26.01.2018

Die übliche Enttäuschung

Erschiene in: Hoff, Benjamin-Immanuel, Die übliche Enttäuschung, in: Der Freitag 4/2018, S.4.

In einem im Frühjahr 1928 erschienenen Beitrag in Le Réveil Communiste, arbeitete Karl Korsch unterschiedliche Strömungen in der sozialistischen Bewegung heraus. Dabei formulierte er die Annahme, dass für eine dieser Strömungen „bis zum Jahr 1914 selbst die ‚Spaltung‘ in ‚Bolschewiki‘ und ‚Menschewiki‘ in Wahrheit lediglich eine extreme Verschärfung des Fraktionskampfes innerhalb einer einheitlichen [sozialdemokratischen] Partei sei.“ Diesem Gedanken haftet etwas Bestechendes an. Umso mehr wenn wir ihn um 100 Jahre verlängern.

Die Annahme würde dann so lauten: das pathologische Verhältnis nicht nur zwischen SPD und der Partei Die Linke, sondern der gesellschaftlichen Linken zur Sozialdemokratie insgesamt wird auch davon bestimmt, dass es sich um den weiter nicht ausgefochtenen Kampf innerhalb einer „gesellschaftlichen sozialdemokratischen Partei“ handelt, in der das reale Parteibuch nichts über die Mitgliedschaft aussagt.

Es ist derzeit mal wieder en vogue auf die SPD einzudreschen. Sich daran zu beteiligen – ebenso verständlich wie unanständig. Man tritt niemanden, der bereits am Boden liegt. Umso mehr als Beteiligte auf Seiten der Linken seit Jahren selbst ziemlich blass um die Nase sind. Es sei daran erinnert, dass bereits seit 2013 die gesellschaftliche Mehrheit in Deutschland rechts gewählt hat. Eine rechnerische rot-rot-grüne Mehrheit gab es nur, weil AfD und FDP jeweils knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten. Inzwischen sitzt die AfD in fast allen Landtagen und im Bundestag. Der Brandenburger CDU-Vorsitzende will mit der AfD nach der Landtagswahl 2019 Sondierungsgespräche führen. Die CDU in Sachsen-Anhalt ist an der AfD-Linie in zwei fast gleich große Lager gespalten. Wer Konservative mit Rechtsextremen regieren sehen will, wird mittelfristig wohl nicht bis nach Österreich schauen müssen.

Dies zu verhindern, bedeutet auch die Tanzfläche des Rechtspopulismus zu verlassen, statt zu glauben, man könne die gleiche Melodie besser von links spielen. Vielmehr kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass progressive Politik in einem unauflösbaren Konflikt zu Ausgrenzung und Ressentiments steht. Diese werden durch die AfD gefüttert und von Konservativen aus CDU und CSU im Diskurs dramatisch enthemmt.

 

Stolz und Bedürfnis

Die historische Aufgabe der pluralen Linken besteht – anders als Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht glauben machen – darin, diesem Diskurs praktische Vorstellungen von Solidarität und Integration entgegenzusetzen. Davon sind die Sondierungs-Ergebnisse der SPD weit entfernt.

Sollte ein schwarz-roter Koalitionsvertrag beim SPD-Mitgliederentscheid eine deutliche Mehrheit erhalten, wovon auszugehen ist, dann ist ein erneuter Exodus aus der SPD möglich – gerade von denjenigen, die im Winter 2016 in die Partei strömten, als Martin Schulz für wenige Wochen das Fenster öffnete und eine SPD erkennen ließ, die auf sich stolz war weil sie auf ein gesellschaftliches Bedürfnis stieß.

Ein Bedürfnis, das weder Die Linke noch Grüne und andere zu decken in der Lage waren – und sind. Dies darf nicht vergessen werden, wenn etwa Jakob Augstein formuliert, dass sich jenseits der SPD „für die linken, sozialen, liberalen Inhalte neue Gefäße finden“ ließen (der Freitag 3/2018). Parteien und Sammlungsbewegungen, die einige sich derzeit herbeiträumen, entstehen nicht im luftleeren Raum. Sie sind erfolgreich als Resultate eines sich artikulierenden Bedürfnisses und wenn Spontanität mit organisatorischer Erfahrung vereint wird. Fehlt es daran, bleiben nur die die Mühen der Ebene sozial-ökologischer und grundrechtsliberaler Reformpolitik unter widrigen Umfeldbedingungen für parteipolitische und gesellschaftliche Mitte-Links-Bündnisse. Klingt ebenso unsexy wie anstrengend? Ist es auch.

Und erfordert, Widersprüche aufzulösen. Man kann nicht sehnsüchtig auf Bernie Sanders und Jeremy Corbyn verweisen und andererseits zum x-ten Mal das Totenglöckchen der SPD klingeln. Sanders arbeitet als parteiloser demokratischer Sozialist im Vorstand der Demokratischen Partei. Corbyn will die Labour-Party stark machen und in die nächste Regierung führen.

 

Mehrheiten zurückgewinnen

Es ist vorhersehbar, wie auf Begeisterung die übliche Enttäuschung folgen wird. Der Umgang in der Linken mit Alexis Tsipras und Syriza zeigt es anschaulich.

Doch auch radikale Reformpolitik trägt den Reformismus in sich. In diesem Sinne braucht nicht allein die SPD, sondern die gesellschaftliche Linke einen Neuanfang. Vor allem im Umgang miteinander und der Fähigkeit, Mehrheiten zurückzugewinnen. Ansonsten kann sie sich statt wie bisher in der gesellschaftlichen Sozialdemokratie in „neuen Gefäßen“ die Gründe für die eigene Bedeutungslosigkeit gegenseitig in die Schuhe schieben.