15.05.2017

Rot-Grün in NRW nach sieben Jahren abgewählt

Wahlnachtbericht und erste Analyse von Benjamin-Immanuel und Horst Kahrs

Der folgende Beitrag ist ein Auszug aus dem Wahlnachtbericht, der unter dem untenstehenden PDF-Dokumenten in Gänze eingesehen werden kann.

 

In Nordrhein-Westfalen wird erneut ein großer Politikwechsel vollzogen. Nachdem SPD und Grüne im Jahre 2010 die schwarz-gelbe Koalition zunächst als Minderheitsregierung ablösten und zwei Jahre später mit deutlicher Mehrheit erneut die Regierung stellen konnten, könnten CDU und FDP nun wieder eine gemeinsame Landesregierung bilden.

Das Parteienspektrum in NRW hat sich in diesen drei vergangenen Wahlgängen spürbar verändert. Gelang 2010 der Partei DIE LINKE erstmals der Einzug in den Landtag in NRW, mussten deren Abgeordnete bei der vorgezogenen Landtagswahl 2012 ihre Plätze räumen, während die Piratenpartei mit mehr als 9% fulminant den Landtag enterte. Weitere fünf Jahre später verabschiedet sich die Piratenpartei sang- und klanglos aus dem letzten ihr verbliebenen Landtag. Mit mehr als 7% kann die rechtspopulistische AfD den dreizehnten der sechzehn Landtage in Deutschland erobern, während DIE LINKE den Wiedereinzug in den Landtag denkbar knapp mit rund 4,9% verfehlt.

Politischer Erdrutsch, der nicht überrascht

Angesichts dessen gleicht das Ergebnis der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen einem politischen Erdrutsch. Gleichzeitig halten sich die Überraschungen in Grenzen, sofern man auch in den letzten Monaten abgefragte und abgeschätzte Stimmungen und tatsächliche Stimmen auseinandergehalten hat.

Die rot-grüne Landesregierung wurde mit deftigen Verlusten für beide Regierungsparteien abgewählt. Statt knapp über 50% erhielten die beiden Parteien nur noch um die 37% der gültigen Stimmen. Einen solch deutlichen Verlust der Regierungsmehrheit hat es selten gegeben.

Die »kleine Bundestagswahl« bestätigt die bereits nach der Bundestagswahl 2013 in den von Horst Kahrs und Benjamin-Immanuel Hoff herausgegebenen Wahlnachtberichten vertretene Ansicht, dass es im Bundestag nur eine zufällige rechnerische Mehrheit links von der Union gibt. Sie verdankt sich dem knappen Scheitern von FDP und AfD im Herbst 2013, war aber bereits damals nicht durch politische Zustimmung in der Gesellschaft gedeckt.

Bei der Landtagswahl 2012 wählten etwa 60% der Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen Parteien, die sich links von der Union positionierten, aktuell nur noch rund 40%. Von den erheblichen Verlusten von SPD, Grünen und Piraten kamen nur kaum mehr als 2% bei der Partei DIE LINKE an, die zudem nicht für den Wiedereinzug in den Landtag ausreichten. Auch wenn 4,9% bei einer Landtagswahl in NRW eine gute Ausgangslage für die Bundestagswahl darstellen, ist es ein bitterer Abend für die Landespartei. Aber nach dem deutlichen Verfehlen der 5%-Hürde in Schleswig-Holstein, den Stimmenverlusten im Saarland und der Tatsache, dass sich die Hoffnungen auf ein rot-rot-grünes Bündnis an der Saar ebenso deutlich zerschlugen wie entsprechende Optionen an Rhein und Ruhr, ist dieses Ergebnis auch für die Gesamtpartei ebenso wenig zufriedenstellend wie überraschend. In den Wahlnachtberichten weisen die Autoren seit geraumer Zeit darauf hin, dass DIE LINKE bei den Landtagswahlen seit 2009 im Wesentlichen ihre Wahlziele nicht erreichte. Mittelfristig wird sich DIE LINKE deshalb mit der Frage zu beschäftigen haben und Antworten finden müssen, warum sie bei einer so großen Bewegung früherer Wählerinnen und Wählern von Parteien links von der Union nur in so geringem Maße als Wahlalternative für soziale Gerechtigkeit in Frage kommt.

