23.09.2013
Benjamin-Immanuel Hoff

Die Ergebnisse der Landtagswahl in Hessen am 22. September 2013 – Wahlnachtbericht und erste Analyse

1. Die politischen Parteien in Hessen nach der Landtagswahl

Den Parteien im hessischen Landtag stehen nach der Landtagswahl schwierige Verhandlungen bevor. Weder die CDU noch SPD und Grüne können ihre Koalitionswünsche umsetzen. Obwohl sich die Union verbessern und ihr bisheriger Koalitionspartner FDP gerade so erneut in den Landtag retten kann, erreichen die traditionellen politischen Lager schwarz-gelb einerseits und rot-grün andererseits keine eigenständige Mehrheit.

Die CDU konnte gegenüber der Landtagswahl 2009 um 1,1% zulegen und behauptet sich mit 38,3% als stärkste Partei im Land. Ob Volker Bouffier, nach Walter Wallmann und Roland Koch der erst dritte CDU-Ministerpräsident im einst „roten Hessen“, erneut Regierungschef werden kann, wird jedoch davon abhängen, wie die Koalitionsverhandlungen nach der Wahl ausgehen werden.

Der bisherige Koalitionspartner FDP ist innerhalb von zwei Wochen aus dem bayerischen Landtag und dem Bundestag geflogen. In den hessischen Landtag retten sich die Liberalen nach einem Wahlkrimi, der erst um kurz vor 03:00 Uhr morgens beendet war. Mit genau 5,0% und 6 Abgeordneten wird die Partei zwar nicht mehr in der Regierung, aber noch im Parlament vertreten sein. Dennoch: die Partei, die 2009 ihr viertbestes Landesergebnis in Hessen erhalten hatte, verliert über 11% und kann nur knapp der Schmach entgehen, nach 1982 das zweite Mal nicht mehr im Landtag vertreten zu sein.

Die SPD erreicht nach dem dramatischen Absturz von 2009 wieder ein Ergebnis um die 30%. Ihrem Spitzenkandidaten Torsten Schäfer-Gümbel ist gelungen, was nach dem Ypsilanti-Debakel von 2008 und der darauffolgenden Niederlage niemand erwartet hätte: die SPD ist geschlossen und mit dem Willen, die Regierung in ihrem ursprünglichen Stammland wieder zu übernehmen, in den Wahlkampf gegangen. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sozialdemokraten ihr drittschlechtestes Ergebnis seit 1946 erhalten haben. Die 30,7% des Jahres 2013 liegen nur 1,6% über dem Wert von 2003. Die Stabilisierung der hessischen SPD findet auf einem sehr niedrigen Niveau statt.

Die Grünen verlieren gegenüber 2009 und können ihren Anteil zum angestrebten Ziel einer rot-grünen Landesregierung nicht beitragen. Sie fallen zurück auf das Niveau der Landtagswahl von 1995 (11,2%).

Der hessischen Linken gelingt, nach einer Zitterpartie bis spät in die Nacht, zum dritten Mal in Folge der Einzug in den Landtag. Die Wählerinnen und Wähler in Hessen honorierten die solide Arbeit der Partei, doch die Kreditlinie ist äußerst begrenzt.

Die Landespartei ist ein konstanter politischer Faktor in der hessischen Landespolitik geworden - eigenständig und sozial profiliert. Dennoch hat die Partei in fast allen Wahlkreisen Verluste von um die 0,4% hinnehmen müssen, die nur in einzelnen Wahlkreisen durch überdurchschnittliche Zuwächse soweit ausgeglichen werden konnten, dass sich die Partei letztlich auf 5,2% stabilisieren konnte. Zu den Wahlkreisen, in denen DIE LINKE zulegen konnte, gehören vor allem die Wahlkreise um den Flughafen Frankfurt am Main. Ohne dies in dieser Wahlnacht valide beweisen zu können, spricht doch einiges dafür, dass die konsequente Haltung der LINKEN gegen den Flughafenausbau und die Personalisierung dieses Protests in der Spitzenkandidatin der Landespartei den notwendigen Rückenwind für den Verbleib im Landtag gegeben hat.

