum der Ungewissheit Stolperfallen einer Impfpflicht-Debatte, auf die zu reagieren wäre: »Der ständige Lern- und Anpassungsprozess in einer sich so schnell wandelnden Pandemie ist nicht leicht zu kommunizieren. Der faktischen Unsicherheit aufgrund des dynamischen Mutations- und Infektionsgeschehens entspricht die kommunikative Ungewissheit aufgrund sich kontinuierlich wandelnder Informationsstände, die sich teils mit Desinformationskampagnen kreuzen. Informations- und verwaltungstechnische Strukturen wurden immer noch nicht den neuen Herausforderungen angepasst. Die vielen Belastungen in der Krise und die individuelle wie kollektive Erfahrung der Ungewissheit haben gesellschaftliche Spuren hinterlassen. Der Ton öffentlicher Auseinandersetzungen wird schärfer, die Menschen, die sich am Diskurs beteiligen, werden ungeduldiger.«

Wer, wie der Autor dieses Beitrags in einem von der Rosa-Luxemburg-Stiftung publizierten Positionspapier, nun eine Impfpflicht als ultima ratio betrachtet und in der gegenwärtigen Pandemie-Situation für deren Umsetzung plädiert, muss sich bewusst sein und damit sehr offen umgehen, was Tatjana Heid in der FAZ vom 23.11.2021 formulierte: »Vielleicht mehr noch als in früheren Wellen rächen sich derzeit Aussagen, die sich später nicht halten lassen. Etwa die, dass es in Deutschland keine Impfpflicht geben werde […]. Dass nun doch eine Impfpflicht zumindest für bestimmte Berufsgruppen kommen soll, geht nur noch zum Preis eines möglichen Vertrauensverlusts.«

Unverzichtbar: Abwägen, Verhältnismäßigkeit beachten, aufklären und settingorientiert handeln

Die gesellschaftliche Impfpraxis ist, wie der Ethikrat bereits 2019 in seiner Stellungnahme zur Debatte um die verpflichtende Masernimpfung – gegen die er sich im Übrigen damals wandte – ausführte, geradezu ein »Musterbeispiel solidarischen Handelns«, das Individualwohl und das Gemeinwohl miteinander verschränkt. Denn Infektionskrankheiten, die von Mensch zu Mensch verbreitet werden, sind davon gekennzeichnet, dass sich manche Menschen nicht ausreichend gegen diese Infektion schützen können, selbst wenn sie dies wollten. Hierzu gehören beispielsweise Menschen mit einer eingeschränkten Immunabwehr aber auch diejenigen, die trotz Zweitimpfung keinen ausreichenden Schutz entwickeln.

Infektionskrankheiten schaffen zwar eine gemeinsame Gefahrenlage, deren Abwehrmöglichkeiten individuell und aufgrund sozialer Ungleichheit asymmetrisch verteilt sind. Die moralische Pflicht zur Impfung ist insoweit aus Solidaritäts- und Gerechtigkeitserwägungen abzuleiten.

Der Ethikrat gab seinerzeit einer Regelung im Rahmen von sozial verbindlichen Ethos-Regeln den Vorrang, wenngleich er betonte, dass sich diese Einschätzung »beim Eintreten besonderer Gefahrenlagen ändern [könne]. So wäre eine Verschärfung von Tugend- zu Rechtspflichten beispielsweise zu rechtfertigen, wenn eine akute Gefährdung der Gesundheit großer Teile der Bevölkerung rigide Interventionen erforderte.« (Ethikrat 2019: 78) Denn »der Anspruch Dritter auf Schutz vor Fremdschädigung kann zu einem Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht berechtigen, gegebenenfalls auch mit der Konsequenz eines Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit, sofern die Gefahr groß und unmittelbar drohend ist und sich nicht auf andere, weniger eingreifende Weise abwenden lässt« (a.a.O.: 82).

In seiner jüngsten Stellungnahme weist der Ethikrat anhand von neun Aspekten darauf hin, dass nicht nur die Debatte über die Impfpflicht in einem Raum der Ungewissheit geführt wird, sondern auch seine eigenen Empfehlungen zwar die aktuell zur Verfügung stehenden empirischen Erkenntnisse zugrunde legen, die jedoch – wie dargelegt – Wandlungsprozessen aufgrund neuerer Entwicklungen daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen unterworfen sein können resp. werden. »Hieraus folgt die konsequente Revisionsoffenheit und –bedürftigkeit der folgenden Ausführungen und Empfehlungen. Sie müssen bei Bedarf überprüft und angepasst und/oder weiterentwickelt werden, um einer veränderten Faktenlase oder einem verbesserten Wissensstand Rechnung zu tragen.« (Ethikrat 2021: 4) Das klingt zunächst selbstverständlich, ist es aber nicht – vor allem in der Sphäre eines der Aufmerksamkeitsökonomie unterworfenen medial geprägten politischen Diskurses.

