10.02.2017

Rede zur Entschließung des Bundesrates zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung für "Solo-Selbstständige"

Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren!

Berufliche Selbstständigkeit hat schon immer ein hohes Maß an Verantwortung, Engagement, Risikobereitschaft und Enthusiasmus gefordert. Wer eine solche Tätigkeit ausübt, weiß das aus eigener Erfahrung.

Er weiß auch, dass das Einkommen erheblichen Schwankungen unterliegen kann. Dem Einkommen, das zu erwirtschaften ist, stehen fixe Kosten gegenüber. Zu diesen Kosten zählen auch die Kosten der sozialen Absicherung. Der Wandel in der Arbeitswelt bringt es mit sich, dass es immer mehr Selbstständige gibt, die diese Kosten nicht aufbringen können.

Unternehmen, aber auch öffentliche Einrichtungen gehen mehr und mehr dazu über, Festanstellungen abzubauen und Dienste projektbezogen einzukaufen. Das betrifft Journalistinnen und Journalisten, Dolmetscher, Lehrende. Derzeit findet hier in Berlin die Berlinale statt. Ein relevanter Teil der in diesem Business, aber auch in der Kultur- und Kreativwirtschaft Tätigen ist selbstständig. Wir reden aber auch von Handwerkerinnen und Handwerkern, von Selbstständigen im Einzelhandel und in Gesundheitsberufen.

Viele dieser Selbstständigen arbeiten ohne Beschäftigte und werden deshalb als „Solo-Selbstständige“ bezeichnet. Es sind gerade diese Solo-Selbstständigen, die sich häufig eine wirksame soziale Absicherung nicht leisten können. Hier zeigt sich eine Lücke im System der sozialen Sicherung, die aus unserer Sicht dringend zu schließen ist. Dazu wird ein Finanzierungsmodell benötigt, das die Solo- Selbstständigen nicht überfordert.

In dieser Woche wurde ein Bericht veröffentlicht, der den Akteuren, von denen ich hier spreche, ein hohes Armutsrisiko attestiert. Wenn wir auf der einen Seite ein hohes Armutsrisiko in dieser Beschäftigtengruppe haben und auf der anderen Seite wissen, dass der Wandel der Arbeitswelt dazu führt, dass genau diese Gruppe von Beschäftigten immer größer wird, dann liegt es auf der Hand, dass wir dringend Lösungen brauchen.

Richtig ist sicherlich, dass es unter den Solo-Selbstständigen durchaus einige gibt, die gut, zum Teil sogar sehr gut verdienen. Solche Fälle sind wünschenswert, und sie sollten immer mehr werden. Aber sie bilden derzeit nicht die Mehrheit. Im Gegenteil: Prägender sind Selbstständigengruppen, deren Einkommenssituation deutlich schlechter aussieht.

Wenn wir ein Sicherungsnetz werfen wollen, von dem auch die weniger gut oder sogar schlecht verdienenden Solo-Selbstständigen etwas haben, dann brauchen wir zunächst einmal Klarheit über ihre Lage. Es gibt zwar bereits verschiedene Erhebungen zu diesen Selbstständigen – wer sie sind, woher sie kommen und wie ihre Einkommens- und Lebenssituation aussieht –, sie sind aber methodisch sehr unterschiedlich ausgestaltet. Deshalb sind auch die Erkenntnisse daraus beziehungsweise die Rückschlüsse auf die Situation nicht übereinstimmend. Auf dieser Grundlage ist es nicht ganz einfach, Schlussfolgerungen im Sinne einer Verbesserung der sozialen Lage prekärer Selbstständiger zu ziehen.

Es gab eine Große Anfrage der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag zur sozialen Lage und zur Absicherung von Solo-Selbstständigen. Die Bundesregierung hat darauf mit 140 Seiten Datenmaterial geantwortet. Das ist schon einmal sehr verdienstvoll; denn es hilft uns dabei, uns mit der Situation der Solo-Selbstständigen und der prekären Selbstständigen auseinanderzusetzen. Aber bei all den Daten – das sagt die Bundesregierung selbst – gibt es zum Teil noch keine Informationen über die Ausgangssituation von Solo-Selbstständigen, ihre Verschuldung oder Informationen über Insolvenzen. Und obwohl aus dem Bericht abgeleitet werden kann, dass viele Selbstständige nur über geringe Einkommen verfügen, wird von der Bundesregierung kein Handlungsbedarf gesehen.

Dem ist aus unserer Sicht zu widersprechen. Jede nächste Bundesregierung, egal welche Koalition ab Herbst im Bund regiert – wer meine Farbe kennt, weiß, welche Präferenz ich habe –, wird sich der Lage der Selbstständigen, insbesondere derjenigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft – das sage ich als Kulturminister –, annehmen müssen. Eine wirksame und finanziell tragbare soziale Absicherung ist ein verfassungsrechtlich garantiertes Grundrecht, das auch für Solo-Selbstständige gilt. Ich sehe uns hier in der Verantwortung.

Wir benötigen von der Bundesregierung ein klares Signal, wie die soziale Absicherung der Solo-Selbstständigen verbessert werden soll. An erster Stelle sollte ein Konzept für eine erschwingliche Krankenversicherung stehen; daran orientiert sich der Entschließungsantrag, über den heute beraten wird. In diesem Feld sind die Alarmsignale unübersehbar.

Das Armutsrisiko besteht nicht erst in der Zukunft, sondern wir haben die reale Situation, dass viele Solo-Selbstständige unzureichend krankenversichert sind. Dieses Problem resultiert auch daraus, dass viele Solo-Selbstständige relativ jung beginnen und bei der Familiengründung vor der Frage stehen, wie die soziale Sicherung auch dann noch realisiert werden kann.

Über 80 Prozent der in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Solo-Selbstständigen verdienen im Jahr durchschnittlich rund 9 500 Euro. Knapp die Hälfte von diesem Einkommen wird heute für die gesetzliche Krankenversicherung fällig. Von den 5 000 Euro, die übrig bleiben, kann ein Mensch vielleicht überleben, aber er und sie kann nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben, geschweige denn eine Familie ernähren.

Die Beitragslast der Solo-Selbstständigen ist im Vergleich zum erzielten Einkommen zu hoch. Dazu trägt bei, dass Solo-Selbstständige weder die Möglichkeit der Minderung der Beitragszahlungen haben, wie bei der Gleitzonenregelung für geringe Einkommen, noch finanziert ihnen – was bei Solo- Selbstständigen in der Natur der Sache liegt – ein Arbeitgeber die Hälfte der Beiträge. Eine Minderung der Beitragslast der Solo-Selbstständigen in der gesetzlichen Krankenversicherung – die prekären Selbstständigen habe ich mit im Blick – ist deshalb dringend geboten.

Was ich am Beispiel der Krankenversicherung geschildert habe, gilt im Wesentlichen auch für andere Bereiche. Darüber wollen wir Länder mit der Bundesregierung ins Gespräch kommen. Wir wollen aber nicht nur darüber reden, sondern wir wollen gemeinsam mit der Bundesregierung tätig werden. Deshalb bitten wir um Zustimmung zu dem Entschließungsantrag, der die Grundlage für ein Gespräch und eine Lösung für die prekäre Situation von Solo-Selbstständigen bietet.

– Vielen Dank.