Entgegen dem ersten Kommentar des Autors in der Wahlnacht[1], bleibt festzuhalten: DIE LINKE hat mit der Landtagswahl 2013 die Chance erhalten, in den kommenden fünf Jahren die weiterhin bestehenden Aufgaben des Parteiaufbaus zu erledigen, um sich nicht nur als politische Partei zu profilieren, sondern auch in der Fläche zu verankern.

Die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl liegt mit 72% rund 10% höher als bei der vergangenen Landtagswahl. Die NPD und die Republikaner spielten auch bei dieser Landtagswahl keine Rolle.

2. Die großen Parteien und die politischen Lager nach der Hessen-Wahl 2013

Werfen wir im Folgenden einen Blick auf die sogenannten Volksparteien und die politischen Lager:

Union und SPD haben sich zwar wieder stabilisieren können, doch zeigt auch diese Landtagswahl die nachgelassene Wähler/-innenbindung der sogenannten Volksparteien. Bei der Landtagswahl 2008 war der gemeinsame Wähler/-innenrückhalt auf 73,5% und damit den niedrigsten Stand seit 1954 abgesunken. Dieses Ergebnis wurde 2009 aufgrund der dramatischen Schwäche der SPD erneut unterschritten. Mit 60,9% Wähler/-innenbindung erreichten beide Parteien das niedrigste Niveau in der Nachkriegsgeschichte Hessens und konnten nicht einmal mehr zwei Drittel der Wähler/-innen in Hessen für sich gewinnen.

Demgegenüber erreichen beide Parteien bei der Landtagswahl 2013 zusammen 69% der Wähler/-innenbindung. Sie bleiben auch damit unter dem Niveau von 2008.

Je nach Betrachtungsweise haben die hessischen Wählerinnen und Wähler – nicht ohne Ironie – den Landesparteien eine zweite Chance eingeräumt oder das Leben besonders schwer gemacht.

Mit einem Verhältnis von 53 Sitzen (schwarz-gelb) zu 59 Sitzen (rot-grün-rot) ist nach der Landtagswahl 2013 exakt das Sitzverhältnis von 2008 reproduziert worden.

Dies bedeutet u.a.:

- Die Trennlinie verläuft – in Hessen wie im Bund – nicht mehr zwischen einem schwarz-gelben und einem rot-grünen Lager, sondern zwischen der Union, die sich im besten Falle auf die FDP stützen kann, und den Parteien SPD, Grünen und LINKE.

- Dort wo DIE LINKE sich als Partei etabliert hat, sind SPD und Grüne aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage eine Regierungsmehrheit zu bilden. Hieß es 2008 noch bei der Linkspartei: „Wir sind gekommen, um zu bleiben“, so wird die hessische LINKE künftig gebraucht, um gegen die Union etwas zu bewirken.

- Die Kräfteverhältnisse zwischen den beiden – in Hessen nicht mehr ganz so neuen – politischen Lagern haben sich erneut umgekehrt. Wie 2008 liegt das rot-grün-rote Lager vor dem bürgerlichen Lager.


Im Vorfeld der Bundestagswahlen ist häufig ein Szenario skizziert worden, nachdem die SPD trotz einer rot-grün-roten Mehrheit in eine Große Koalition eintreten könnte, um diese zur Mitte der Wahlperiode platzen zu lassen und mit Grünen sowie LINKEN zu regieren. Dieses Szenario ist aller Voraussicht nach auf Bundesebene passé. Aber in Hessen könnte dieses Experiment gelingen.

Das hessische Parteiensystem ist geprägt durch eine Härte in der politischen Auseinandersetzung, die ihresgleichen in anderen Ländern sucht. Torsten Schäfer-Gümbel hätte in dieser Situation die Möglichkeit, durch kluges Agieren den gordischen Knoten rot-grün-roter Regierungsunfähigkeit zu zerschlagen. Er sollte für die SPD sowohl die Einladung zu Sondierungsgesprächen mit der Union annehmen, als auch Gespräche mit Grünen und LINKEN führen und die hessische Spezialität vermeiden: Türen endgültig zuzuschlagen.


[1] Benjamin-Immanuel Hoff 2013, Hessische Landtagswahl: LINKE wieder drin – FDP raus – Koalitionspatt in Wiesbaden, http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/Hoff_LTW_Hessen_2013.pdf.

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