08.11.2013
Benjamin-Immanuel Hoff

Schwarz-rot statt rot-grün-rot in Hessen?

Die nächste Etappe nach den rot-grün-roten Sondierungsgesprächen

Die rot-grün-roten Sondierungen in Hessen sind gestern mit der vierten Gesprächsrunde, nachdem sich die Finanzexpert/-innen noch einmal zwischen den großen Sondierungsgesprächen getroffen haben, zu Ende gegangen.

SPD und CDU werden sich am 18. November noch einmal treffen und am 12. November wollen CDU und Grüne ein letztes Mal die Gemeinsamkeiten ausloten, um dann in den Parteigremien zu entscheiden, mit welcher Partei eine Regierung gebildet werden wird. Die SPD führt ihren Landesparteitag am 30. November 2013 durch.

Aufgebautes Vertrauenskapital zwischen rot-grün-rot pflegen statt durch politische Folklore leichtfertig verspielen

Die regionale und überregionale Presse ist sich einig, dass der Trend derzeit eher zu einer schwarz-roten Landesregierung geht als zu dem Modell schwarz-grün oder rot-grün-rot. Aus Sicht von CDU und SPD spricht für eine solche Variante die Übereinstimmungen in Kernfragen der Wirtschaftspolitik und dem Flughafen. Im Bundesrat würde Hessen mit sechs Stimmen den Block der in Großen Koalitionen regierenden Länder verstärken - dies könnte sich bei finanzrelevanten Entscheidungen für das Land durchaus auszahlen.

Für die Perspektive von rot-grün-rot im Bund sowie in Hessen wäre die Entscheidung der SPD zwar bedauerlich aber keineswegs ein Anlass, über das zur politischen Folklore gehörende Maß hinaus, die SPD des "Verrats" an rot-grün-rot zu bezichtigen oder die Grünen angesichts des völlig rationalen Vorgehens, neben rot-grün-rot auch schwarz-grün zu testen, vorführen zu wollen. Dies würde die gemeinsame Gesprächsbasis, die in den Gesprächen aufgebaut wurde und das Vertrauenskapital, das auch dann entsteht, wenn man miteinander rational darüber spricht, was einen trennt und wo man zugunsten als bedeutsamer eingeschätzter Gemeinsamkeiten oder Ziele einen Kompromiss zu finden sucht, wieder in Frage stellen. Dies wäre ein größerer Schaden für rot-grün-rot in Zukunft, als das Nichtzustandekommen eines solchen Bündnisses jetzt.

Die Linke in Hessen hat sich mehr bewegt als allgemein erwartet wurde

Rot-grün-rot ist diejenige Konstellation, aus der heraus sich die Schnittmengen und politischen Gemeinsamkeiten zwischen den drei Mitte-Links-Parteien am ehesten durchsetzen ließen. Die Linke in Hessen hat entgegen mancher Erwartungen aus der politischen Konkurrenz und der Medien, zusammengefasst im dreisten Kommentar von Sigmar Gabriel, es handele sich bei den Genoss/-innen dort um "politische Irre", sich weit auf SPD und Grüne zubewegt. Dass in der Energie-, Arbeitsmarkt- und Schulpolitik viele Gemeinsamkeiten zwischen den drei Parteien bestehen, war bekannt. Doch auch in der Innenpolitik wurden Kompromisslinien, u.a. bei der seitens der Linken geforderten Abschaffung des Verfassungsschutzes deutlich. Beim Flughafen kann der Linken - sollte es tatsächlich zu rot-grün-rot nicht kommen, kein Vorwurf gemacht werden. Hier ist sich die Partei mit den Grünen in der Ablehnung der auf die umliegenden Gemeinden keine Rücksicht nehmenden Ausbaupläne einig - ebenso wie bei der Notwendigkeit, das nordhessische Finanzgrab Flughafen Calden zu schließen.

Ist es zutreffend, wenn Pitt von Bebenburg in der Frankfurter Rundschau formuliert: "Die Linkspartei lehnt Stellenabbau allerdings kategorisch ab. Diese Haltung ist ehrenwert, aber unrealistisch. Sie nährt Zweifel daran, ob die Linke in Hessen wirklich regieren kann und will."

