04.05.2018

Hoff und die „Thüringer Hausordnung"

"Hoff und die Thüringer Hausordnung", Thüringer Allgemeine vom 04.05.2018, Seite 1.
Das Interview wurde von Frau Gerlinde Sommer geführt.

Benjamin -Immanuel Hoff ist Minister für Kultur-, Bundes und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei des Freistaates Thüringen. Zugleich versteht sich der Linke auch als eine Art Heimatminister, wenn auch an erster Stelle bei allem, was Heimat betrifft, Infrastrukturministerin Birgit Keller (Linke) steht. Schon im Herbst 2017 hat Hoff mit seinem Kollegen Alexander Fischer, Staatssekretär für Arbeit und Soziales in Berlin, in einem Gastkommentar der Zeitung „Die Welt" die These vertreten: „Links ist da, wo Menschen eine sichere Heimat haben". Und seither hat er sich intensiv mit demThema weiterbeschäftigt.

Alle reden von Heimat Sie auch. Zunächst: Was ist Heimat überhaupt?

Etwas spezifisch Deutsches, denn diesen Begriff gibt es mit dieser Bedeutung in anderen Sprachen nicht. Heimat hat historisch betrachtet immer auch etwas mit dem Unbehagen gegenüber moderner Entwicklung zu tun. Ein Beispiel: Bahntrassen machen Lärm. Aber hat die Bahntrasse Haltepunkte auch an Städten wie Gera, Saalfeld oder Artern, wird das sicher nicht als Einbruch in die traditionelle Heimat, sondern als deutliche Erhöhung der Lebensqualität gesehen.

Warum ist Heimat aktuell so ein großes Thema geworden?

Das Bemühen, zu beweisen, dass Politik heimatverbunden ist, entsteht daraus, dass insbesondere in Ostdeutschland aber nicht nur in Ostdeutschland Menschen Verlust-Erfahrungen beklagen. Ich betone aber zugleich: Trotz des Unbehagens vieler Ostdeutscher, in dieser Gesellschaft nie richtig akzeptiert worden zu sein und es deshalb in gewisser Hinsicht verwehrt bekommen zu haben, in dieser Gesellschaft heimisch zu werden, will nur eine absolute Minderheit die DDR zurück.

Damals wusste jeder Thälmann Pionier: Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer... Unsre Heimat lieben und schützen wir, weil sie unserem Volkgehört... Worumgeht es heute?

Beim Blick zurück geht es um Fragen der Arbeitsplatzsicherheit, um Fragen sozialer Sicherheit insgesamt, aber auch um Nachbarschaft und Zusammenhalt. Und das Thema ist auch so virulent, weil die AfD es relativ erfolgreich schafft, ein verbreitetes Unbehagen über das Einbrechen von Moderne also technologische Entwicklung, Energiewende und so weiter aber auch gesellschaftlich-kulturellen Fortschritt wie beispielsweise gleichgeschlechtliche Ehe zusammenzuführen, sich gegen Zuwanderung zu wenden und zu sagen: Hier geht etwas von
unserer Heimat verloren. Personifiziert wird das dann im Ruf „Merkel muss weg". Als ob das eine Lösung wäre.

Wo ist der Unterschied zwischen der Heimatpolitikder Linken und der Heimatpolitik der AfD?

Linke Heimatpolitik, wie sie Ministerpräsident Bodo Ramelow macht, heißt: In dieser unserer Heimat, dem Land Thüringen, sollen die Menschen sicher leben können und zwar sozial sicher und auch in ihrem Umfeld. Sie sollen eine gute Bildung bekommen. Der Staat übernimmt Verantwortung, weil Menschen auch für sich selbst Verantwortung übernehmen. Aber der Staat hört auf mit dem neoliberalen Rückzug an allen Orten, Privatisierung und dergleichen. Von der AID aber hört man zum Thema Rekommunalisierung privatisierter öffentlicher Unternehmen zu einer sozial gerechten Arbeitsmarktpolitik oder Daseinsvorsorge im ländlichen Raum nichts.

Warum ist das so?

Sieht man sich das Programm der AID, deren Funktionäre und Abgeordneten an, sieht man, das ist eine Partei mit einer klassischen FDP-Klientel: Professoren, Apotheker, Zahnärzte,
Rechtsanwälte... aber keine Arbeiterklasse, keine Hartz-IV-Empfänger. Und der Blick ins Programm zeigt: Es steht nichts drin fürjene, die soziale Sicherheit wollen. Die AID macht Elitenpolitik.

