12.12.2019

Rede zur wirtschaftlichen Situation der Thüringer Bäuerinnen und Bauern

Rede zur Aktuellen Stunde der FDP "Wer das Land ernährt, verdient Respekt – wirtschaftliche Situation der Thüringer Bauern" am 11.12.2019

Anrede,

ich bin Ihnen dankbar, sehr geehrte Damen und Herren der FDP, dass Sie in der ersten regulären Sitzung des Landtags in dieser Wahlperiode die Situation der Landwirtinnen und Landwirte in unserem Freistaat zum Thema machen.
Wenn wir oft betonen, dass die hart arbeitende Arbeitnehmermitte Respekt und Anerkennung verdient, dann gelten Respekt und Anerkennung wohl auch in besonderer Weise denjenigen in unserem Freistaat, die sieben Tage in der Woche und 365 Tage im Jahr auf Feldern, Wiesen und in den Ställen die Grundlagen unserer Ernährung besorgen.
Respekt also für diejenigen, die dann auf den Feldern, Wiesen und in den Ställen arbeiten, wenn wir uns gemeinhin noch einmal auf die Seite drehen oder im Sommer den schönen Abend genießen und romantisch verklärt auf den Mähdrescher oder Traktor auf dem Feld blicken bzw. wenn wir fröstelnd versuchen, so wenig wie möglich draußen zu sein.
Für diese wenig romantische, sondern tägliche harte Arbeit Respekt zu zollen, ist tatsächlich das Mindeste was wir tun können.

Anrede,
es geht jedoch um deutlich mehr als um Respekt in Sonntagsreden oder einer Aktuellen Stunde.
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als eine Wende in der Landwirtschaftspolitik. Zu dieser Wende gehört freilich auch, sich von einfachen Weltbildern und unterkomplexen Erklärungsmodellen zu verabschieden.
Wer behauptet, „die Umweltpolitik“ würde gegen „die Landwirte“ kämpfen, betreibt ein ebenso unlauteres Geschäft, wie diejenigen, für dies es entweder nur freundliche und zukunftszugewandte Biohöfe oder im Gegensatz dazu nur eine klimavernichtende konventionelle Landwirtschaft von Agrarmultis und Konzernen gibt. Politik wäre so einfach, wenn die Welt so einfach wäre.

Nutzen wir also diese Aktuelle Stunde um einen realistischen Blick auf die spezifische Situation der Landwirtinnen und Landwirte in Thüringen, also einem ostdeutschen Bundesland zu werfen. Und um einen Schritt dahingehend zu leisten, in den kommenden fünf Jahren vernünftige und realistische Landwirtschaftspolitik zu betreiben:

Eine unserer ebenso beliebten wie zutreffenden rhetorischen Figuren lautet, dass kleine und mittlere Unternehmen das Rückgrat unserer Wirtschaft im Freistaat sind. Dies gilt in gleicher Weise auch für unsere landwirtschaftlichen Betriebe. Sie sind das Rückgrat unserer Ernährungssicherheit. Gerade in Thüringen sichern die größeren landwirtschaftlichen Unternehmen oft Arbeit und Wertschöpfung in der Region. Sie prägen weite Teile unserer Kulturlandschaft.

Viele der hier tätigen landwirtschaftlichen Unternehmerinnen und Unternehmer verstehen sich als Fürsprecherinnen und Fürsprecher der ländlichen Räume. Sie nehmen deshalb Verantwortung wahr. So werden vier der 15 Regionalen Aktionsgruppen LEADER von Landwirten aus großen Unternehmen in unserem Freistaat geführt.
Die Landwirtinnen und Landwirte nehmen jedoch wahr, dass in der Gesellschaft über ihren Kopf hinweg über die Zukunft der Landwirtschaft bzw. den vermeintlich epischen Kampf zwischen konventioneller Landwirtschaft und Klimaschutz verhandelt wird.
Fragen von Wertschöpfung, betriebswirtschaftlicher Logik und ökonomischer Existenzfurcht vieler Landwirtinnen und Landwirte werden oft genug nicht ernst genommen. Stattdessen wird zu oft allen Landwirtinnen und Landwirten pauschal unterstellt, die Gegner von Natur-, Arten- und Bodenschutz zu sein. Dass diejenigen, die täglich auf Feldern, Wiesen und im Stall sind, diese Art Debatte als unzulässig kritisieren, kann ich nachvollziehen. Ich finde es verständlich, wenn Landwirtinnen und Landwirte kritisieren, dass ihnen zunehmend die Deutungshoheit zu diversen offenen Fragen über ihre Zukunft verloren zu gehen scheint.
Und ich kann sehr gut nachvollziehen, dass es eine spürbare Differenz gibt, zwischen dem Stolz auf die eigene Arbeit und dem Gefühl zunehmender gesellschaftlicher Missachtung.