Vor dem Hintergrund der Bewegung, die seitens der Linkspartei auch bei heiklen Themen vollzogen wurde, ist dieser Zweifel ungerechtfertigt. Während allgemein erwartet wurde, dass die Linke noch einmal die Schuldenbremse grundsätzlich thematisieren und deren Rücknahme ins Spiel bringen würde, wurde in den Sondierungen ausschließlich die Zukunft der Landesfinanzen unter den Bedingungen der ungeliebten Schuldenbremse thematisiert.

Selbst eine Entscheidung Staatsgerichtshof gegen die Klage der Landtagsfraktion, die sich gegen die aus Sicht der Linken einseitige Bürgerinformation vor der Volksabstimmung zur Schuldenbremse richtete, warf keinen Schatten auf die Sondierungen. Dies sollten insbesondere diejenigen beachten, die stets Furcht vor der Unberechenbarkeit der Linken in einem politischen Bündnis formulieren.

Knackpunkt Finanzen

Während der Sondierungen wurde freilich deutlich, dass schwarz-gelb noch manches Finanzrisiko unter der Decke gehalten hat, das jede neue Koalition - egal welche Farbe sie hätte, belasten wird. Jede politische Konstellation in Wiesbaden wird folglich vor der Aufgabe stehen, sowohl die Einnahmeseite zu verbessern, als auch auf der Ausgabenseite zu prüfen, welche Möglichkeiten zur Senkung des strukturellen Defizits bestehen. Die Position der Linken in Hessen, das Haushaltsdefizit ohne Personalabbau im öffentlichen Dienst abbauen zu wollen, muss man dabei nicht unbedingt teilen. So unrealistisch, wie die Haltung dargestellt wird, ist sie gleichwohl nicht. In der Regel wird nämlich gar nicht erst geschaut, welche Spielräume zum Defizitabbau jenseits des Stellenabbaus im öffentlichen Dienst bestehen.

Allen Beteiligten ist klar, dass der Umgang mit einem strukturellen Haushaltsdefizit von 1,5 Mrd. EUR die Notwendigkeit erzeugt, Strukturen im Land zu überprüfen und in Frage zu stellen. Die Liste an Fehlentscheidungen der Kabinette Koch/Bouffier ist lang. Die Steuereinnahmen in Deutschland dürften bis 2017 um insgesamt 14 Milliarden Euro höher ausfallen als bislang erwartet. Von dem Einnahmeplus profitieren in erster Linie Länder und Kommunen.

Das Kooperationverbot in Bildung, eine der Fehlentscheidungen der vergangenen Föderalismusreform dürfte nicht mehr lange aufrecht erhalten bleiben - selbst wenn in den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene keine Aussage dazu getroffen werden sollte, wird spätestens bei der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen der Bund mindestens wieder in den Hochschulbau einsteigen - gegen mehr Mitsprache selbstverständlich. Die Förderung der Ganztagsbetreuung u.a. bleibt dabei unberücksichtigt.

Eine schwarz-rote Koalition in Hessen wird sich die Zustimmung zu mancher Entscheidung im Bundesrat von der Bundesregierung "vergolden" lassen. Dem amtierende Ministerpräsident Volker Bouffier und SPD-Verhandlungsführer Thorsten Schäfer-Gümbel, sitzen beide bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin am Tisch. Beide haben vermutlich mehr Möglichkeiten als die hessische Linke, auf eine Verbesserung der Steuereinnahmen der Länder zu dringen. Dass die Linke in Hessen darauf verweist, ist Ausdruck von haushaltspolitischem Sachverstand, nicht Propaganda.

Wenn Ralf Euler in einem FAZ-Kommentar also erklärt: "dass die Wahrscheinlichkeit eines rot-grün-roten Bündnisses wegen eines extremen Falls von Realitätsverweigerung auf Seiten der Linkspartei gegen null (tendiere), und nach dem für Donnerstag angekündigten vierten Sondierungsgespräch der drei Protagonisten (hoffentlich auch) Sozialdemokraten und Grüne diese Variante (...) endgültig für erledigt erklären" werden, dann ist dem der Einwand von Pitt von Bebenburg in der Frankfurter Rundschau entgegenzuhalten: "Es ist (...) ein Treppenwitz, dass diese Debatte ausschließlich auf Kosten der linken Option geführt wird. Man sollte nicht vergessen, dass es 15 Jahre CDU-Regierungen waren, die den riesigen Schuldenberg in Hessen aufgetürmt haben."

