13.07.2018

Was, wenn es nur für Schwarz-Links reicht?

Interview der TLZ mit Minister Prof. Dr. Hoff vom 13. Juli 2018

Die politische Landschaft und mit ihr die Parteienlandschaft scheint im Umbruch.
Das zeigt nicht nur der Streit bei CDU/CSU, der nur auf Zeit beigelegt wurde. Das zeigt sich auch in Nachbarländern wie Frankreich, Osterreich und Polen, wo sich aus klassischen Parteien eine One-Man-Show entwickelt hat. Benjamin-Immanuel Hoff ist im rot-rot-grünen Kabinett nicht nur für Staatskanzlei, Kultur und Europa zuständig; er hat bereits in der Strategieberatung Erfahrung und gehört dem Arbeitskreis Parteienforschung der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVWP) an.
In 15 Monaten wird Thüringen mitten in der heißen Phase des Landtagswahlkampfes stecken. Nach allem, was derzeit über Wählerpräferenzen bekannt ist, würde nur Schwarz-Dunkelrot zusammen mehr als 50 Prozent erreichen...


... zumindest wäre das die stabilste Möglichkeit, die zurzeit infrage kommt...

 

Bisher hieß es immer: Alle demokratischen Parteien müssen miteinander koalieren können. Kommt es also darauf an, ob die Linke von der CDU mittlerweile als legitime und demokratische Partei anerkannt wird?

In der Tat ist es so, dass alle demokratischen Parteien in bestimmten Konstellationen miteinander koalitionsfähig sein müssen. Trotzdem gibt es legitime und als weniger legitim anerkannte Koalitionen. Wählerinnen und Wähler haben ein Gefühl dafür, welche Konstellation „natürlich" zusammengehören und welche nicht.

 

Zum Beispiel?

Eine Jamaika-Koalition wird mittlerweile als möglich erachtet, weil die Grünen zur sowohl nach Mitte-Links als auch nach Mitte-Rechts koalitionswillig sind. Aber eine sogenannte Kenia-Koalition wie in Sachsen Anhalt also ein Bündnis aus CDU, SPD und Grünen wird berechtigterweise nahezu ausschließlich als eine Verbindung zur Abwehr der AfD wahrgenommen. Daher hat diese Kenia-Koalition wenig Gemeinsamkeiten zwischen den Partnern und deshalb wenig Grundlagen, auf denen sie ein erfolgreiches Regierungsprojekt aufbauen kann. Sie hält nur so lange, bis sich ein anderer Mehrheitspartner findet. Das unterscheidet die Lage in Sachsen Anhalt deutlich von Rot-Rot Grün in Thüringen.

 

Das heißt für CDU und Linke 2019 in Thüringen?

Es ginge. Theoretisch. Die beiden könnten wahrscheinlich sogar stabil miteinander regieren. Auch theoretisch. Dennoch ist es eine Konstellation, die nicht wünschenswert ist.

Nach allem, was wir jetzt wissen können, wird es im Herbst 2019 für Rot-Rot-Grün in Thüringen nicht reichen...
Wir haben einen sehr erfolgreichen Ministerpräsidenten und insofern haben alle die recht, die sagen: Nach derzeitigen Umfragen sind kleinere Verschiebungen im Umfang von drei, vier Prozent entscheidend, ob Rot Rot-Grün weiterregiert oder nicht. Dieses Ziel ist nicht unrealistisch, dafür lohnt es sich zu kämpfen. Wenn man sich drei, vier Prozent Verschiebungen zugunsten einer erfolgreichen Koalition nicht zutraut, braucht man für einen Wahlkampf erst gar nicht anzutreten. Insoweit sehe ich optimistisch auf 2019...

 

Sie könnten auch Rot-Rot Grün-Gelb machen, oder?

Könnte man. Aber das sind Konstellationen, die nur in taktischen Planspielen, nicht in der Realität funktionieren können.
Die FDP verbindet mit der Linken nichts und umgekehrt. Die Frage ist doch: Muss ich auf Teufel komm raus irgendwelche Konstellationen zusammenbasteln. Oder sage ich im Zweifel: Ich schaffe es nicht, eine Mehrheitskoalition zu bilden, deshalb gehe ich stabile Verabredungen mit anderen Parteien ein, um eine Minderheitsregierung zu bilden.


Das gilt in Deutschland als Risiko wegen der vermuteten Instabilität. Zu Recht?

In unseren skandinavischen Nachbarländern ist eine Minderheitsregierung ein normaler Praxisfall.


Wie liefe das praktisch ab?

Die stärkste oder die zweit stärkste Partei bildet eine Minderheitsregierung oder auch eine Minderheitskoalition. Um Mehrheiten von Fall zu Fall zu sichern, trifft sie Verabredungen mit anderen Parteien. In Sachsen-Anhalt wurde das 1994 bis 2002 erfolgreich vorgemacht.


Ist dieser Vorschlag, eine Minderheitsregierung zu bilden, auch an die CDU gerichtet, damit sie nicht womöglich eine Mehrheit zusammen mit der AfD zimmert?