Gerade in unserem Freistaat kann ich dies verstehen. Unsere Thüringer Landwirtschaftsbetriebe haben die ökonomischen Umbrüche seit 1990 gut bewältigt. Es ist ihnen gelungen, im Vergleich zu anderen ostdeutschen Produktionszweigen relativ günstigere Produktionskapazitäten zu schaffen. Die aus den LPG entstandenen Großunternehmen haben sich am Markt behaupten können. Das hat nicht nur bei den Landwirtinnen und Landwirten sondern im ländlichen Raum insgesamt Stolz hervorgerufen. Die ostdeutsche Landwirtschaft hat im Unterschied zur ostdeutschen Industrie in den schweren Transformationsjahren der 1990er und früheren 2000er Jahre Stabilität gewahrt, obwohl nur jeder fünfte Arbeitsplatz gesichert werden konnte. Doch das war immer noch zweimal mehr als in der ostdeutschen Industrie.
Wenn der Ministerpräsident darauf hinweist, dass jede Thüringer Familie Geschichten von Erwerbslosigkeit in den 1990er Jahren erzählen kann, dann wird der Stolz der Thüringer landwirtschaftlichen Betriebe auf das Erreichte klar erkennbar.

Andererseits müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass nicht alles, was Landwirtinnen und Landwirte tun, selbsterklärend ist. Ebenso zutreffend ist, dass Bauernverbände in der Vergangenheit nicht anders als klassische Wirtschaftslobbyisten aufgetreten sind. Freiwillige Selbstverpflichtungen, die zu oft nicht kontrolliert wurden, statt verbindlicher Regelungen. Möglichst weichgespülte Zielformulierungen statt mittelfristig wirksamer Grenzwerte, die in Verbindung mit Umstellungshilfen für die Betriebe Planungssicherheit geben. Notwendige Anpassungen und Veränderungen wurden verzögert und neue Regelungen verwässert. Zu lange wurde den Landwirtinnen und Landwirten von ihren eigenen Verbänden suggeriert, dass es ausreichen wird, sich gegen die vermeintlich sachfremde Einmischung von außen zu wehren um den Status quo aufrecht zu erhalten.

Anrede,
doch obwohl im landwirtschaftlichen Sektor in Deutschland die fremd gesetzten und freiwillig akzeptierten Umweltziele nicht erreicht wurden. Und obwohl weiterhin evidente Probleme beim Tierwohl bestehen, kann dieser Zustand nur durch beharrliches Arbeiten an sinnvollen, praktikablen und wirtschaftlich sinnvollen Lösungen überwunden werden.
Ich bin froh, dass viele Landwirtinnen und Landwirte die Zeichen der Zeit erkannt haben. Sie sind offen für neue Ideen und Ansätze. Mehr noch: sie setzen diese Ideen bereits im Alltag um. Die Agrargenossenschaft Mellingen im Kreis Weimarer Land hat die Patenschaften für Blühflächen entlang des Ilmradweges übernommen. Sie bietet auf ca. 200 Parzellen Biodiversität und Lebensräume für Bienen an. Finanziert wird das durch crowd funding.
 In drei Regionen Thüringens bestehen Gewässerschutzkooperationen, die Landwirtinnen und Landwirte mit der Wasserwirtschaft zusammenführen.
In Landschaftspflegeverbänden arbeiten Naturschutz, Landwirtschaft und Kommunen gemeinsam an Landschaftspflege und dem Erhalt der Artenvielfalt.
In der Schweinehaltung haben wir Betriebe, die auf das Kupieren der Schwänze und auf die Kastration der männlichen Ferkel durch Ebermast oder Immunokastration durch Impfung verzichten.
Mein Ziel besteht darin, diese Beispiele zur flächendeckenden Realität in Thüringen werden zu lassen. Dazu müssen aber Voraussetzungen auch in ökonomischer Hinsicht bestehen.