Für die CDU geht nach den gewonnenen Wahlen im Saarland und Schleswig-Holstein ein weiterer Traum in Erfüllung. Im symbolisch als »Herzkammer der SPD« aufgeladenen Land NRW kann sie die stärkste Landtagsfraktion und aller Voraussicht nach den Ministerpräsidenten stellen. Dies verschafft ihr Rückenwind für die Bundestagswahl und lässt unter den Tisch fallen, dass mit dem Ergebnis von 2017 lediglich die Verluste von 2012 ausgeglichen und der Stand der Zustimmung von 2010 wiederhergestellt ist. Bei Lichte betrachtet handelt es sich immer noch um eines der schlechteren Ergebnissen der Landespartei und lenkt davon ab, dass Ergebnisse um die 40%, mit denen vormals Wahlen durch SPD oder CDU in NRW gewonnen wurden, der Vergangenheit angehören.

Tatsächliche Wahlgewinner sind die FDP und die AfD. Die Liberalen werden zur drittstärksten Kraft im Parlament und erzielen eines ihrer besten Landtags-Ergebnisse in NRW. Sie dürften ihr Wähler/-innenpotenzial weitgehend ausgeschöpft haben. Dass 56% der Befragten es befürworten würden, wenn die Partei an der Landesregierung beteiligt sei, ist sicherlich am bemerkenswertesten im Vergleich zu den in früheren Wahlen geäußerten Negativurteilen über die Freien Demokraten. Gleichzeitig bleibt die Partei in den Augen einiger Wähler/-innen eine Funktionspartei, denn mehr als ein Drittel ist der Meinung, dass diejenigen FDP wählen müssen, die eine Große Koalition verhindern wollen.

Die AfD erreicht ein leicht besseres Ergebnis als in den letzten Vorwahl-Umfragen, bleibt aber weit von der Zweistelligkeit entfernt. Auch von der gestiegenen Wahlbeteiligung konnte die AfD nur unterdurchschnittlich profitieren. Offen bleiben muss hier, inwieweit die eindeutige Positionierung der FDP gegen eine Koalition unter Einschluss der Grünen potentielle AfD-Wähler/-innen zur FDP gezogen hat.

Die Grünen landen in etwa wieder dort, wo sie bereits 2005 standen. Sieben Regierungsjahre haben statt zur Festigung und zum Ausbau der Wähler/-innenbasis zu ihrer Halbierung beigetragen. Das »schlechte Regieren« wirkte sich vor allem in der Schulpolitik aus, wie im Weiteren zu zeigen seind wird. Die Schul- und Bildungspolitik war ein Thema, welches für eine relative Mehrheit der Wählerinnen und Wähler das wichtigste für ihre Wahlentscheidung war. Mit eigenen grünen Themen konnten sich die Landes-Grünen nicht hervortun. Auch der Ausschluss einer Jamaika-Koalition vermochte den Abwärtstrend kurzfristig nicht mehr zu drehen. Mehr als zwei Drittel (67%) gaben an, dass die Partei sich zu wenig um Wirtschaft und Arbeitsplätze gekümmert hätte. Mehr als die Hälfte (53%) meinten sogar, die Partei habe in NRW wichtige Entscheidungen und Projekte blockiert bzw. sei eine autofeindliche Partei (51%). Weitere 59% stellten den Grünen bildungspolitisch ein negatives Zeugnis aus und gaben an, dass die Partei für viel Unruhe an den Schulen gesorgt habe.

Absinkende Zufriedenheitswerte für die Landesregierung je näher der Wahltag rückte

Betrachtete man, basierend auf den Vorwahlumfragen von Infratest dimap die Zufriedenheitswerte mit der rot-grünen Landesregierung NRW im Längsschnitt, lag diese mit einer Zufriedenheit von 49% und 48% die weniger oder gar nicht zufrieden waren, ungefähr auf dem Niveau des Jahres 2000 liegt. Damals waren 45% mit der Landesregierung weniger oder gar nicht zufrieden, 50% waren zufrieden oder sehr zufrieden.

Bei der Landtagswahl 2005, als die rot-grüne Regierung durch ein Bündnis aus CDU und FDP abgelöst wurde – ein damals fast für unmöglich gehaltener Vorgang im SPD-Stammland NRW – lag der Zufriedenheitswert bei 41%, während 57% mit der Regierung weniger bzw. gar nicht zufrieden waren. Fünf Jahre später hingegen konnte das schwarz-gelbe Bündnis gerade einmal Zufriedenheitswerte von 36% vorweisen, während 62% der von Infratest dimap Befragten weniger oder gar nicht zufrieden waren. Bei der Wahl 2012 wies die rot-grüne Minderheitsregierung hingegen mehrheitliche Zufriedenheitswerte auf.

