22.06.2016

Für ein Großbritannien in einer reformierten EU

Medieninformation der Thüringer Staatskanzlei vom 22. Juni 2016

Am morgigen Donnerstag steht eine der wichtigsten Abstimmungen seit Jahrzehnten an, die die Zukunft Großbritanniens und Europas für Jahrzehnte prägen wird. Die Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens stimmen über den Verbleib ihres Landes in der Europäischen Union (EU) ab. Ein Austritt Großbritanniens wäre nicht der vielbeschworene Anfang vom Ende der EU. Aber er wäre ein manifester Ausdruck der Krise des europäischen Integrationsprozesses und würde diese Krise weiter verschärfen. Es ist nicht illegitim, sondern ein Akt direkter Demokratie, wenn die Menschen in Großbritannien darüber abstimmen, ob ihr Land Mitglied in einer Union bleiben soll, die vielfältiger, berechtigter und ungerechter Kritik ausgesetzt ist. Sorgen machen muss die Schärfe der politischen Auseinandersetzung im Wahlkampf, die insbesondere von den maßgeblichen Befürwortern eines sogenannten „Brexit“ mit hoher Aggressivität und zum Teil auch mit verzerrten Argumenten und Faktendarstellungen geführt wird. Die hasserfüllte Sprache ist der Boden, auf dem der Hass wächst, der manchmal auch in mörderische Gewalt mündet. Egal wie das Referendum ausgeht, wird es eine vorrangige Aufgabe der politischen Verantwortungsträger aus den demokratischen Parteien in Großbritannien sein, die Spaltung des Landes zu überwinden und den Hass aus den politischen Debatten zu verbannen.

Die Folgen eines „Brexit“ wären gleichwohl für alle Beteiligten dramatisch. Für die Spekulanten an den Finanzmärkten ist der Ausgang des Referendums schon jetzt zur Spielmarke geworden. Ein Ja zum „Brexit“ könnte ‎dort kurzfristig große Turbulenzen mit unkalkulierbaren Kettenreaktionen auslösen. Die Folgewirkungen für die EU und ihre Mitgliedsstaaten kann heute noch niemand im Detail voraussagen. Politische und ökonomische Unsicherheit können in einen Verlust an Wohlstand und Stabilität in der gesamten EU münden.

Für die EU muss das Referendum in jedem Fall ein Weckruf sein. Das Gelingen des europäischen Integrationsprozesses war eine Voraussetzung für den Aufbau und den Bestand einer europäischen Friedensordnung. Die Krise der EU ist auch eine Gefahr für diese Friedensordnung. Die EU und die Regierungen der Mitgliedsstaaten haben es mindestens im vergangenen Vierteljahrhundert versäumt, den Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln, dass sie mehr ist, als freie Fahrt für Geld und Waren auf dem Kontinent. Zu vielen Menschen trat die EU zunehmend als anonymer Akteur entgegen, der ihre Löhne, Renten und Sozialleistungen in Frage stellte und darüber hinaus einen nicht ausreichend demokratisch legitimierten Gestaltungsanspruch für immer weitere Lebensbereiche erhob. Dies muss sich ändern, wenn die EU Bestand haben soll. Die EU muss demokratischer und sozialer werden. Das Gelingen des europäischen Integrationsprozesses hängt davon ab, dass die EU eine belastbare sozialpolitische Säule erhält, die nicht nur abstrakte soziale Rechte sondern einklagbare soziale Mindeststandards für alle Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union umfasst.

Wir rufen alle in Deutschland lebenden britischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger dazu auf, sich an der Abstimmung zu beteiligen. Am morgigen Donnerstag wird über die Zukunft Großbritanniens und der EU entschieden. Wir wünschen uns Großbritannien in einer EU, die aus ihrer bisher größten Krise als reformierte Union eines friedlichen Kontinents hervorgeht, in der Demokratie, Freiheit und soziale Sicherheit gleichermaßen Verwirklichung finden.‎