20.08.2018

Thüringens Kulturminister: Können Ausländerfeinde der AfD nicht zurückgewinnen

Interview mit der HuffPost vom 19.8.2018

Das Interview ist auf der Seite der HuffPost hier einsehbar.

 

Minister Hoff, fällt es Ihnen manchmal schwer, die Sozialpolitik der AfD und der Linkspartei zu unterscheiden?

Hoff: Nein. Aber es ist zutreffend, dass die AfD bei klassischen Themen der Linken wildert. Sie preist die Erfolge der DDR-Sozialpolitik an, etwa im Bereich der Kinderbetreuung. Sie verschweigt dabei aber gleichzeitig – anders als die Linke – die Einschränkung von Reise- und Meinungsfreiheit in der DDR. Gleichzeitig versucht die AfD etwa mit dem Rentenkonzept von Björn Höcke, Deutsche zu bevorteilen und gegen Zuwanderer auszuspielen. Die Linke hingegen verfolgt eine Sozialpolitik, die sich an Gerechtigkeit und nicht an Herkunft orientiert.

“Die SPD hat mit der Agenda 2010 ein Desaster angerichtet” und “Die armen Kinder von heute sind die Armutsrentner von morgen” – diese Zitate stammen von AfD-Politiker Jürgen Pohl, könnten aber auch von einem Linken stammen. Macht Ihnen das Sorgen?

Die AfD bedient eben auch die sozialpopulistische Schiene. Es ist aber ein Unterschied, ob eine Partei solche Positionen nur entwickelt, um Wähler zu fangen. Oder, weil dahinter ein authentischer Parteikörper steht.

Was meinen Sie?

Der Funktionärskörper aber auch die Abgeordnetenschaft der AfD hat keine soziale Verankerung im Prekariat oder bei den Arbeiterinnen und Arbeitern. Hier finden Sie vor allem die bürgerliche Mittelschicht: Lehrer, Zahnärzte und Unternehmer, die den Sprech der Linkspartei übernehmen, nicht aber das Programm.

Warum können Zahnärzte, Unternehmer und Lehrer nicht auch Sozialpolitik machen?

Grundsätzlich schließt sich das nicht aus, wie man bei SPD, Linken und Grünen ja auch sehen kann. Aber wenn ich mir das Programm der AfD anschaue, dann passt das alles hinten und vorne nicht. Ich kann nicht auf der einen Seite Positionen formulieren wie der paritätische Wohlfahrtsverband, die Kirchen oder die Caritas, und auf der anderen Seite diese Institutionen dafür kritisieren, dass sie sich für Einwandererinnen und Einwanderer einsetzen.

Die AfD hat mit solchen Positionen offenbar Erfolg. Bei der Bundestagswahl verlor die Linkspartei mehr als zehn Prozentpunkte in den neuen Bundesländern, während die AfD massiv zulegte. Was macht die Linke falsch und die AfD richtig? 

Es gibt dafür keine eindimensionale Erklärung. Unsere Wähler aus der Arbeiterschaft fordern traditionell einen starken Sozialstaat, der sich um ihre Belange kümmert. Den mit der Agenda 2010 verbundenen Rückzug des Staates aus der Garantie sozialer Gerechtigkeit hat dieses Milieu zu Recht der SPD bis heute übel genommen. Die Wahrheit ist aber auch: Wem soziale Gerechtigkeit wichtig ist, der ist noch lange keiner guter Mensch.

Warum?

Die einen sagen, der Sozialstaat soll sich um alle kümmern, die im Land leben. Die anderen, dass der Sozialstaat nur für Deutsche gelten soll. Das hat es übrigens immer gegeben. In Bremen, wo SPD-Wähler zeitweise massiv die DVU gewählt haben oder auch in Sachsen-Anhalt 2002, als Wählerinnen und Wähler mit der Erststimme die damalige PDS und mit der Zweitstimme die DVU gewählt haben. Früher haben uns Leute trotz unserer Flüchtlingspositionen wegen unseres Einsatzes für soziale Gerechtigkeit gewählt. Diejenigen, die soziale Gerechtigkeit als Privileg nur für Deutsche sehen, haben jetzt mit der AfD ein Angebot einer sozialpopulistischen und nationalistischen Partei.

Dann muss sich die Linkspartei langfristig mit dem Stimmenverlust abfinden?

