02.03.2018

Rede zum „Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten“

Freitag, 2. März 2018, Bundesratssitzung TOP 1

Sehr geehrte Damen und Herren,
lieber Herr Präsident,

 

Kernbestandteil der Politik von Bund und Ländern war und ist, die Stärkung von Familien. Und  anders als Sie lieber Herr Professor Bausback - und insofern bin ich froh, dass ich nach Ihnen sprechen kann, weil dadurch auch die Bandbreite der hier im Haus vertretenen Positionen noch einmal deutlicher wird - ordne ich das Feld des Familiennachzuges nicht in das Feld der Begrenzung der Zuwanderung sondern in das Feld der Erleichterung der Integration, also dem ersten der in Ihrer Rede eingangs genannten drei Ziele.

Immer wieder setzen wir alle uns für die Rechte von Kindern und Familien ein, in den einzelnen Ländern und im Bundesrat. Und dabei sind wir uns üblicherweise einig über die Ziele: Wir wollen ein hohes Maß an Schutz und eine starke Unterstützung für Familien und Kinder. Das zeigen nicht zuletzt die anhaltenden Bemühungen dieses Hauses, originäre Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen.

Diese Haltung entspricht zum einen der menschenrechtlichen Lage: So stellen nicht nur die Landesverfassungen und das Grundgesetz Kinder und Familien unter einen besonderen Schutz. Auch die Grundrechte-Charta der Europäischen Union, die Europäische Menschenrechtskonvention und mehrere völkerrechtliche Verträge erklären das Zusammenleben von Ehepartnern und die Gemeinschaft von Kindern mit ihren Eltern zu einem grundlegenden Menschenrecht.

Das Bundesverfassungsgericht betrachtet die Frage, ob die Aussetzung des Kindernachzuges mit Artikel 6 des Grundgesetzes vereinbar sei in einem Eilbeschluss vom 1. Februar dieses Jahres als offen. Diese Haltung entspricht zum anderen der Überzeugung, dass Kinder besonders schutzbedürftig sind. Ihrem Wohl dient es, wenn irgend möglich bei ihren Eltern aufzuwachsen. Wir alle sind uns einig, dass Kinder von ihren Eltern versorgt werden, sich aber nicht um das Leben ihrer Eltern sorgen sollten. Auch die Gemeinschaft zwischen Ehepartnern achten wir als grundlegendes menschliches Bedürfnis.

Unserer Politik für Kinder und Familien widerspricht es meiner Ansicht nach, einer Gruppe hier lebender Menschen und deren Angehörigen das Zusammenleben für lange Zeit zu verweigern, häufig faktisch endgültig zu verwehren.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Gibt es gute Gründe, hier von unserer generellen Haltung gegenüber Kindern und Familien abzuweichen?

Ich persönlich meine, solche Gründe gibt es nicht.

Ein erster Grund könnte sein, dass die Menschen mit dem Rechtsstatus als „subsidiär Schutzberechtigte*r“ und ihre Familienangehörigen weniger schutzbedürftig sind als andere Schutzsuchende. Andere Schutzsuchende, insbesondere Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, können nämlich ihre Kernfamilie uneingeschränkt nachholen.

Häufig ist aber die juristische Abgrenzung zwischen dem Status als „GFK-Flüchtling“ – der einen uneingeschränkten, sogar privilegierten Familiennachzug ermöglicht – und dem Status als „subsidiär Schutzberechtigte*r“ ohne jede Möglichkeit des Familiennachzugs nicht eindeutig. Dies zeigen die vielen erfolgreichen Klagen von subsidiär Schutzberechtigten auf eine „Höherstufung“ und Anerkennung als GFK-Flüchtling.

Anders als es der Begriff „subsidiärer Schutz“ möglicherweise nahelegt, sind die Fluchtgründe bei subsidiär Schutzberechtigten keineswegs schwächer als bei GFK-Flüchtlingen. Den Status als „subsidiär Schutzberechtigte*r“ erhält nur, wem im Herkunftsland die Todesstrafe, Folter oder willkürliche Gewalt innerhalb eines bewaffneten Konflikts drohen.

Auch die Bleibeperspektive von Menschen mit dem Status als „subsidiär Schutzberechtigte*r“ ist dieselbe wie bei GFK-Flüchtlingen.

Sachgründe dafür, die „subsidiär Schutzberechtigten“ gegenüber anderen Schutzsuchenden in einem so wichtigen Punkt wie dem Zusammenleben mit ihren Eltern, Ehepartnern oder Kindern zu benachteiligen, gibt es also meiner Ansicht nach nicht.


