Das öffentlich-rechtliche Gut

Die Strukturvorschläge von ARD und ZDF für einen zukunftsfähigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Erschienen in: Hoff, Benjamin-Immanuel, Das öffentlich-rechtliche Gut, in: Politik & Kultur, Nr. 6/2017, S.30.

 

Seit Frühjahr letzten Jahres befasst sich eine Länder-Arbeitsgruppe mit einer möglichen Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Beaufttragt wurde diese Arbeitsgruppe »Auftrag und Strukturoptimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter« von den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder, die die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gestalten. Die Arbeitsgruppe hat die Intendanten des ZDF, von Deutschlandradio und den in der ARD zusammengeschlossenen Rundfunkanstalten den Auftrag erteilt, ihrerseits Vorschläge vorzulegen, mit denen auf die komplexen Herausforderungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks reagiert werden kann. Dabei sollte das Spannungsfeld von technologischem Fortschritt, trimedialen Strategien, prognostizierten Kostensteigerung und  dem politischen Ziel der Beitragsstabilität eingegangen werden. In der letzten Septemberwoche legten ARD, ZDF und Deutschlandradio ihre Berichte vor. Die drei Rundfunkanstalten haben dabei eng zusammengearbeitet und Vorschläge vorgelegt, die insbesondere die Bereiche Verwaltung, Technik, IT und Produktion betreffen. Im Ergebnis sollen erhebliche Potenziale zur Minderung des Finanzbedarfs der Anstalten gehoben werden. Bis zum Frühjahr 2018 soll über die Umsetzung beraten werden. Dass Akteure wie der Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) die Vorschläge als unzureichend kritisiert und eine Eindämmung des Auftrags der Öffentlich-Rechtlichen fordert, liegt auf der Hand.

 

Wert und Gegenwert

Heute ist die offene Infragestellung der Legitimität öffentlich-rechtlicher Medienberichterstattung und ihrer Glaubwürdigkeit an der Tagesordnung. Auch wenn entsprechende Langzeitstudien zum massenkommunikativen Nutzungsverhalten, finanziert von ARD und ZDF, den öffentlich-rechtlichen Medien weiterhin gegenüber den privaten Medien eine politisch ausgewogene Berichterstattung attestieren, sind die Ausschläge der Kritik, wie z. B. über die Berichterstattung zu den Vorfällen in Köln in der Silvesternacht von 2015 sowie anlässlich der sog. Ukraineberichterstattung spürbarer und intensiver.

Angesichts dessen ist es ebenso lohnenswert wie sinnvoll sich des Werts des Öffentlichen durch eine Betrachtung eines Vorbildes für öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der BBC, zu vergewissern,. Das Chapter der Royal Charta der BBC spricht von folgenden sechs »Public Purposes«:

»(a) sustaining citizenship and civil society;

(b) promoting education and learning;

(c) stimulating creativity and cultural excellence;

(d) representing the UK, its nations, regions and communities;

(e) bringing the UK to the world and the world to the UK;

(f) in promoting its other purposes, helping to deliver to the public the benefit of emerging communications technologies and services and, in addition, taking a leading role in the switchover to digital television.«

Trotz des Unterschieds der institutionellen Grundstruktur stellen diese Profile gute Vorgaben für ein Qualitätsäquivalent für das gute Öffentliche als öffentliches Gut für die deutsche Medienpolitik dar. Die Verben »unterstützen«, »voranbringen«, »stimulieren« sind der deutschen medienrechtlichen Sprache eher fremd. Unbekannt ist den Rundfunkstaatsverträgen das Wort »Exzellenz«. Bedauerlich und gleichzeitig Hinweis für eine lohnenswerte Richtung neuen Denkens in einer rundfunkpolitischen Debatte, in der bislang keine gute Antwort auf die Frage gegeben werden kann, warum ARD und ZDF, Deutsche Welle und Deutschlandfunk insgesamt fast um die Hälfte teurer sind als die BBC, jedoch nicht in gleichem Maße an Exzellenz hervorstechen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist Ankermedium. Das Rückenmark der Medienpolitik besteht darin, die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sichern. Dafür wird es notwendig sein, von der berechtigten Sicht auf Altersversorgungslasten, Einsparpotenziale mit dem Ziel der grundsätzlichen Beitragsstabilität, die eine gewisse und noch festzulegende Schwankungsbreite nicht verlässt, abzurücken und stattdessen den Aspekt beitragsfinanzierter Exzellenz in den Mittelpunkt zu stellen.