Anrede,
ich bin bereits auf die tiefgreifende Umstrukturierung der ostdeutschen Agrarbetriebe seit 1990 eingegangen. Seit 30 Jahren wird in der bundesdeutschen Landwirtschaftspolitik von den Ost-Agrarminister*innen darum gerungen, die Förderpolitik so auszugestalten, dass diese Betriebe existenzfähig sind. Gerade weil sie die Grundlage für Arbeit und Wertschöpfung in unseren Dörfern sind.
Wer den Landwirtinnen und Landwirten in unserem Freistaat vorwirft, zu wenig Veränderungsbereitschaft zu zeigen, der verkennt, dass in unseren landwirtschaftlichen Betrieben seit nunmehr 30 Jahren ein permanenter Strukturwandel praktiziert wird. Und in der Wahrnehmung dieser Betriebe sind die Rahmenbedingungen dabei schwieriger als einfacher geworden.
Die unmittelbaren ökonomischen Wirkungen der Globalisierung sind im Agrarsektor manifest spürbar. Staatliche Fördermaßnahmen werden weniger aber immer öfter müssen sich die Betriebe wegen der vermeintlich zu üppigen Agrarförderung rechtfertigen.
Da ist an erster Stelle der Vorwurf, dass die Landwirte öffentliche Zahlungen erhalten, ohne öffentliche Leistungen zu erbringen. Die öffentlichen Leistungen werden nicht an der Ernährungssicherung und Stabilisierung der ländlichen Räume, sondern allein an Leistungen für die Umwelt, festgemacht.
Besonders schwerwiegend sind die Unterstellungen, dass gerade größere Betriebe wegen vermeintlich üppiger Subventionen, geringere Preise für Getreide, Milch und Fleisch verkraften und deshalb die unzulänglichen Marktpreise selbst  verursachen.
Wie globale Entwicklungen auf die regionale Landwirtschaft wirken, hat die Milchkrise in 2016 gezeigt. Zurückgehende Nachfrage in China und Überproduktion in Neuseeland haben die Milchpreise ins bodenlose fallen lassen. Aber staatliche Hilfen für die Milcherzeuger in Deutschland wurden als untaugliches Instrument zur Sicherung der Profitinteressen der Milchindustrie angeprangert.

Anrede,
es geht also künftig um nicht mehr und nicht weniger, als in der Agrarpolitik die Weichen so zu stellen, dass die Widersprüche und Zielkonflikte, die zwischen ökonomischem und ökolo-gischem Handeln gesehen werden, gelöst werden können.
Angesichts der ökonomischen Abhängigkeiten im Landwirtschaftssektor ist es die Aufgabe der Politik, Umweltleistungen der Landwirtschaft finanziell zu unterstützen.

Das bedeutet auf EU-Ebene, dass bei der Agrarförderung Bürokratie abgebaut und Leistung vor Größe honoriert werden muss.
Es ist nur gerecht, jeden Hektar gleich zu fördern, damit alle Betriebe, egal ob klein oder groß, ihren notwendigen Beitrag zur Umsetzung der wichtigen Umwelt- und Klimaziele erbringen können.
Zudem darf es Freihandelsabkommen wie mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten, nur mit sicheren und vergleichbaren Sozial- und Umweltstandards geben.
Auf Bundesebene brauchen wir endlich eine staatliche Unter-stützung der landwirtschaftlichen Risikovorsorge, wie es sie bereits in 18 anderen EU-Staaten gibt.
Auf Landesebene werden wir gewährleisten, dass die Agrarstruktur erhalten bleibt und Bauern es sich weiterhin leisten können, Boden zu kaufen und zu pachten.
Und von den Verbraucherinnen und Verbrauchern wünsche ich mir eine stärkere Anerkennung und größeren Respekt vor der Leistung unserer heimischen Landwirtschaft, die sich auch in der Bereitschaft widerspiegelt, mehr für die qualitativ hochwertigen Agrarprodukte aus der Region zu bezahlen.
Unsere landwirtschaftlichen Betriebe müssen im Wettbewerb bestehen können.
Gleichzeitig müssen die Ökosystemleistungen, die zusätzlich zur Lebensmittelerzeugung erbracht werden, verbessert werden.

Anrede,
um das zu erreichen, sind verschiedene Instrumente erforderlich:
•    wir brauchen wirksame Preis- und Anreizmechanismen sowie dosierte Auflagen und, wo nötig, ordnungsrechtliche Maßnahmen;
•    wir brauchen eine noch stärkere Unterstützung von Innovationen und Digitalisierung im Agrarbereich;
•    und wir brauchen die weitere Förderung von regionalen Wertschöpfungsketten und ökologischem Landbau.

Unsere Agrarpolitik in dieser Wahlperiode muss moderierend wirken und die gesellschaftlichen Anforderungen an die Landwirtschaft mit den unter vorhandenen Marktzwängen agierenden Landwirtinnen und Landwirten in Einklang bringen.
Der Präsident des Anbauverbands „Bioland“, Jan Plagge, brachte es aus meiner Sicht ziemlich gut auf den Punkt, indem er sagte: „In Zukunft muss gelten: Nicht was sich rechnet, ist richtig, sondern was richtig ist, muss sich rechnen.“ Aber das ist das genaue Gegenteil von der über lange Zeit die gemeinsame Agrarpolitik strukturierenden Grundlage die hieß: „Wachse oder weiche!“ Dieses Konzept von „Wachse oder weiche!“ ist genau das, was Artenvielfalt, Natur- und Bodenschutz, aber auch vielen Betrieben das Wasser bis zum Hals hat stehen lassen - und nicht in bester Gewässerqualität. Genau deshalb ist Ehrlichkeit die Maxime jeder landwirtschaftlichen Debatte, die wir in dieser Wahlperiode führen sollten.

Vielen Dank!