Ein zweiter Grund könnte die auch von Prof. Dr. Bausback angeführte Integrationsfähigkeit unseres Landes sein. Dies ist ein Thema, das wir nicht einfach annehmen und sagen können: "Sie übertreiben." Weil wir wissen von jedem Bürgermeister unserer Kommunen, von vielen Ehrenamtlichen, Freiwilligen Feuerwehren und anderen, dass das Thema Integration und Aufnahmefähigkeit quer durch die Bevölkerung geht. Und ich bin Ihnen auch, Herr Professor Bausback, dankbar, dass Sie das immer wieder ansprechen. Wir tun es auch und wir müssen uns diesem Themenfeld auch widmen und es liegt auf der Hand, dass alle, die die Integration verbessern wollen, den Familiennachzug zu Menschen, die in Deutschland leben, fördern müssen. Und da haben wir in unserer unterschiedlichen Sichtweise einen unterschiedlichen Blick: Ich bin mir sicher und viele, die in Thüringen in der Integration tätig sind, sind sich ebenso sicher, dass  die Integration in Deutschland leichter durch Familienzusammenführung gelingt und umgekehrt erschwert eine Trennung von der Kernfamilie es geflüchteten Menschen erheblich, sich auf ein Leben in Deutschland einzulassen.

Hinzu kommt, dass wir tatsächlich eine unterschiedliche Wahrnehmung haben, über wieviele Personen wir in diesem Feld tatsächlich reden. Sie haben, lieber Herr Professor Bausback, in Ihrer Rede die absolute Zahl der subisidiär Schutzbedürftigen genannt. Jetzt gibt es gleichzeitig eine Untersuchung des Forschungsinstituts der Bundesanstalt für Arbeit. Dieses Institut hat eine  Zahl von 50.000 bis 60.000 Menschen insgesamt genannt, die infrage kommen würden für den Famiilennachzug. Nun wissen wir, dass nicht alle, die theoretisch einen solchen Antrag stellen könnten, dies, selbst wenn sie es wollen auch praktisch tun könnten. Für eine Reihe von Akteuren aus Syrien - und es ist von Ihnen Herr Professor Bausback darauf eingegangen worden - dass man, um einen solchen Antrag zu stellen, erstmal aus Syrien in eines der Nachbarländer kommen und dort einen Termin bei der Botschaft erhalten muss. Das heißt wir reden, selbst wenn wir den Familiennachzug nicht aussetzen würden, sondern wenn wir dabei bleiben würden, nicht darüber, dass 50.000 bis 60.000 Menschen in den nächsten Monaten nach Deutschland kommen würden. Mitunter reden wir über jahrelange Wartezeiten für einen Termin zur Antragstellung in der deutschen Auslandsvertretung. Im Wissen darum ist aber allein diese Perspektive für viele Menschen, die sich hier in Integrationsangeboten befinden und in ihren Gedanken bei ihrer Familie in anderen Ländern sind, eine Hoffnung, die einen Integrationsschub bedeuten würde. Der Zuzug zu subsidiär Schutzberechtigten wird sich meines Erachtens daher auf einem Niveau bewegen, das die hier lebende Gesellschaft nicht überbelastet. Aber wir wissen - und viele Bespiele kennen wir aus vielen kommunalen Einrichtungen - dass wir trotzdem jeden Tag dafür sorgen müssen, die bestehenden Belastungen zurückzufahren.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Aus meiner Sicht gibt es keine Gründe, subsidiär Schutzberechtigten den Familiennachzug noch länger zu versagen. Im Gegenteil sprechen nach meiner Auffassung die Menschenrechte und das Gebot der Mitmenschlichkeit ebenso für den Familiennachzug wie die besseren Chancen auf eine erfolgreiche Integration.

Der Ministerpräsident Thüringens legt in jeder Debatte zur Integrationspolitik großen Wert darauf, sich in dem Spannungsverhältnis zu bewegen, zwischen der Feststellung, dass Integration erleichtert werden muss, es aber ebenso gilt, dass Integration keine Einbahnstraße sein kann und Regeln für alle hier Lebenden zu gelten haben.

In diesem Sinne bitte ich Sie, von einer weiteren Aussetzung des Familiennachzugs im Sinne einer guten und ausgewogenen Gesamtlösung abzusehen.

Vielen Dank.