Gleichzeitig zeigte sich bereits auf den für Mai erhobenen Werten von Infratest dimap, dass nur zwei Gruppen mit der Landesregierung mehrheitlich zufrieden waren: die Anhänger/-innen der SPD (81%) und die in ihrem Wahlverhalten noch Unentschlossenen (53%).

Selbst die Anhänger/-innen des kleineren Koalitionspartners, der Grünen, waren mit 51% zu 49% eher weniger oder gar nicht zufrieden mit der Landesregierung.

Von den Anhänger/-innen der parlamentarischen und außerparlamentarischen Oppositionsparteien waren diejenigen der CDU mit 37%, die sehr zufrieden oder zufrieden waren und 61%, die weniger oder gar nicht zufrieden waren, noch am ehesten wohlwollend gegenüber der Regierung Kraft. Die Anhänger/-innen von FDP, LINKEN und AfD waren mit rund 20% Zufriedenheit bei 76%-81% Unzufriedenheit vergleichsweise deutlich weniger wohlwollend.

Die latente Unzufriedenheit der Anhänger/-innen der Grünen mit der Landesregierung findet ihr Pendant in der deutlich stärker ausgeprägten Unzufriedenheit über die Arbeit der Grünen in der Landesregierung im Vergleich zur Arbeit der SPD.

Laut Infratest dimap zeigten sich mit der Arbeit der SPD in der Landesregierung 46% sehr zufrieden oder zufrieden, während 49% weniger oder gar nicht zufrieden waren. Bei den Grünen hingegen waren gerade einmal knapp ein Viertel der Befragten (26%) sehr zufrieden oder zufrieden, während rund zwei Drittel (64%) weniger bis gar nicht zufrieden waren.

Am Wahltag veröffentlichte Zahlen von Infratest dimap weisen hingegen eine Zufriedenheitsquote von 45% aus, während 53% mit der Landesregierung unzufrieden waren. Damit hatte die Zufriedenheit gegenüber 2012 um 8 Prozentpunkte abgenommen und die Unzufriedenheit um 7 Prozentpunkte zugenommen.

Die Landesregierung NRW erreichte damit, verglichen mit den vorhergehenden Wahlen in Schleswig-Holstein (Zufrieden: 56%), dem Saarland (69%), Rheinland-Pfalz (61%) und Baden-Württemberg (70%) den niedrigsten Zufriedenheitswert einer Landesregierung.

Auch nach Politikfeldern fiel die Bilanz der Zufriedenheit mit der Landesregierung NRW gemischt aus. Bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen zeigten sich 58% der von Infratest dimap im April 2017 befragten Wahlberechtigten sehr zufrieden oder zufrieden, während 36% weniger oder gar nicht zufrieden waren. Auch bei den Politikzielen, die Wirtschaft in NRW voranzubringen (52% zu 45%) und Arbeitsplätze zu erhalten oder neue Arbeitsplätze zu schaffen (50% zu 44%), liegen die Zufriedenheitswerte über denen der Unzufriedenheit.

Bei den Politikfeldern Bekämpfung von Kriminalität und Terror (38% zu 60%), Schul- und Bildungspolitik (29% zu 65%), Armutsbekämpfung (28% zu 66%) und der Sanierung der Verkehrsinfrastrukturen (27% zu 70%) liegen die Zufriedenheitswerte mit erheblichem Abstand unter denen der Unzufriedenheit.

Persönlichkeitsfaktor auch in NRW entscheidend: Hannelore Kraft hat diese Wahl verloren

Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg aber auch in Rheinland-Pfalz wurden durch die Ministerpräsidenten gewonnen. Ebenso im Saarland. Diese Wahlen, ebenso wie z.B. in Mecklenburg-Vorpommern zeigten eindrücklich die Bedeutung von Persönlichkeiten im Wahlkampf.

Auch für NRW trifft dies zu - nur umgekehrt. Diese Landtagswahl wurde nicht zuletzt durch die Persönlichkeit Hannelore Kraft verloren.

Die Ministerpräsidentin war für die absolute Mehrheit der SPD-Wähler/-innen wahlentscheidend. Gefragt nach den Ansichten über die SPD antworteten 60% der Wähler/-innen, dass Hannelore Kraft verstünde, was die Menschen in NRW bewegt und 53% äußerten die Auffassung, dass Hannelore Kraft sich wirklich um die Probleme der Menschen kümmert.

