19.04.2019

Handlungsperspektiven für die Thüringer Museen

Erschienen in: Hoff, Benjamin-Immanuel, Handlungsperspektiven für die Thüringer Museen, in: Thüringer Museumsheft, Heft 1/2019

Das Museum ist, wie Walter Grasskamp in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung bemerkte, das Chamäleon unter den Kulturinstitutionen: "Es ist Heimatmuseum oder Hauptstadtattraktion, Stadtteilforum oder Touristenmagnet, kommunal oder staatlich, privat oder öffentlich, menschenleer oder touristenbelagert. Und die Liste der Gegenstände, Personen und Ereignisse, denen es sich widmen kann, ist schier endlos. Es ist daher schwer, Thesen über das Museum aufzustellen, für die sich nicht sofort Gegenbeispiele finden lassen."

 

Ich stimme der Beschreibung zu, denn auch meine Erfahrung als Kulturminister des Freistaates Thüringen ist davon geprägt, dass an unsere Museen sehr unterschiedliche Erwartungen gerichtet werden. Neben ihren Kernaufgaben des Sammelns, Bewahrens, Forschens, Ausstellens und Vermittelns sind neue Herausforderungen getreten. Die Museen sollen Orte kultureller Bildung sein, in der Lage sein auf gesellschaftliche Diversität mit Interkulturalität, Barrierefreiheit und einfacher Sprache zu reagieren, die Provenienz ihrer Sammlungen erforschen und kritisch reflektieren bzw. unrechtmäßig erworbenes Eigentum aus NS-Raubkunst oder kolonialen Kontexten zurückgeben und in der Digitalisierung von Kulturgut ebenso Vorreiter wie bei der Nutzung sozialer Medien und digitaler Vermittlung sein. Als Orte von Kulturtourismus sollen sie natürlich zeitgemäßes Marketing betreiben und ihre Besucherzahlen steigern, Ausstellungen generieren und dabei aber immer im Budget bleiben.

Dies alles unter den Rahmenbedingungen von vielfach unzeitgemäßen Gehältern und Stelleneinsparungen und obwohl es Bund, Ländern und Gemeinden konjunkturell lange nicht so gut ging wie in den vergangenen Jahren.

 

Kurzum: Die Erwartungen an die Museumslandschaft - nicht allein in Thüringen - standen und stehen nicht selten in einem spürbaren Widerspruch zu den ihnen zur Verfügung gestellten sächlichen und personellen Ressourcen.

 

Der Bibliotheksverband sieht Bibliotheken als die „Wohnzimmer der Städte". In diesem Sinne verstehe ich Museen als genuine Stadtmöbel – sie sind nicht selten Mittelpunkt unseres Gemeinwesens. Und stehen am Ende der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts vor einem Bündel an Herausforderungen. Für deren Bewältigung benötigen sie einerseits die gemeinschaftliche Unterstützung vorrangig ihrer Träger, also der Gemeinden und der Länder, denen nach unserer Verfassungsordnung die Kultur als Kernaufgabe obliegt. Andererseits kommen der Bund, private Mäzene, Förderer oder Spender hinzu, bei denen wir konstatieren müssen, dass die Verteilung privaten Kapitals auch dreißig Jahre nach der friedlichen Revolution in der Bundesrepublik weiterhin einer starken Ungleichheit zwischen West und Ost unterliegt.

 

Angesichts dieser Rahmenbedingungen legten auf meine Initiative hin die Kulturabteilung der Thüringer Staatskanzlei und der Thüringer Museumsverband im Jahr 2017, erstmals seit der Wiedergründung des Freistaates Thüringen 1990, eine gemeinsame Entwicklungsstrategie für die Thüringer Museumslandschaft vor. Sie wurde unter die Überschrift »Museumsperspektive 2025« gestellt.

 

 

 

Die Idee der »Museumsperspektive« beruht auf den ein Jahr zuvor abgeschlossenen Verträgen mit den Theatern und Orchestern des Freistaates. Diesen mehrjährigen Finanzierungsverträgen ging ein Analyseprozess voraus, bei dem strukturelle Rahmenbedingungen dieser Kulturinstitutionen, darunter verändertes Rezeptionsverhalten, Altersstruktur der Theater- und Konzertbesucher/-innen, Tarifentwicklung der Beschäftigten, Sanierungsaufwand etc. eruiert und mit einer Entwicklungsstrategie versehen wurden, die wiederum Gegenstand partizipativer Beteiligungsprozesse sowohl der Institutionen (Intendantenkonferenz, Spartenvorstände, Betriebsräte) als auch der Konsument/-innen (Fördervereine etc.) gewesen war.