Was also sagen Sie denen, die meinen, man kann nur Thüringer sein, wenn der Ahnenpass das hergibt?

Auf den Punkt gebracht: Die AID redet an den Thüringern vorbei. Sie versteht sie einfach nicht. Es gibt nicht dieses Abschottungsbedürfnis, wie man es etwa von manchen Sachsen kennt und das Geschäftsmodell der AID ist. Bei uns in Thüringen ist es eine absolute Minderheit, die ernsthaft
glaubt, all das, was Thüringen groß und reich gemacht hat, sei ohne Zuwanderung möglich gewesen. Wir wissen nämlich, dass das historischer Unsinn wäre. Ich nenne nur Maria Pawlowna und die gesamte Hochzeitspolitik der Herzogtümer. Es geht doch darum, dass Menschen Thüringen als ihre Heimat anerkennen sollen. Ich sage, es ist eine Ehre, für Thüringen arbeiten zu dürfen und Gestaltungsverantwortung zu haben. Ich will, dass Menschen, die abgewandert sind, zurückkommen. Aber ich will auch, dass Menschen neu zu uns kommen.

Blicken wir auf einen anderen Zugezogenen: AfD-Chef Björn Höcke setzt ganz starkauf Heimat, womöglich auch wegen der Verlusterfahrungen seiner heimatvertriebenen Vorfahren ...

Das, was er als Heimat aufruft, gleicht einer sepiafarbenen Postkarten-Idylle. Und alles, was neu hinzukommt, ist seiner Meinung nach schlecht. Aber die Bürger wollen auf der einen Seite
technischen Fortschritt. Vor allem schnelle Internet-Verbindungen und keine Funklöcher. Wir kaufen alle bei Amazon ein, auch, weil es den Tante Emma-Laden nicht mehr gibt. Aber wir wissen schon, dass es vieles davon im Tante-Emma-Laden nicht gegeben hätte. Aber manches davon eben doch und dass der Laden-Leerstand in der Kleinstadt auch etwas mit unserem
Bestellverhalten und der Filialisierung zu tun hat.

Jetzt haben wir auf Bundesebene ein Heimatministerium. Bayern hatte das schon zuvor eingeführt. Was halten Sie davon?

Ich glaube, dass das, was Horst Seehofer (CSU) macht, viel schlauer ist, als das, was ihm viele unterstellen. Das bayerische Heimatministerium ist das Ministerium, das dafür sorgt, dass es in
allen bayerischen Regionen gleichwertige Lebensbedingungen gibt. In diesem Sinne bedeutet Heimat: alle Landesteile. Dazu muss man wissen, dass Regionen wie die Oberpfalz lange hinten runtergefallen sind. Bei der Landesplanung wurden mittlerweile die Kriterien so geschärft, dass sogar in gut entwickelten Landesteilen Bereiche lokalisiert wurden, die Unterstützung brauchen. Es wurde auch bei den Landesbehörden geprüft, ob deren Sitze aus strukturstarken Regionen in
strukturschwächere verlagert werden sollen, um dadurch an diesen Standorten Strukturentwicklung zu forcieren.

Auch ein Plan für Thüringer?

Ja, natürlich. Wenn der Ministerpräsident beispielsweise Mühlhausen als Behördenstandort entwickeln will sowohl den Gerichtsstandort betreffend als auch nachgeordnete Behörden aus dem Bereich des Infrastrukturministeriums, ist das jetzt schon ohne dass wir ein Ministerium mit
dem Namen Heimatministerium haben, ist das genau der richtige Ansatz, wie er in Bayern unter dem Stichwort Heimatstrategie gemacht wird.

Unser Heimatministerium ist...

... das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft von Birgit Keller (Linke). Mehr Heimat kann in ein Ministerium gar nicht reingepackt werden: Städtebauplanung, Hochbau, ländlicher Raum, Demografie-Entwicklung und Landwirtschaft. Übrigens könnte ich auch sagen, dass ich der Heimatminister bin.

Warum das denn?

Zu meinem Bereich Kultur gehören auch Trachtenverbände und Heimatpflege. Und das, was die Internationale Bauausstellung (Iba) in Thüringen macht, ist auch Heimatpolitik.

Muss nicht auch der Wirtschaftsminister Heimatminister sein, damit alle Regionen zum Zug kommen?