Dennoch beruht der in den letzten Wochen des Wahlkampfs in NRW zunehmend kleiner werdende Abstand zwischen SPD und CDU und letztlich die Überflügelung der Sozial- durch die Christdemokraten, so zumindest die Daten von Infratest dimap, nicht auf gestiegenen Zustimmungswerten des CDU-Herausforderers Armin Laschet. Vielmehr sank die Zustimmung zur SPD-Amtsinhaberin Hannelore Kraft.

Hätten im Dezember 2015 bei einer Direktwahl noch 61% aller Wahlberechtigten für Hannelore Kraft gestimmt, während 21% für Armin Laschet votiert hätten, lag der Zustimmungswert für Hannelore Kraft im Mai 2016 bei 58%, im Oktober 2016 bei 56% und im Mai 2017 bei nur noch 49%, während Armin Laschet im April einen Höchstwert mit 31% verzeichnen konnte, der im Mai 2017 wieder auf 28% abgeschmolzen war.

Armin Laschet konnte nicht einmal in der Anhänger/-innenschaft der CDU dauerhaft mehr als zwei Drittel von sich überzeugen. Allein im Mai und April 2017 hätten 69% bzw. 65% der CDU-Anhänger/-innen bei einer Direktwahl für ihn votiert, während im Mai 2017 immerhin noch jeder fünfte CDU-Anhänger und im April 2017 knapp ein Viertel für Hannelore Kraft gestimmt hätten.

Die Zustimmung der Anhänger/-innen der Grünen für Hannelore Kraft im Falle einer Direktwahl sank – je näher die Wahl rückte – auf einen der niedrigsten Werte überhaupt (71%), lag damit jedoch immer noch sehr hoch.

Die Zustimmungswerte für die amtierende Ministerpräsidentin seitens der Anhänger/-innen der Linkspartei sind ausgesprochen interessant. Obwohl die Anhänger/-innen der Linkspartei mehrheitlich mit der Arbeit der Landesregierung unzufrieden waren, hätten im Februar 2017 im Falle einer Direktwahl 74% für Hannelore Kraft gestimmt. Diese Zustimmungswerte unterliegen freilich deutlichen Schwankungen, denn während im Mai 2016 immerhin 63% der LINKE-Anhänger/-innen für Hannelore Kraft gestimmt hätten, sank dieser Zustimmungswert zum Oktober 2016 auf 46% ab, nahm anschließend, wie dargelegt, erneut zu und sank zum Mai 2017 auf 49% ab.

Deutlicher Verlust der SPD bei den thematischen Kompetenzwerten

Anders als bei der Wahl 2012 hat die SPD in der Themenprofilierung gegenüber der CDU, basierend auf den Vorwahlbefragungen von Infratest dimap, je näher der Wahltermin rückte, dramatisch verloren.

Bei der Wahl 2012 war die SPD stärker profiliert als die CDU. In der allgemeinen Zukunftsfrage – wer kann die wichtigsten Landesprobleme am ehesten lösen, lag sie mit rund zehn Prozentpunkten Vorsprung auf Platz 1. Fünf Jahre später liegen beide Parteien mit 33% gleichauf.

Die SPD liegt allein bei den Politikfeldern Soziale Gerechtigkeit (42% zu 21%) und Armutsbekämpfung (38% zu 23%) vor der CDU. Bei den Politikfeldern Arbeitsplatzschaffung und –sicherung (35% zu 38%), Gute Schul- und Bildungspolitik (30% zu 35%), Wirtschaftspolitik (27% zu 44%), Verkehrspolitik (25% zu 36%) und Bekämpfung von Kriminalität und Terror (21% zu 43%) erhält die oppositionelle CDU jeweils und zum Teil deutlich höhere Kompetenzwerte als die stärkere Regierungspartei. Zudem ließ sich zwischen Februar 2017 und Mai 2017 ein nicht unerhebliches Absinken der SPD in den Kompetenzwerten im Vergleich zur CDU feststellen.

Auch bei der Umwelt- und Energiepolitik liegt die CDU vor der SPD (16% zu 20%). Hier erhalten jedoch – wie stets – die Grünen mit 43% die höchsten Kompetenzwerte.

