01.06.2016

Rede anlässlich der Eröffnung des Kultursymposiums "Teilen und Tauschen"

Sehr geehrter Herr Prof. Lehmann,
verehrte Gäste,

namens der Landesregierung heiße ich Sie in Weimar, diesem geschichts- und kulturträchtigen Ort herzlich willkommen.

Danke für die freundlichen Worte zu Weimar. Weimar steht auch für das Zeitalter der Extreme im kurzen 20. Jahrhundert. Wie Eric Hobsbawm es nannte. Hier wurde vor fast 100 Jahren das Bauhaus gegründet, aber vor 90 Jahren vertrieben.

Weimar steht auch für Buchenwald, dem Mustergau des NS. In Laufweite finden Sie mit dem Gauforum städtebaulichen Anspruch von Herrschaftsarchitektur. Dort wird diese Landesregierung die Zwangsarbeiterausstellung der Gedenkstätte Buchenwald/Mittelbau-Dora ansiedeln.

Dies alles ist Weimar, die wir selbstbewusst die Kulturhauptstadt Thüringens nennen.

Das Goethe-Institut hat Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Künstlerinnen und Künstler sowie Studierende eingeladen, um gemeinsam die Gesellschaft der Zukunft zu denken. Ich beneide Sie um die Gelegenheit, das Reich der Notwendigkeit für einige Tage gegen ein diskursives Reich der Freiheit zu tauschen.

Dass dieses Symposium gesellschaftspolitische Debatten mit globaler Resonanz nach Weimar trägt, ist eine Ehre für diese Stadt, die vor beinahe 100 Jahren durch das Bauhaus Ort der Debatte und Entwicklung internationaler avantgardistischer Fragen war.

Am Bauhaus Weimar verdichteten sich Anfang des 20. Jahrhunderts unterschiedliche Theorien und künstlerische Stilrichtungen zu einer visionären Baukultur. Das Bauhaus als interdisziplinäre Ideenwerkstatt war auf der Suche nach der Antwort auf die Frage "Wie wollen wir leben?".‎

‎Wenn wir Burawoy, dem früheren Vorsitzenden der Internationalen Soziologie und Begründer der Public Sociology folgen, fällt der Beginn des 20. Jahrhunderts in die erste Phase der Kommodifizierung. Hierbei handelte es sich um die Kommodifizierung der Arbeit. Das 20. Jahrhundert ist verbunden mit der 2. Phase der Kommodifizierung, der Finanzmärkte. Zwischenzeitlich befinden wir uns in der 3. Phase der Kommodifizierung von Natur und Wissen. 

Angesichts dessen erscheint mir das Wiederaufgreifen des gesellschaftsphilosophischen Ansatzes des Bauhauses „Wie wollen wir leben?“ durch ihr Symposium absolut zeitgemäß. Wer einen Blick in das jüngste Buch von Paul Mason "Postkapitalismus" wirft, findet dort eine Analyse derjenigen Zustände, die den Rahmen Ihrer Debatten auf diesem Symposium bilden dürften.

„Teilen und Tauschen“ ist ein hochaktuelles, politisches Thema, das – ausgehend von einer dysfunktionalen Ökonomie – nichts Geringeres als ein neues Prinzip der Wertschöpfung zu etablieren sucht. Wer heute die FAZ sieht, wird bereits im Leitkommentar auf S. 1 auf die Aktualität des Thema’s „Teilen“ werfen.

Ich habe die Phasen der Kommodifizierung, also der Vermarktlichung unterschiedlicher Teilsysteme, in denen die Gewinnmaximierung zur handlungsleitenden Maxime wurden, bereits benannt.

Es ist zwischenzeitlich Gegenstand der Analysen auf Weltklimakonferenzen, bei der Bilanz der Umsetzung der Millenium Development Goals Common sense: das globale Wirtschaftssystem zementiert die soziale Spaltung und verwertet die natürlichen Ressourcen als Waren bis zu deren völligen Erschöpfung.

Die apokalyptischen Reiter, die den dysfunktionalen Zustand dieses Wirtschaftssystems anzeigen, sind die fortschreitende Naturzerstörung, die Disparität der Einkommen und der Vermögen, die ungleichen Zugriffsrechte auf natürliche und auf Wissensressourcen und nicht zuletzt die geopolitischen Krisen, die aus dieser Ungleichheit resultieren.

In den vergangenen Jahren hat sich im Windschatten der Finanzkrise ein diskursiver Rahmen entwickelt, der insbesondere im angelsächsischen Raum, in dem neoliberale und keynesianische Modelle stets offensiver konkurrieren konnten als in Deutschland, wo Alternative Ökonomen über Jahre ausgegrenzt und belächelt wurden, einen Paradigmenwechsel einleiten will. Gegenstand dieser Debatte ist die Infragestellung des Selbstverständnisses der Industriegesellschaft.

Unterschiedliche inhaltliche Ansätze speisen diese zur weltweiten Bewegung geronnenen Debatte. Initiativen gegen Landgrabbing, für die Rekommunalisierung privatisierter vormals öffentlicher Güter und Unternehmen, Gewerkschaften, Umweltschützer, feministische Akteure haben innerhalb und außerhalb von Universitäten, in lokalen Stadtteilinitiativen oder internationalen Bündnissen an vielen verschiedenen Orten die Überzeugung formuliert, dass sich Gemeinwohl und Gemeinsamkeit effektiver durch solidarische Ökonomien und sozial verantwortliche Geschäftsmodelle generieren lassen.

Heute finden wir in den Städten Buchtauschregale. Sie sind das sinnlichste Gegenprinzip zu Google + Amazon, die Sie Prof. Lehmann bereits ansprachen.

Ein Symposium wie das hiesige deutet an, dass diese Überlegungen zwischenzeitlich mitten in den gesellschaftspolitischen Diskurs eingesickert sind. Vielfältige Formen gemeinsamen Sorgetragens sind in allen Lebensbereichen denkbar und werden bereits praktiziert. Seien es Genossenschaftsbanken, realwirtschaftliche Kooperativen oder lokale Währungen, Energiegenossenschaften, gemeinschaftliche Urban-Gardening-Projekte oder Programmierplattformen wie GNU und LINUX, Fair-Trade-Unternehmen oder Community Supported Agriculture.

Für staatliche Behörden sind diese Debatten über Teilen, Tauschen, Commons, gesellschaftliche Selbstorganisation in zweifacher Hinsicht herausfordernd. Sie konfrontieren den Staat mit einer Kritik paternalistischer Sozialstaatlichkeit ebenso wie mit einer Kritik an Deregulierung und Privatisierung von Commons. Diese Konfrontationstherapie kann aus Sicht einer Koalition aus Linken, SPD und Grünen unter einem linken Ministerpräsidenten nur gut sein.

Ich wünschen Ihnen und insoweit nachwirkend auch uns, sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kultursymposiums Weimar  fruchtbare Debatten und viele neue Ideen.

Dem Goethe-Institut gilt mein Dank für die Entscheidung, dieses Symposium in Weimar abzuhalten.

Lassen Sie mich abschließen mit einer Bitte: Genießen Sie die wunderbare Stadt Weimar und unsere Region. Und nehmen Sie es mit dem Tauschen und Teilen sowie Konsumkritik nicht zu ernst. Die hiesigen Geschäfte und Cafés stehen hemmungslosem Konsumrausch aufgeschlossen gegenüber.