Nun ja, wir können das jetzt unendlich fortführen. Dann wird es wieder unschärfer. Aber in dem Sinne wäre eher der Innenminister Heimatminister, weil die Menschen Heimat mit Sicherheit
verbinden und er für die Polizei zuständig ist und die Arbeitsministerin, weil sie für Arbeitsplatzsicherheit und soziale Sicherheit Sorge trägt. Und der Ministerpräsident ist der Heimatminister überhaupt, weil er sich im Bundesrat für Rentengerechtigkeit einsetzt und in der Ministerpräsidentenkonferenz den Länderfinanzausgleich verhandelt. Letztlich ist Landespolitik immer Heimatpolitik. Das macht Landespolitik spannend.

Typisch Heimat sind Heimatmuseen und die enge Verbindung der Einheimischen zu ihnen. Das erklärt auch, warum so viele Menschen sich in Weimar so stark machen für das Museum für Ur und Frühgeschichte Thüringens.

Die Weimarer sagen aus gutem Grund: Die Geschichte unserer Stadt ist auch damit verbunden, dass wirum dieses Museum kämpfen. Deshalb plädiere ich sowohl für ein Landesmuseum auf dem Erfurter Petersberg, das sich mit einem Landesmuseum für Archäologie in Chemnitz im Wettbewerb messen lassen kann, als auch dafür, die Grabungsstätte Ehringsdorf, die traditionellen Weimarer Objekte und die Auseinandersetzung über die Sammlungsgeschichte sowie das bürgerschaftliche Engagement um den Verbleib der archäologischen Sammlung
in Weimar zum Gegenstand einer zeitgenössischen Präsentation in einer archäologischen Abteilung des Weimarer Stadtmuseums zu machen. Dass wir als Land dazu möglicherweise einen Beitrag leisten müssen, ist dann Teil der Auseinandersetzung, die noch zu führen ist.

BekommenSie alles noch in trockene Tücher vor der Landtagswahl im Herbst 2019?

Wieso das denn? Wir kämpfen um die Wiederwahl und denken nicht nur in Wahlperioden. Der Ministerpräsident und ich haben Ideen und Konzepte, die reichen locker für eine zweite Amtszeit und weit ins nächste Jahrzehnt und dafür wollen wir wiedergewählt werden.

Wenn wir von Verlustängsten sprechen, liegt es nahe zu schauen, was beim Thema Gebietsreform schief lief.

Wir sagen, in der derzeitigen ökonomischen Situation, die seit Jahren zu steigenden Steuermehreinnahmen führte, muss man strukturelle Veränderungen vornehmen. Denn jetzt sind
diese Veränderungen auch mit Finanzmitteln zu befördern. Bricht die Konjunktur ein, gehen die Steuereinnahmen zurück, und Einsparungen stehen im Vordergrund. Deshalb haben wir gesagt: Wir sind der festen Überzeugung, dass acht Landkreise und zwei kreisfreie Städte langfristig für die Landesentwicklungbesser sind als die jetzige Struktur.

Und die Bürger haben gesagt: Nein!

Ja, sie sehen es anders und wir konnten sie nicht von unserem Argument überzeugen. Aber da wir heimatverbundene Landespolitik machen und uns nicht gegen die Bürgerinnen und Bürger stellen wollen, haben wir an einem bestimmten Punkt eingesehen, dass es besser und richtiger  st, die Kreisgebietsreform nicht weiter zu verfolgen und auf interkommunale Kooperation und freiwillige Gemeindefusionen zu setzen.

Heimat hat auch deshalb Hochkonjunktur, weil viele Einheimischen fürchten, dass mancher, der zu uns kommt, nicht Teil dieser Heimat werden will oder sogar Grundfesten ins Wanken bringt. Wie real ist diese Gefahr?

Ich spreche mich gegen Postkartenidyllen-Politik aus, weil sie nicht weiterhilft. Nötig und tatsächlich wirksame Heimat also Landespolitik besteht in der ehrlichen Benennung von Problemen und in ihrer konkreten Lösung. Zudem habe ich die Erwartung, dass sich alle, die zu uns kommen und bei uns leben, an unsere „Thüringer Hausordnung" halten. Das gilt für jeden
Zugewanderten. Für Deutsche und Nichtdeutsche. Das gilt auch für Leute, die -wie in Themar in den Ort zu einem Nazi-Konzert einfallen und den Hitlergruß zeigen. Es kann doch nicht sein, dass wir das tolerieren sollen. Das ist das Gegenteil von dem, was ich mit Thüringen und Heimat
verbinde.

Wo kann der Einheimische und der, der Thüringer werden will, denn die Hausordnung nachlesen?

Als erstes empfehle ich die Landesverfassung. In den Artikeln 1 bis16 und 39 bis 43 ist diese Hausordnung ziemlich klar formuliert.