 

Auftrag und Strukturoptimierung

Die derzeit laufenden Befassungen zu Fragen des Auftrags und der Strukturoptimierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stellen ohne Frage die größte medienpolitische Herausforderung der letzten Jahrzehnte dar. Es geht um viel, um sehr viel: in gleichem Maße um die Glaubwürdigkeit eines dualen Rundfunksystems, wie um die Glaubwürdigkeit der deutschen föderalen Medienpolitik. Die Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten formulierte 2016 eindeutig: »Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder betonen, dass die Sicherung der Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seiner Finanzierung nur durch entschlossene Reformschritte durch Länder und Anstalten gesichert werden kann, die über die Optimierung administrativer Prozesse hinausgehen. Hierzu gehören grundlegende strukturelle Veränderungen und die zukunftsfähige Ausgestaltung des Auftrags unter Wahrung der Programmautonomie. Dabei sind die Beschränkung und die zeitgemäße Ausgestaltung des Auftrags sowie die Beseitigung von Doppelstrukturen in den Blick zu nehmen. Neue Angebote dürfen nur bei Anpassung von bestehenden Angeboten beauftragt werden. Dies muss mit der Beitragsstabilität in Einklang stehen.«

Die Betonung der »Beitragsstabilität« im Beschluss zeigt dessen Bedeutung in den Augen der Politik doch gleichzeitig ist der Begriff sehr unspezifisch. Je nach medienpolitischer Grundhaltung wird darunter durchaus Unterschiedliches verstanden.

Das von den Anstalten erneut auf den Tisch gelegte »Indexierungsmodell« hat im Länderkreis über Einzelstimmen hinaus kaum Gegenliebe erfahren.

Einige Länder verstehen die Beitragsstabilität »absolut«, d. h. eine Festsetzung der derzeitigen monatlichen Belastung auf 17,50 Euro auch über die ab 2021 beginnende kommende vierjährige Beitragsperiode hinaus. Andere Länder planen noch langfristiger.

Jeder Landwirtin im Allgäu und jedem Hipster im Prenzlauer Berg ist klar, dass sämtliche Lebensbereiche einer natürlichen Preisentwicklung unterworfen sind. So auch ARD, ZDF und Deutschlandradio. Wer hier zum falschen Zeitpunkt spart, zahlt morgen noch mehr drauf.

Insoweit kommt es darauf an, einen langfristig tragfähigen Begriff der »relativen« Beitragsstabilität zu entwickeln. Denkbar und wohl unausweichlich ist unter dieser Lesart eine moderate Erhöhung der Rundfunkbeiträge ab der kommenden Beitragsperiode – sicherlich nur unter der Maßgabe möglich, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio es proaktiv verstehen, die Erwartungshaltungen in Sachen Qualitätsjournalismus, guter Arbeit, Digitalisierung an den richtigen journalistischen Schnittstellen, weitere Stärkung der regionalen Verankerung der journalistischen Arbeit sowie neuer Schwerpunktsetzungen z. B. im zukunftsrelevanten Medienbildungsumfeld, zu erfüllen. Hierzu werden auch massive Umschichtungen der Ressourcen innerhalb der Anstalten notwendig.

 

Plausibles Szenario der »gelernten« Beitragshöhe von 17,98 Euro

Ein durchaus plausibles Szenario könnte im Rückgriff auf die »gelernte« Beitragshöhe von 17,98 Euro bestehen. Eine »Achtzehn« vor dem Komma ist nur schwer vermittelbar, das Niveau von 17,98 Euro hingegen würde der Höhe der Jahre 2009 bis 2012 entsprechen.