DIE LINKE erhält bei den Politikfeldern Soziale Gerechtigkeit (9%) und Armutsbekämpfung (7%) ihre höchsten Kompetenzwerte und liegt bei der sozialen Gerechtigkeit, anders als 2012, vor den Grünen.

Den höchsten Kompetenzwert erhält die AfD bei der Bekämpfung von Kriminalität und Terror (7%), während die höchsten Kompetenzwerte der FDP in der Wirtschaftspolitik (9%), der Schul- und Bildungspolitik (7%) und der Verkehrspolitik (5%) liegen. Bei letzterem liegen die Grünen wiederum mit 6 Prozentpunkten vor der FDP.

Über alle Politikfelder hinweg traute durchschnittlich rund jeder fünfte befragte Wahlberechtigte keiner der Parteien Kompetenzen auf den abgefragten Politikfeldern zu.

Diese Landtagswahl wurde mit landespolitischen Themen verloren...

Der deutliche Profilverlust der einst so hoffnungsvoll gestarteten Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, in Verbindung mit einem grünen Koalitionspartner, dessen Arbeit insbesondere in der Schul- und Bildungspolitik ausgesprochen negativ bewertet wurde, führte mit einem zusätzlich durch den SPD-Innenminister Jäger repräsentierten Negativbild der rot-grünen Landesregierung dazu, dass die NRW-Wahl mit klassischen Kernthemen der Landespolitik, der Bildungspolitik sowie der Innenpolitik verloren wurde. Die Flüchtlingspolitik der Landesregierung dürfte keine negative wahlentscheidende Wirkung gehabt haben, sieht man von der AfD ab, deren Stärke jedoch einem Bundestrend entspricht.

Umstrittene Schul- und Bildungspolitik

Eine der ersten und wohl auch bedeutsamsten politischen Maßnahmen der rot-grünen Landesregierung war der unter der grünen Bildungsministerin Silvia Löhrmann verabredete „Schulfrieden“ in NRW, der eine jahrelange hochideologische Kontroverse zwischen Mitte-Links und Mitte-Rechts über die Gestaltung der Bildungspolitik beendete.

Sieben Jahre nach dem Amtsantritt der rot-grünen Regierung in NRW stehen die Zeichen bildungspolitisch wiederum auf Konflikt. Themenfelder der Kontroversen sind sowohl die Schuldauer (G8 oder G9) – die durch die handstreichartige Entscheidung in Bayern, zum G9 zurückzukehren an Bedeutung gewonnen hat – sowie die Umsetzung des Ziels eines Inklusiven Bildungssystems, vorrangig spürbar durch den Gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne besonderen Förderbedarf.

Im Oktober 2016 nannten 38% der von Infratest dimap befragten NRW-Wahlberechtigten die Schul- und Bildungspolitik als das politische Themenfeld, um das sich die Landesregierung vorrangig kümmern sollte. Mit 28% lag das Thema im März 2017 auf Platz 2, deutlich hinter der Flüchtlings- und Asylpolitik. Am Wahltag selbst nannten die von Infratest dimap Befragten mit 29% „wie es an unseren Schulen aussieht“ als am wichtigsten für ihre Wahlentscheidung.

Die Zufriedenheit mit der Landesregierung im Politikfeld Bildungspolitik fällt hingegen mit 29% der Wahlberechtigten, die sehr zufrieden oder eher zufrieden sind, bescheiden aus, im Vergleich zu 65%, die eher unzufrieden oder gar nicht zufrieden sind. In der Wahltagsbefragung zeigte sich die Unzufriedenheit mit der rot-grünen Bildungspolitik noch stärker, denn 70% Unzufriedenheit standen 24% Zufriedenheit gegenüber.

Obwohl die Grünen seit sieben Jahren die Bildungsministerin in NRW stellen, fallen die Kompetenzwerte in der Schul- und Bildungspolitik mit 7% nicht höher aus als die der oppositionellen FDP, die im Wahlkampf die Bildungspolitik betonte. Gefragt nach Ansichten über die Grünen äußerten 59% der von Infratest dimap befragten Wähler/-innen die Auffassung, die Partei „habe für viel Unruhe an den Schulen gesorgt“.

Doch auch die SPD lag mit 30% bildungspolitischer Kompetenz-Zustimmung hinter der CDU, die mit 35% auch in diesem Politikfeld als die kompetenteste Partei in NRW bei dieser Wahl gilt.