 

Nachdem der Fokus öffentlicher Kulturdebatten lange Zeit auf die Theater und Orchester gerichtet war, die bekanntlich einen erheblichen Anteil der Kulturausgaben auf sich vereinigen, war es nicht nur legitim, sondern insbesondere angemessen und erforderlich, die kulturpolitisch gleichermaßen wichtige Landschaft der Museen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken.

 

Der rund zwei Jahre dauernde Analyse- und Diskussionsprozess war von Beginn an darauf ausgerichtet, zwischen Museumsverband und Staatskanzlei eine partnerschaftliche und nicht durch Hierarchien gestörte Arbeitskultur zu gewährleisten und grundsätzlich ohne eine haushaltspolitische „Schere im Kopf“ die Herausforderungen und Probleme der Museumslandschaft zu identifizieren, aber auch darauf eine Landkarte der Thüringer Museen zu zeichnen, die dazu beiträgt, sich ein Bild von dieser Landschaft machen zu können.

 

Um die mit der Museumsperspektive 2025 vorgelegten Handlungsempfehlungen, die bis Jahresende in einem partizipativen Prozess erörtert und weiter entwickelt werden sollen, zu fundieren, entschieden die für Kultur zuständige Thüringer Staatskanzlei und der Thüringer Museumsverband mittels zweier Online-Befragungen, die vom Büro für Kulturevaluation in Karlsruhe betreut und ausgewertet wurden, einen Istzustand der Museen zu erheben.

 

Von den rund 230 Mitgliedsmuseen wurden 147 Museen befragt, von denen sich 125 Museen an der Befragung beteiligten. Allein diese hohe Rücklaufquote zeigt das Interesse, aber auch die Bereitschaft der Museen, Antworten auf die Herausforderungen der Museumslandschaft zu finden. Abgefragt wurde ein breites Spektrum an Themen, von den Öffnungszeiten über die Nutzung sozialer Medien, die Bewertung der Depotsituation, die personelle Ausstattung, die Kooperation mit anderen Museen und Kultureinrichtungen bis hin zu Freundeskreisen und Fördervereinen sowie dem Inventarisierungsgrad und dem Restaurierungsbedarf der Sammlungsobjekte.

 

Das Panorama der Antworten gibt ein vielfältiges Mosaik wieder und zeigt eine latent asymmetrische Museumsstruktur. Großen Einrichtungen wie z. B. der Klassik Stiftung Weimar und ihren Museen oder der Gothaer Stiftung Schloss Friedenstein und deren Sammlungen stehen mittlere Institutionen wie der Zweckverband Mühlhäuser Museen oder städtische Museumsverbünde wie in Erfurt oder Gera gegenüber. Daneben bestehen kleine Einrichtungen wie das Bachhaus Eisenach oder das Deutsche Spielzeugmuseum Sonneberg, die ihrerseits fehlende Größe durch allein pekuniär begrenzte Strahlkraft ausgleichen. Die Landesfinanzierung, institutionell ausgereicht und ohne Investitionsmittel, reicht von 1,5 Millionen Euro per anno für das Panorama Museum in Bad Frankenhausen bis zu 21.500 Euro für das Volkskundemuseum Reitzengeschwenda. Diese Museumsfinanzierung wurde ab 2018 um eine Million Euro aufgestockt.

 

Die Datenabfrage hat die Lücke zwischen Notwendigkeit einerseits und tatsächlicher Ausstattung andererseits deutlich gemacht. Nicht einmal jedes dritte Museum verfügt über eine Stelle für Museumspädagogik. Qualifiziertes Fachpersonal mit pädagogischer Kompetenz bereichert jedes Museum durch Besucherorientierung, zielgruppengerechte Aufbereitung von Inhalten sowie aktive Vernetzung mit anderen Bildungs- und Kultureinrichtungen. Durch engagierte Formen der Vermittlungsarbeit wird die kulturelle Bildung aller Menschen gefördert − seien es Senioren, Migranten oder Digital Natives.