Ob Mike Mohring von mir einen Rat braucht, lasse ich mal offen.
Er hat jüngst im CDU-Vorstand in der Asylfrage als Einziger nicht für Angela Merkel gestimmt, sondern sich enthalten, weil er in Richtung CSU tendiert. Und wenn wir uns vor Augen führen, dass die CSU derzeit AfD-Positionen übernimmt, die AfD dadurch aber nicht überflüssig, sondern stärker macht, dann muss Mike Mohring selber wissen, inwieweit er jetzt schon eine potenzielle Koalition mit der AfD vorbereitet.


Was könnte eine bundesweite CSU für die SPD bedeuten?

Es würde sich die Frage stellen, ob die älteste Partei in Deutschland so bestehen bleibt, wie sie ist oder ob sich in der Mitte eine neue Parteienkonstellation zusammenfinden würde, etwa nach dem Vorbild der Liste von Emmanuel Macron in Frankreich. Das hätte sicherlich Sogwirkung auf Grüne und FDP.


Und was wäre mit der Linken bei alledem, die uneins in der Frage ist, ob Nation oder internationales Denken Vorrang hat?

Gerade mit Blick auf die Flüchtlingspolitik würde sich die anhand von Sahra Wagenknechts umstrittenen Positionen kontrovers diskutierte Frage, wofür die Linke steht, sicherlich noch einmal neu stellen.
 

Wenn CDU und CSU getrennte Wege gingen...
... käme das einem Erdrutsch gleich, der Auswirkungen auf die gesamte Parteienlandschaft hat.


Welche Gefahren birgt diese Entwicklung?

Das politische System, wie wir es kennen, wandelt sich möglicherweise nach dem Vorbild von Frankreich, Österreich oder auch Polen. Aus FDP, Grünen, dem liberalen Kern der CDU und Teilen der SPD könnte eine neue Mitte erwachsen nach dem Vorbild Macrons. Dann wäre auch die Linke nicht mehr die, die sie heute ist. Aber, um auch das ganz klar zu sagen: Dergleichen wird für die ThüringenWahl 2019 noch keine Relevanz haben.


Ob Emmanuel Macron in Frankreich oder Sebastian Kurz in Österreich: Da greift sich ein einzelner Mann eine Partei und formt sie sich als Mantel für sich selbst. Ist das noch unsere Demokratie?

Ich teile diese Zweifel voll und ganz. Kurz hat die Österreichische Volkspartei (ÖVP) gekapert oder sie hat sich ihm freiwillig hingegeben Halb zog er sie, halb sank sie hin, würde ich sagen Er hat ihr ein komplett neues Image, Programm und sogar eine neue Parteifarbe verpasst.
Letztlich ist das, was auch diese Partei viele Jahre stark gemacht hatte die innerparteiliche Entscheidung von unten nach oben nicht mehr da. Obsiegt haben autoritäre Politikkonzepte; Mitbestimmung spielt keine Rolle mehr. Politische Entscheidungen werden oben getroffen und sollen dann per Akklamation gutgeheißen werden. Der gelernte DDR-Bürger kennt das schon. Man nannte das damals „demokratischen Zentralismus". Dieser demokratische Zentralismus kennzeichnet sowohl Kurz' ÖVP als auch die konservative PIS-Partei in Polen ebenso wie die liberale Partei Macrons: Eine starke Führungsfigur stellt die jeweiligen Positionen bis ganz nach unten durch.


Es wird an der klassischen Gewaltenteilung gesägt?

 Letztlich ja. Verfassungsinstitutionen werden nicht mehr als ein Wert an sich angesehen. Schauen wir uns doch an, wie in Österreich mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk umgangen wird. Zu befürchten ist die sukzessive Aushöhlung von Grundfesten unserer Demokratie. In der illiberalen Demokratie-beispielsweise in Polen oder Ungarn werden Verfassungsinstitutionen nicht abgeschafft, aber ihrer Funktion und ihrem Kern nach ausgehöhlt.
Jene, die 1989 „Wir sind das Volk" riefen, wollten Anderes
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Ist die Demokratie in Gefahr?

Nach der friedlichen Revolution glaubten die Menschen an einen Sieg der westlichen Demokratien. Aber das war eine sehr optimistische Vorstellung. Derzeit sind wir mit Blick auf die östlichen und südlichen Nachbarn vielmehr mit einer Erosion dieser Institutionen konfrontiert.
Und deshalb stellt sich mit Blick auf die CSU nicht nur die Frage, wie gehen wir mit den Flüchtlingen um? Es geht um die Frage: Wie weit soll dieses politische Konzept der anderen nachgeahmt werden? Für die AfD sind diese Fragen längst entschieden.
Aber was will die CSU? Wenn sich diese Fragen stellen, ist umso wichtiger, 2019 an den Beginn der ersten Republik 1919, das Grundgesetz 1949 und die friedliche Revolution 1989 zu erinnern. Absolut. Und genau um diese Wertefrage wird es 2019 gehen, wenn wir als Landesregierung die Frage stellen: Wie sollen wir unsere Heimat Thüringen demokratisch und sicher weiter gestalten?