Der Vorwurf an die Linke, bei den Finanzen unrealistisch zu sein, ist insoweit zwar medial glaubwürdig, aber in der Sache falsch. Er träfe übrigens auch führende Sozialdemokraten, wie z.B. den DGB-Chef Stefan Körzel, der in der FR als haushaltspolitische Erwartungen an die künftige Landesregierung formuliert: Sie muss auf den Abbau von Personal verzichten, angesichts der demografischen Entwicklung eher mehr Lehrer einstellen als diese abzubauen und die Arbeitszeit der hessischen Beamten von 42 auf 40 Stunden reduzieren.

Auf der Hand liegt, dass sich im Falle von rot-grün-rot sich manche linke Oppositionsvorstellung von dem, was haushaltspolitisch möglich ist, von selbst auflösen würde. Diese Erfahrung machte auch die PDS in der rot-roten Landesregierung Berlins in den Anfangsjahren. Darin liegt naturgemäß der Unterschied zwischen dem Kenntnis- und Erfahrungsvorsprung der Regierung gegenüber der Opposition. Diesen nutzbar zu machen, kann gleichwohl dazu führen, Gestaltungspolitik mit einer Verbesserung der Haushaltslage des Landes sinnvoll zu verbinden. Rot-Rot in Berlin hat dies nachdrücklich gezeigt.

Durchatmen und die nächste Etappe planen. An deren Ende sollte rot-grün-rot auf Bundesebene und rot-rot(-grün) in mehreren Ländern stehen.

Egal, wie sich die hessische SPD am 30. November entscheiden sollte, ob es zu schwarz-rot, ggf. sogar schwarz-grün oder trotz aller verdichteten Hinweise doch noch zu rot-grün-rot kommen, die Aufgaben für den reformerischen Teil der Linken liegen auf der Hand:

In Bund und Ländern ist die Fähigkeit der Linken zur strukturierten Arbeit an Reformkonzepten zu intensivieren. Dabei können sich Bund und Länder sowie Länder und Kommunen ergänzen. Die Herausforderungen in den Berlin, Bremen und Hamburg, soziale Stadtentwicklung zu betreiben dürften denen ähneln, die in München, Frankfurt und Leipzig bestehen. Für Flächenländer gilt ähnliches.

Gerade weil ein gemeinsamer Begriff davon, was eine linke Außen- und Sicherheitspolitik sein kann und soll, auch innerhalb des Reformer-Spektrums der Linken noch nicht abschließend diskutiert ist, wird es Zeit, das Thema aus der Tabu-Ecke zu holen. Eine realistische Positionierung ist erforderlich, statt außen- und sicherheitspolitische Glaubenssätze einzubalsamieren und im Partei-Mausoleum auszustellen. Gleiches gilt für andere Themen, bei denen Inkonsistenzen herrschen, die in der Opposition unschädlich, aber in Regierungsverantwortung problematisch sind.

Vertrauen im rot-grün-roten Lager wird nicht allein dadurch geschaffen, dass sich die Vorturner/-innen von SPD, Grünen und Linken in Interviews die theoretische Möglichkeit der Zusammenarbeit versichern und ansonsten auf bestehende Unterschiede verweisen. Parteinahe Stiftungen, Think-tanks wie das Institut solidarische Moderne sind dabei ebenso nützlich, wie konkrete Absprachen auf Gemeindeebene - bei Bürgermeister/-innenwahlen o.a. Was Pitt von Bebenburg für Hessen sagt, gilt in gleicher Weise wohl auch für andere Regionen in Deutschland, nicht zuletzt die Bundesebene: "Wer in Hessen regieren will, darf den Gang in den politischen Dschungel nicht scheuen. SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel hat verkündet, er stünde für einen „Abenteuerurlaub“ nicht zur Verfügung. Er wird es aber wagen müssen (und) nicht umhin kommen, sich ins unerforschte Neuland zu begeben."

In Berlin wurde 1999 - als an rot-rot noch nicht zu denken war - die Grundlage der späteren Regierungsarbeit mit einer Grundsatzentscheidung zur Ausarbeitung von realistischen Reformprojekten gelegt. Der Titel: Vor der Kür kommt die Pflicht. So schauts aus.

Zum Autor:

Benjamin-Immanuel Hoff ist Sozialwissenschaftler, Staatssekretär a.D. und CEO des Beratungsunternehmens MehrWertConsult.

Bis Ende 2013 ist er noch Sprecher des linksreformerischen "forum demokratischer sozialismus" (fds) in der Partei DIE LINKE.