 

Die Personalstruktur spiegelt die kommunale und kleinteilige Prägung der Thüringer Museumslandschaft wieder. 13 Museen haben nur einen Beschäftigten, jedes dritte Museum (34 %) hat maximal vier Beschäftigte. Über die Hälfte aller Häuser (58 %) beschäftigen maximal bis zu neun Mitarbeiter/-innen. Damit sind personaltechnisch kleine Museen die häufigste Gruppe Thüringer Museen. An zweiter Stelle kommen die mittelgroßen Museen mit einem Mitarbeiterumfang zwischen 10 und 40 Beschäftigen (31 %). Fast ein Viertel aller Beschäftigten verteilen sich auf die vier großen Stiftungen: auf die Klassik Stiftung Weimar, die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, die Wartburg-Stiftung Eisenach und die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha. Es zeigt sich, dass Museen, die vom Land institutionell gefördert werden, über eine bessere Personalausstattung verfügen.

 

Mindestens die Hälfte aller Beschäftigten mit Hochschulabschluss arbeitet auf der Basis von Verträgen, die unterhalb des Äquivalents zum höheren Dienst angelegt sind. Dabei zeigt sich wiederum eine klare Tendenz hinsichtlich der Verteilung nach Arbeitgebern: An den Museen der Stiftungen wird ein sehr großer Anteil der Mitarbeiter mit Hochschulabschluss ab Entgeltstufe 12 bezahlt. Mitarbeiter, die in Museen arbeiten, die von kommunalen Gebietskörperschaften getragen werden, werden viel seltener ihrem Abschluss entsprechend entlohnt.

 

Für eine Landesregierung mit rot-rot-grüner Farbe entsteht daraus ein Handlungserfordernis, die verbesserte Bezahlung qualifizierter Fachkräfte zum Gegenstand der Diskussion mit den kommunalen Trägern von Museen zu machen. Es wiederholt sich hier ein Bild, das bereits aus der Diskussion um die Theater und Orchester bekannt ist: Kommunen sehen Kultureinrichtungen und deren Beschäftigte nicht als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, mit demselben Anspruch auf angemessene Entlohnung, wie dies bei Stadtwerken und Bäderbetrieben unzweifelhaft vorausgesetzt wird. Insoweit kommt es darauf an, Bündnisse zu schließen, um Kultureinrichtungen mit ihrer spezifischen Energie als „Kulturstadtwerke" der Kommunen ins Gedächtnis zu rufen und auf die tarifpolitische Agenda zu setzen.

 

Die 45 institutionell geförderten Einrichtungen erweisen sich – laut Datenerhebung – als zumeist besser ausgestattet und damit leistungsstärker im Vergleich zu den Museen in Trägerschaft einer Kommune, eines Landkreises oder eines kommunalen Zweckverbandes. Diesem strukturellen Ungleichgewicht soll mit einer vertieften Kooperation der Museen untereinander begegnet werden. Damit vertiefte Kooperation nicht, wie andernorts zu oft praktiziert, die euphemistische Umschreibung der Umsetzung von Kürzungen darstellt, tritt das Land mit der bereits erwähnten Erhöhung von institutioneller Finanzierung, Investitionsmitteln sowie der Beibehaltung bewährter kommunaler Unterstützungsprogramme in die Vorleistung, damit Kooperation tatsächlich einen Mehrwert erbringen kann.

 

Da Kooperation zunächst mit kommunikativem und organisatorischem Mehraufwand verbunden ist, soll auch dies vom Land und dem Museumsverband begleitet werden. Gerade die kleinen Einrichtungen mit geringem finanziellem Budget bedürfen einer stärkeren Unterstützung, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Aus Sicht des Landes müssen daher die institutionell geförderten Museen stärker in die Verantwortung genommen werden. Sie sollen einerseits alle vier Qualitätskriterien des Internationalen Museumsrats ICOM und die „Standards für Museen" des Deutschen Museumsbundes erfüllen und andererseits den kleineren Einrichtungen unter die Arme greifen.

 

In den Handlungsperspektiven, die nach der ersten Veröffentlichung der Museumsperspektive überarbeitet und nunmehr zwei Jahre später vorgelegt wurden, steht die Personalsituation weit oben auf der Agenda. Ich bin überzeugt, dass Museen gemeinsam viele Aufgaben effizienter bewältigen können. Dafür bedarf es vieler Gespräche, eines langen Atems und letztlich auch des politischen und ganz praktischen Willens der beteiligten Träger. Für diese Mühen der Ebene sind mit der Museumsperspektive 2025 gute Wege vorgezeichnet.