Wenn die Medienpolitik zurecht den Anspruch erhebt, dass eine langfristige Beitragsstabilität – sei sie nun »absolut« oder »relativ« – zu erreichen sein soll, so stellen sich bei dem dafür notwendigen Finanzvolumen essenzielle Fragen, wo und wie adäquat Geld eingespart werden kann, beziehungsweise nicht auszugeben ist. Es ist davon auszugehen, dass seitens der öffentlichen Rundfunkanstalten bei der Überprüfung der in dem MPK-Beschluss genannten Themenfelder ein solch kompensierendes Volumen wohl nicht zu erreichen sein wird. Diesen Herausforderungen werden sich die Rundfunkkommission und die Anstalten in diesem Herbst ggf. unter Mitwirkung externen Sachverstandes stellen müssen.

Gelingt diese Aufgabe wird es eine Blaupause für zukunftsorientiertes Handeln und für eine kreative Medienpolitik sein. Nicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht auf einem Prüfstein. Auf ihm steht die Handlungsfähigkeit einer deutschen föderalen Medienpolitik in Zeiten der Medienkonvergenz.

Im Rahmen dieser Diskussion plädiere ich für folgende Positionen:

  • Eine Fusion von ARD und ZDF, wie sie der CSU und dem bayerischen Ministerpräsidenten vorschwebt oder die Abschaffung der ARD inklusive der Tagesschau und Verzwergung auf regionale Dritte Programme, wie dies die CDU-geführte Staatskanzlei in Sachsen-Anhalt fordert,hießeauf dem Parkett des Rechtspopulismus nach der Musik der AfD zu tanzen. Mit solchen Forderungen schießen demokratische Akteure den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sturmreif – aus Angst vor Rundfunkbeitrags-Gegnern wie Reichsbürgern und PEGIDA. Dies ist ebenso gefährlich wie wenig sinnvoll.
  • Der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland in einer angemessenen Adaption der genannten BBC-Kriterien wäre zeitgemäß und würde der pekuniär und struktur-fokussierten Sicht eine qualitative Erweiterung ermöglichen, die zwingend notwendig ist. So würde exzellente journalistische Arbeit, die unbequem sein soll und muss sowohl Maßstab als auch Ziel der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Konkrete Vorschläge für mehr Transparenz und Effizienz der Anstalten werden erwartet. Selbstverständlich braucht es für die im Public-Service Tätigen gute Arbeitsverhältnisse und gute Arbeitsverträge, aber die allgemeine und öffentliche Finanzierung bedeutet, dass auch die Vergütungs- und Versorgungsstruktur sich am öffentlichen Dienst zu orientieren hat. Die Bezüge und Altersversorgung oberster Bundesrichter, deren Unabhängigkeit wohl außer Frage steht, sollten dabei den Rahmen für die Leitungsebene  der Anstalten abstecken.
  • Die Einschätzung der Rechnungshöfe, wonach die Landesmedienanstalten zu üppig ausgestattet seien, ist auf jeden Fall aus Thüringer Sicht deutlich zurückzuweisen. Im Gegenteil – insbesondere mit Blick auf die vielfältigen Initiativen im Bereich der Medienkompetenz und der Medienbildung für alle Beitragszahlerinnen und Beitragszahler erfüllen die Landesmedienanstalten eine wichtige Zukunftsaufgabe, weshalb der den Landesmedienanstalten aus dem Rundfunkbeitrag zustehende Anteil von derzeit 1,8989 Prozent im ersten Schritt auf 2 Prozent und dann in weiteren Schritten mittelfristig auf 3Prozent zu erhöhen ist. Dies verpflichtet die Landesmedienanstalten selbstredend, ihre Mittel wirtschaftlich und effizient einzusetzen.

In ihrer Herbstsitzung haben sich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder mit den Zwischenergebnissen der Strukturoptimierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten befasst – die Debatte geht nun in die entscheidende Phase.