Die Zustimmung für das Abitur nach 12 Jahren lag im Oktober 2016 laut Infratest dimap bei allen Wahlberechtigten bei 11% und bei den wahlberechtigten Eltern von Schulkindern bei 14%, während 43% aller Wahlberechtigten und 42% der wahlberechtigten Eltern von Schulkindern für das Abitur nach 13 Jahren plädierten und sich 42% (Gesamt) und 44% (Eltern) dafür aussprachen, dass Schüler und Eltern zwischen einem Abitur nach 12 oder 13 Jahren wählen können sollten.

Fehler in der Innenpolitik und umstrittener Innenminister

Terroranschläge, die Vorfälle in Köln in der Silvesternacht 2016 sowie die damit verbundenen Untersuchungsausschüsse, die sich nicht zuletzt auf die Person des SPD-Innenministers Jäger fokussierten, haben, auch im Kontext einer Flüchtlingsdebatte, die Angst vor Islamismus und eine Gefährdung der inneren Sicherheit thematisierte, die öffentliche Berichterstattung in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Monaten stark geprägt.

Die Wirkung dieser Ereignisse, des Handelns der Landesregierung und der öffentlichen Debatte darüber sind nicht ohne Wirkung geblieben, auch wenn ein einheitliches Bild sich nicht abzeichnet.

Gefragt „Fühlen Sie sich im öffentlichen Raum – also zum Beispiel auf Straßen und Plätzen und in Bahnhöfen – alles in allem sehr sicher, eher sicher, eher unsicher oder sehr unsicher?“ fühlten sich im März 2017 mit 63% fast zwei Drittel der von Infratest dimap befragten NRW-Wahlberechtigten sehr sicher (15%) oder eher sicher (48%), während sich 28% eher unsicher und 8% sehr unsicher fühlten.

Getrennt nach Geschlechtern erhoben unterscheiden sich insbesondere die Werte „sehr sicher“ und „eher unsicher“ von Männern und Frauen. Während nur 10% der befragten Frauen angaben, sich „sehr sicher“ zu fühlen, taten dies doppelt so viele Männer (21%). Nur 22% der befragten Männer hingegen fühlten sich „eher unsicher“, während mit 33% der Anteil der Frauen deutlich höher lag.

Bei der Bekämpfung von Kriminalität und Terror waren 38% mit der Landesregierung sehr zufrieden oder zufrieden, während 60% der Befragten im April 2017 weniger oder gar nicht zufrieden waren. Im Vergleich zu 2012 stieg die Bedeutung des Politikfeldes um 9 Prozentpunkte auf 10 an. In der Rangliste der wichtigsten Themen lag es freilich im April 2017 auf Platz 6 unter anderem hinter der Sanierung von Infrastrukturen (Straßen, Brücken, Krankenhäuser, Internet), die ebenfalls um 9 Prozentpunkte an Bedeutung gewonnen hatte.

Im Oktober 2016 hingegen nannten, danach gefragt, um welches politische Themenfeld sich die Landesregierung in NRW vorrangig kümmern sollte, 15% der Befragten das Politikfeld „Innere Sicherheit und Terrorbekämpfung“ als zweitbedeutsamste politische Aufgabe. Der Unterschied zur wichtigsten politischen Aufgabe, der Schul- und Bildungspolitik (38%) betrug freilich deutliche 23 Prozentpunkte. Die Innere Sicherheit lag mit 15% gleichauf wie das Themenfeld Arbeit und Wirtschaft (15%) und die Sozialpolitik (14%).

Dementsprechend fiel auch der Kompetenzvergleich zwischen SPD und CDU bei der Bekämpfung von Kriminalität und Terror im April 2017 aus. Nur 21% hielten die SPD für kompetenter als die CDU, die 43% für die kompetenteste Partei hielten. Rund ein Jahr zuvor, im Mai 2016 lag der Kompetenzwert der SPD bei 23% zu 35% für die CDU. Vergleicht man diese Werte mit Mai 2005, als die CDU gemeinsam mit der FDP die rot-grüne Regierung erstmals ablösten, liegt die SPD unterhalb ihres damaligen Kompetenzwertes von 28%, während die CDU deutlich von ihrem Kompetenzwert 51% entfernt ist. Hierbei ist möglicherweise zu berücksichtigen, dass die AfD bei der Bekämpfung von Kriminalität und Terror mit 7% ihren höchsten Kompetenzwert erreicht und insoweit auch der CDU Konkurrenz macht. Alles in allem liegt die SPD beim Thema Innere Sicherheit spürbar hinter den Kompetenzwerten der CDU, die sich dieses Themenfeld mit der AfD teilt. Gefragt nach den Ansichten zur SPD gaben 51% der Befragten an, dass Ralf Jäger als Innenminister versagt habe.

