16.03.2018

Rot-Rot-Grün ist noch lange nicht tot

Erschiene in: Hoff, Benjamin-Immanuel/ Fischer, Alexander, Rot-Rot-Grün ist noch lange nicht tot, in: Die Welt vom 16.3.2018. S.2.

Rot-Rot-Grün ist tot, werden die linken Fraktionsvorsitzenden im Bundestag zitiert. Während Dietmar Bartsch auf die arithmetische Realität aufmerksam macht, steckt bei Sahra Wagenknecht ein weitergehendes politisches Kalkül dahinter.

Ihre Idee einer neuen „Sammlungsbewegung“ soll jenseits der und gegen die bestehenden Parteien Wirkung zeigen. Dafür muss die Option Rot-Rot-Grün, also eine Bündnispolitik drei unterschiedlicher Parteien auf Augenhöhe, vom Tisch.

Bartsch, aber auch die Parteivorsitzenden Kipping und Riexinger, verorten die Linkspartei als „Bollwerk für Menschlichkeit“ gegen eine ständige Verschiebung des politischen Mainstreams nach rechts. Die von Wagenknecht und Lafontaine angestrebte Sammlungsbewegung setzt dagegen einen deutlichen Kontrapunkt.

 

Grüner Ritt auf der Klinge

Hier dient die rhetorische Wutfigur „Merkel und ihre Flüchtlingspolitik müssen weg“ als Hefe zum Aufgehen unterschiedlichster Milieus und Richtungen. Wohin diese Kontroverse die Linkspartei führt, ist noch nicht entschieden.

Sicher ist, dass die beispiellos schlechte Verfassung des Mitte-links-Lagers durch den linken innerparteilichen Strategiekonflikt nicht verbessert wird. Im Gegenteil. Dass die Grünen derzeit im Verhältnis SPD und Linkspartei als zukunftsfähig aufgestellt erscheinen, ist auch eher eine optische Täuschung.

Sie wirken stark, weil die anderen noch schwächer sind. Die Landtagswahlen im Osten des nächsten Jahres werden ein grüner Ritt auf der Klinge. Bei allen drei Wahlen ist der Wiedereinzug in den Landtag alles andere als gesichert.

Mobilisierten SPD, Grüne und PDS bei der Bundestagswahl 1998 zusammen 52,7 Prozent der Zweitstimmen, waren es im Herbst 2017 gerade noch 38,6 Prozent. Obwohl eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung sich nach wie vor eher links als rechts der Mitte verortet, hat sich ein Drittel der Wählerinnen und Wähler in den vergangenen 20 Jahren von Mitte-Links verabschiedet. Dazu beigetragen haben verschiedene Faktoren.

 

Ländliche Räume neu denken

Seit dem Verlust der rot-grünen Mehrheit 2005 haben es die drei Mitte-links-Parteien nicht vermocht, eine gemeinsame politische Idee für die solidarische und zukunftsfähige Gestaltung unseres Landes zu formulieren.

Eine überzeugende Antwort darauf, dass trotz lang anhaltenden Wirtschaftsaufschwungs immer mehr Menschen die Befürchtung haben, vom Wohlstand ausgeschlossen zu sein und die Jungen überzeugt sind, ihnen werde es künftig weniger gut gehen als ihrer Eltern- und Großelterngeneration.

Strategien, um ländliche Räume nicht länger abzuhängen, sondern vielmehr durch Digitalisierung und öffentliche Daseinsvorsorge statt staatlichem Rückzug aus der Fläche zu Ermöglichungsräumen zu machen. Nicht zuletzt wurde versäumt, in der Außen- und Europapolitik eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, die auf neue hybride Bedrohungsszenarien ebenso reagiert wie auf Protektionismus oder die Außerkraftsetzung demokratischer Prinzipien in illiberalen Demokratien wie Ungarn oder Polen.

 

SPD und Linke pathologisch

Im pathologischen Umgang von SPD und Linken miteinander wirken sie nicht attraktiv, sondern wie Kain und Abel. Alle drei Mitte-links-Parteien übertrumpfen sich auf Bundesebene in verbalen Tiefschlägen und zur Schau gestellter Abgrenzung.

Die von 2013 bis 2017 bestehende parlamentarische Mehrheit für SPD, LINKE und Grüne im Bundestag wurde nicht als Möglichkeitsfenster für Vertrauensbildung genutzt. Deshalb blieb auch die Zusammenarbeit von Mitte-links-regierten Ländern, die einige Jahre die Mehrheit im Bundesrat hatten, halbherzig.

Kurzum: Rot-Rot-Grün war lange genug nett als rhetorisches Spielzeug für Sonntagsreden. Ansonsten trafen sich Einzelpersonen in verschiedenen Zirkeln – immer weit ab von den tatsächlichen Entscheidern. Wer diese Art von rot-rot-grüner Unfähigkeit beendet, kann sich unseres Beifalls gewiss sein.

 

Rot-rot-grün in den Ländern

Aber wer Rot-Rot-Grün heute für tot erklärt, ohne auch nur eine Ahnung davon zu vermitteln, wie und mit wem Mitte-Links wieder mehrheitsfähig werden soll, versündigt sich. Und wirft gerade denjenigen Knüppel zwischen die Beine, die ernsthaft in der Lage sind, die Agonie im Mitte-links-Lager wirksam zu überwinden: den Ländern.

In Thüringen und Berlin regieren rot-rot-grüne Koalitionen. In Brandenburg und Bremen könnten weitere rot-rot-grüne Koalitionen das Ergebnis der kommenden Landtagswahlen sein – in Thüringen stellt sich Bodo Ramelow erneut als rot-rot-grüner Ministerpräsident zur Wahl.

Diese Landtagswahlen entscheiden mit darüber, ob das Land weiter nach rechts steuert und die Union nach österreichischem Vorbild mit Rechtspopulisten regiert. Auch für Rot-Rot-Grün muss deshalb gelten: Totgesagte leben länger.