Der Ethikrat nimmt im Folgenden eine ausführliche verfassungsrechtliche Abwägung einer Impfpflicht, der Alternativen und »milderen Mittel« sowie der wirksamen Durchsetzung bzw. praktischen Fragen der Umsetzung (Normakzeptanz, Gewährleistung der effektiven Geltung der Impfpflicht, Ausnahmen von der Impfpflicht) und der Verhältnismäßigkeit vor. Denn »auch andere rechtliche Konsequenzen, die der Gesetzgeber an die Impfpflicht bzw. ihre Nichteinhaltung knüpft (indirekte Durchsetzung), müssen diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben genügen«. (Ethikrat 2021: 7) Er betont erneut, dass eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht keine Zwangsimpfung darstellen dürfe – die wiederum, dies sollte betont werden, auch niemand im wissenschaftlichen oder politischen Raum gefordert hat. Er betont, dass eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch moralisch akzeptabel sein muss und erläutert die ethischen Grundsätze Freiheit, Selbstbestimmung über den eigenen Körper, Nichtschädigung und Integritätsschutz, Gerechtigkeit und Rechtsgleichheit, Nachhaltigkeit und Folgenverantwortung sowie Solidarität.

Auf dieser Grundlage diskutiert er im Folgenden Argumente gegen eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht:

  • Unverhältnismäßiger Eingriff in persönliche Freiheit und körperliche Unversehrtheit?
  • Kein geeignetes oder erforderliches Mittel?
  • Unangemessen und nicht zumutbar?
  • Probleme der Umsetzung und der Durchsetzung?
  • Stigmatisierung unfreiwillig Ungeimpfter?
  • Mögliche negative gesellschaftliche Folgen?
  • Beförderung kriminellen Verhaltens?
  • Globale Perspektive.

Diesen Argumenten gegen eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht stellt er die Argumente für eine solche Impfpflicht gegenüber:

  • Verhältnismäßiger Eingriff in körperliche Selbstbestimmung und Unversehrtheit?
  • Eignung zur Minderung von Bedrohungslage und Risiken?
  • Positive Freiheitsbilanz?
  • Faire Verteilung von Belastungen?
  • Potenzielle positive Folgen?

Auf der Grundlage dieser Abwägungen kommt der Ethikrat abschließend – bei vier Gegenstimmen seiner 20 Mitglieder – zur Empfehlung, die gesetzliche Impfpflicht gegen das Sars-CoV-2-Virus über die bestehende einrichtungsbezogene Impfpflicht hinaus auszuweiten. Diese Empfehlung verbindet der Ethikrat mit aus seiner Sicht notwendigen Flankierungen:

  • Es muss eine flächendeckende Infrastruktur mit sehr vielen niedrigschwelligen Impfangeboten und ausreichend Impfstoff zur Verfügung stehen und der Impfstoff soweit möglich frei wählbar sein.
  • Es sollte eine direkte Einladung von Impfverpflichteten mit dem Angebot personalisierter Impftermine geben und die Aufforderung zur Impfung mit einem umfassenden, niederschwelligen Beratungsangebot verknüpft werden. Eine wertschätzende und zugewandte Kommunikation hält der Ethikrat für unerlässlich.
  • Zielgruppenspezifische, kultursensible, mehrsprachige und leichtverständliche Informationen, auch über soziale Medien in enger Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Institutionen entsprechen dem, was auch der Autor dieses Beitrag als »settingorientierte Strategie« für eine Impfpflicht befürworten.

Hinsichtlich des Umfangs einer ausgeweiteten Impfpflicht gehen im Ethikrat – jenseits der vier Stimmen, die sich der Empfehlung insgesamt nicht angeschlossen haben – die Meinungen in Form zweier unterschiedlicher Positionen auseinander und werden gesondert dargestellt und begründet.

Sieben von 20 Ethikrat-Mitgliedern befürworten eine nach dem jeweiligen Risiko differenzierten Impfpflicht für sinnvoll. Sie soll sich beschränken auf »bezüglich Covid-19 besonders vulnerable erwachsene Personen (etwa Ältere und Vorerkrankte). Die Auswahl der einzubeziehenden Personen orientiert sich an dem Ziel, eine Überlastung des Gesundheitswesens, speziell der Intensivstationen, zu vermeiden«.

Dreizehn der 20 Ethikratmitglieder befürworten eine Impfpflicht, die alle in Deutschland lebenden Personen über 18 Jahre gesetzlich erfasst, um auf diesem Wege eine endemische Situation zu erreichen.