Vergleichsweise positive Sicht auf die Migrations- und Flüchtlingspolitik in NRW

Während in anderen Bundesländern dem Flüchtlingsthema wahlentscheidende Bedeutung zukam, ist dies für Nordrhein-Westfalen nicht festzustellen. Eine Mehrheit von 60% der Befragten war nicht der Auffassung, dass es wegen der Flüchtlinge unsicherer in NRW zugehen würde, während 39% dies bejahten, darunter alle befragten Anhänger/-innen der AfD, während ansonsten bei den Anhänger/-innen aller anderen Parteien die Auffassung überwog, dass es keinen Anlass zur Sorge gäbe.

Vielmehr empfanden 65% der Befragten Flüchtlinge als Bereicherung. Dies ist von allen Wahlen seit der Sachsen-Anhalt-Wahl im vergangenen Jahr der höchste Wert. Gleichzeitig sprachen sich 85% der Befragten dafür aus, dass abgelehnte Asylbewerber/-innen schneller abgeschoben werden sollten und 68%, dass die Zahl der Flüchtlinge auf Dauer begrenzt sein sollte. Dass der Einfluss des Islam immer stärker wird, sehen 48% mit Sorge.

Insofern zeigten sich auch, wie bereits dargestellt wurde, bezogen auf die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen 58% der von Infratest dimap im April 2017 befragten NRW-Wahlberechtigten sehr zufrieden oder zufrieden, während 36% weniger oder gar nicht zufrieden waren.

Mit 42% und einem Unterschied von 14 Prozentpunkten im Vergleich zu März 2012 nannten im März 2017 die NRW-Wahlberechtigten die Themen Migration/Flüchtlinge/Asylpolitik als die wichtigsten Probleme in Nordrhein-Westfalen. Im Oktober 2016 hingegen nannten, danach gefragt, um welches politische Themenfeld sich die Landesregierung in NRW vorrangig kümmern sollte, nur 10% der Befragten das Politikfeld „Flüchtlingspoltik“, das damit auf dem vorletzten Platz rangierte.

...und mit Bundespolitik gewonnen

Wie bundespolitische Aspekte in diese NRW-Landtagswahl hinein wirkten, lässt sich anhand der Ansichten über die Parteien, erhoben von Infratest dimap, zeigen. Aber auch anhand gesellschaftspolitischer Einschätzungen, die von den Wähler/-innen im Vorfeld der Wahlentscheidung vorgenommen oder die Wahlentscheidung bewirkt haben.

Mit 74% gibt ein hoher Anteil der Befragten an, dass die SPD nicht genau sage, was sie für soziale Gerechtigkeit konkret tun wolle. Waren bei der Landtagswahl 2010 55% der Befragten der Auffassung, dass die SPD sich am stärksten um den sozialen Ausgleich bemühe und 2012 63% der Befragten, äußerten bei dieser Wahl nur 50% diese Auffassung.

Immerhin 40% derjenigen, die ihre Ansicht zur Linkspartei äußerten, waren der Meinung, dass diese Partei sich am stärksten um den sozialen Ausgleich bemühen würde und 41% gaben an, dass DIE LINKE eine gute Alternative für alle sei, die sich bei der SPD nicht mehr aufgehoben fühlen.

Dass 58% derjenigen, die zu ihrer Ansicht über die CDU befragt wurden angaben, dass es in NRW insgesamt zwischen SPD und CDU gar keine so großen Unterschiede geben würde, sollte die sozialdemokratische Wahlanalyse durchaus zur Kenntnis nehmen, denn 61% waren wiederum der Auffassung, dass die CDU die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vernachlässigen würde.

Es ist an anderer Stelle bereits dargestellt worden, dass im direkten Vergleich der beiden bisherigen Regierungsparteien die Grünen erheblich schlechter abgeschnitten hatten als die SPD. Die über die Grünen geäußerten Ansichten konturieren diese Bewertung. Über 80% derjenigen, die zu ihren Ansichten über die Grünen befragt wurden, gaben an, dass sie nicht mehr wüssten, was die Partei im Bund außer Umweltschutz erreichen will.