Die AfD macht eine Politik, die exakt der NPD entspricht – jedoch in einem bürgerlichen Gewand. Diese Leerstelle im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wurde in Deutschland vor der AfD nicht langfristig erfolgreich besetzt. Infolge dessen verändert sich die Wählerschaft aller Parteien. Das betrifft die SPD genauso wie die Arbeitnehmerschaft der CDU. Damit sind wir alle konfrontiert.

Das klingt nach Resignation.

Ich muss nicht resignativ sein, nur weil ich analysiere, was ist. Dazu gehört festzustellen, dass wem es wirklich am Wichtigsten ist, dass es in Deutschland so wenig Ausländer wie möglich gibt, der wird der AfD vor allen anderen Parteien den Vorzug geben. Den kann ich nicht zurückgewinnen, so leid es mir tut. Wir können uns als Linke nicht inhaltlich selbst entkernen, um eine Gruppe von Wählern zu halten, die unsere Grundwerte explizit nicht teilen.

Das ist selbst in Ihrer Partei nicht unumstritten. Lafontaine sagt: Offene Grenzen sind illusorisch.

Das ist eine Haltung, die ich zur Kenntnis nehme. Ich vertrete als Minister einer rot-rot-grünen Landesregierung keine Politik der offenen Grenzen, sondern eine Position, die sagt: Wir brauchen endlich ein Einwanderungsgesetz. Das wird seit 15 Jahren diskutiert, aber nie zum Abschluss gebracht.

Der Vorwurf von Lafontaine ist nun, darüber zu reden, sei Gutmenschentum.

Der Begriff “Gutmenschentum“ ist mir vor allem von AfD und Pegida bekannt.

Es ist ja ein Vorwurf, der nicht nur von Lafontaine kommt. Er repräsentiert einen Flügel in der Partei, der sich offenbar unter Sahra Wagenknecht und ihrer Bewegung “Aufstehen“ selbstständig macht.

Es stimmt, es gibt eine unglaubliche Lust auf dieses Thema. Nicht nur bei der Linken in Deutschland, sondern in Europa insgesamt. Hier müssen wir in die Kontroverse gehen. Allgemein gibt es gegen Populismus nur das Instrument der Aufklärung. 

Was denken Sie über die Sammlungsbewegung?

Meine Sammlungsbewegung ist rot-rot-grün. Wenn die Sammlungsbewegung dazu beiträgt, diese Praxis progressiver Politik zu befördern, dann hat sie meine Unterstützung. Ich bedauere allerdings, dass Wagenknecht rot-rot-grün für tot erklärt.

Die Kontroversen, die Sie eben beschrieben haben, führen auch Gewerkschaften. 22 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder wählten in den neuen Bundesländern bei der Bundestagswahl die AfD. Alarmiert Sie das?

Ich will, dass Gewerkschaften in der Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern stark sind. Wir befinden uns in einer Asymmetrie von Kapital und Arbeit. Da ist es zunächst zweitrangig was Arbeitnehmer politisch denken, wenn sie den Arbeitskampf führen.

Gewerkschaften ist das nicht egal. Der IG-Metall Chef sagte 2015: “Wer hetzt, der fliegt“. Das ging an die Adresse der AfD.

Ich differenziere zwischen Gewerkschaften als Arbeitnehmervertretern gegenüber den Arbeitgebern und in ihrer Rolle als Mitgliederorganisation. In letzterer Rolle finde ich es völlig nachvollziehbar, wenn Gewerkschaften mit ihren Mitgliedern über ihre Wertevorstellungen diskutieren. Sie agieren nicht in einem luftleeren Raum, sondern sind eine wertgebundene Organisation, die für Solidarität und Internationalität einsteht. Gleichzeitig vertritt sie die Interessen aller Arbeitnehmer. Beide Rollen füllt sie aus.

Wie können Gewerkschaften noch eine relevante Größe haben, wenn sie gegen einen Teil der Arbeitnehmerschaft auf die Straße gehen, etwa bei AfD-Demos?

Ähnlich, wie das die Kirchen tun. Ein relevanter Teil der AfD-Wähler sind Kirchenmitglieder. Und trotzdem gehen die Kirchen mit ihren Mitgliedern in die Diskussion. Das ist doch völlig richtig.

Wird Thüringen 2019 weiterhin von einem linken Ministerpräsidenten regiert? 

Ministerpräsident Bodo Ramelow schaut auf eine erfolgreiche Bilanz der rot-rot-grünen Landesregierung und wir gehen mit dem Ziel in die Wahl, dieses Bündnis unter ihm als Ministerpräsidenten fortzuführen.