»Methode Merkel« oder verantwortungsvoller Diskurs

»Die politischen Akteure und staatlichen Instanzen sollten bestehenden gesellschaftlichen Zerwürfnissen bewusst entgegenwirken, um Frontstellungen zwischen den geimpften und nicht geimpften Menschen aufzulösen«, schreibt der Ethikrat der Bundesregierung und den Ministerpräsident:innen ins Stammbuch, die ihn zu einer Stellungnahme ersucht hatten.

Die öffentlich geführte Debatte seitens der Union einerseits und das zögerliche und zurückhaltende Agieren der Ampel auf der anderen Seite sind von diesem Anspruch weit entfernt. Der Union geht es weniger um die an der Bevölkerung und dort bestehenden Befürchtungen, Überspitzungen und fehlenden Informationen im »Raum der Ungewissheit« als vielmehr um politischen Geländegewinn gegenüber der Ampelkoalition.

Die noch junge Koalition einschließlich des Kanzlers verspielt wiederum ihr Vertrauenskapital durch die Verlängerung der »Methode Merkel«, auf eine pro-aktive Bevölkerungsinformation und die Erklärung politischen Handelns zu verzichten.

Dabei war die Entscheidung von Kanzler Scholz richtig, die Abstimmung über die Ausgestaltung einer gesetzlichen Impfpflicht nicht dem sonst üblichen Fraktionszwang zu unterwerfen. Schon die Abwägung des Ethikrates zeigen die Linien auf, in denen sich Gruppenanträge im Deutschen Bundestag überfraktionell bewegen sollten. Freilich müssten diese nun auch tatsächlich erarbeitet und öffentlich vorgestellt werden. Dass dies nicht geschieht, schadet dem Anliegen und bestätigt den Eindruck eines im föderalen und parteipolitischen Wettbewerb feststeckenden Pandemiemanagements.

Nicht zuletzt verlaufen die Unterschiede in der Ablehnung oder Befürwortung einer allgemeinen oder gruppenspezifischen Impfpflicht nicht zwischen sondern innerhalb der Parteien. Die Partei DIE LINKE beispielsweise stellt in der Hansestadt Bremen und in Thüringen die Senatorin bzw. die Ministerin für Gesundheit. Während letztere mit dem Autor dieses Beitrags für die allgemeine gesetzliche Impfpflicht plädiert, lehnt die Bremer Senatorin dies ab. Nicht anders in anderen Parteien.

Insoweit wäre es ebenso wünschenswert wie hilfreich gewesen, wenn der Deutsche Bundestag in der laufenden Woche eine Debatte über das Für und Wider der unterschiedlichen Ausgestaltungen von Impfpflichten geführt hätte, statt sie zu vertage. Die Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierungen, ob nun Ministerpräsident:innen oder Fachminister:innen hätten an einer solchen Debatte aktiv teilnehmen können. Dies ist nicht unüblich.

Auch der Bundesrat, der am Freitag dieser Woche eine höchstwahrscheinlich nur weniger Minuten dauernde Sitzung durchführen wird, hätte – durch die Ministerpräsidenten, die sich für eine allgemeine Impfpflicht einsetzen und dies vom Bund fordern, ohne genau zu sagen, welches Modell sie warum befürworten – eine solche Debatte auf die Tagesordnung setzen und dabei sowohl durch Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) als auch Justizminister Buschmann (FDP) die unterschiedlichen Abwägungen einer interessierten gesellschaftlichen Öffentlichkeit vortragen können.

Da wie dort hätte dann auch öffentlich wahrnehmbar erläutert werden können, warum eine Impfpflicht im laufenden Omikron-Winter wohl nicht mehr wirksam werden wird, wie Ulrike Baureithel im FREITAG Nr. 47/2021 zutreffend darstellte. Und warum die Schlussfolgerung aber nicht in der stillen Beerdigung des Themas liegen kann, sondern in der fortgesetzten Abwägung einer weiterhin erforderlichen Impfpflicht und deren konkreter Ausgestaltung.

In der Süddeutschen Zeitung formulierte Jörg Häntzschel am 19. November 2021 in einem Kommentar über die deutsche Politik, die ihre Sprache – auch und gerade in der Pandemie – verloren habe: »Das Verleugnen der eigenen Autorität, das sich in den Merkel-Jahren eingeschliffen hat, macht den Staat nicht demokratischer, ermöglicht nicht mehr Partizipation und Transparenz. Im Gegenteil. Die Machtstrukturen sind dieselben, nur bietet diese Politik keine Angriffsfläche mehr, sie isoliert sich gegen Widerspruch und Auseinandersetzung – und sie macht sich gerade dadurch für ihre Gegner verdächtig«. Dies ist grundsätzlich fatal – bei der notwendig zu führenden gesellschaftlichen Debatte über eine gesetzliche Impfpflicht dürfte der Vertrauensverlust aufgrund fehlender Diskursivität tiefgreifender sein als heute absehbar ist.