Bereits seit einigen Jahren ist festzustellen, dass die wirtschaftliche Lage in Umfragen mehrheitlich positiv gesehen wird. Dies trifft sowohl auf die Länder als auch auf den Bund zu.

Gaben in NRW in den Jahren 2005 81% und 2010 73% der Befragten an, dass die wirtschaftliche Lage schlecht sei, während 18% bzw. 24% die wirtschaftliche Lage als gut bewerteten, sahen 2012 nur noch 52% eine schlechte wirtschaftliche Lage, wohingegen 46% die Lage als gut einschätzten. Bei der Landtagswahl 2017 hat sich dieses Verhältnis erstmals seit über 17 Jahren umgekehrt. Nur ein Drittel (34%) der Befragten sah die wirtschaftliche Lage als schlecht an, während knapp zwei Drittel (64%) die wirtschaftliche Lage als gut bewerteten.

Gleichwohl gehört es zu den Erkenntnissen entsprechender Befragungen, dass die Wahrnehmung einer guten oder schlechten wirtschaftlichen Lage stark mit dem sozialen Status korreliert. Oder anders ausgedrückt: Je geringer der soziale Status, um so pessimistischer wird die wirtschaftliche Lage insgesamt und die eigene ökonomische Situation bewertet.

Die Aussagen zur wirtschaftlichen Lage sind dementsprechend sinnvoll ins Verhältnis zur Wahrnehmung sozialer Gerechtigkeit zu setzen. Hier stellt sich heraus, dass 59% der Befragten der Auffassung sind, dass es in Deutschland gerecht zugeht, während 37% dies verneinten. Darunter gaben mit 70% die Anhänger/-innen der Linkspartei und 66% diejenigen der AfD am vehementesten an, dass es nicht gerecht in Deutschland zugeht.

Bereits in anderen Wahlnachtberichten wurde darauf eingegangen, dass eine als bedrohlich eingeschätzte Lage internationaler Dimension Rückwirkungen bis auf die Landesebene haben kann. Dass die politische Lage in der Welt eine Bedrohung für Deutschland sei, verneinte im Sommer 2014 eine knappe Mehrheit der von Infratest dimap Befragten (51%), während 49% dies bejahten. Bis zum November 2014 stieg die Einschätzung, dass die politische Lage für Deutschland bedrohlich bzw. sehr bedrohlich sei auf 62% an, um bis Januar 2015 auf 44% zu 55% (wenig bedrohlich/gar nicht bedrohlich) abzusinken. Seitdem liegt die Einschätzung einer bedrohlichen bzw. sehr bedrohlichen politischen Lage für Deutschland stets oberhalb der 50% und lag bundesweit, ausweislich des ARD-DeutschlandTRENDS vom Mai dieses Jahres bei einem neuen Höchstwert von 64%, während nur noch 35% der Auffassung waren, die politische Lage in der Welt sei wenig bedrohlich oder gar nicht bedrohlich für Deutschland.

In Nordrhein-Westfalen lagen die Werte unterhalb denen im Bundesgebiet, doch auch zwischen Rhein und Ruhr waren 55% eher besorgt, während 43% weniger besorgt waren. Dabei empfanden, nach Parteianhänger/-innen differenziert, alle Parteien mit Ausnahme der Grünen die Lage als eher bedrohlich, während die Grünen-Anhänger/-innen die Lage als eher nicht bedrohlich (61% zu 39%) einschätzten.

Statt CDU-Spitzenkandidat Laschet entschied die Kanzlerin die NRW-Wahl

Angesichts dieser Werte dürfte die Aussage im bundesweiten Profilvergleich zwischen Angela Merkel und ihrem Herausforderer Martin Schulz, dass die Kanzlerin Deutschland bislang gut durch die Krise geführt habe, insoweit von erheblicher Relevanz sein. Denn wenn ausweislich der Infratest dimap-Nachwahlbefragung 59% der Befragten angaben, wegen Angela Merkel die CDU in NRW gewählt zu haben, dann dürfte diese Krisen-Navigationskompetenz, die der Kanzlerin zugesprochen wird – angesichts des laschen Profils des CDU-Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl – ein entscheidendes Kriterium der CDU-Wahl gewesen sein. Dies ist im Hinblick auf die Bedeutung der NRW-Wahlen als „kleine Bundestagswahl“ und Stimmungsbarometer für den Bund gar nicht hoch genug einzuschätzen

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