28.03.2011

Der "Trend" ist derzeit kein Genosse. Zwölf Thesen zu den Bestimmungsmomenten der Wahlniederlage der LINKEN bei den Wahlen im Südwesten

Horst Kahrs / Benjamin-Immanuel Hoff

In den Ausgaben des DeutschlandTRENDS der Monate Februar und März 2011 hatte sich Infratest dimap der Frage nach den Erfolgsaussichten der Parteien bei den im Jahr 2011 stattfindenden Wahlen gewidmet.

Sowohl der LINKEN als auch der FDP gegenüber äußerten sich die Befragten eher skeptisch hinsichtlich deren Erfolgsaussichten. Die FDP hielten vier von fünf Befragten für weniger bzw. gar nicht erfolgreich. Bei der LINKEN äußerten sich mehr als zwei Drittel skeptisch, während ein Viertel der Befragten annahm, die LINKE würde erfolgreich oder sogar sehr erfolgreich sein. Diese Bewertung war ein Warnsignal im Vorfeld der Landtagswahlen im Südwesten.

  1. „Der Trend“ ist derzeit kein Genosse. Die Themen „Arbeitslosigkeit“ und „soziale Gerechtigkeit“ stehen aktuell nicht auf den vorderen Plätzen der öffentlichen politischen Agenda. Symptomatisch dafür ist, dass sowohl in Rheinland-Pfalz als auch in Baden-Württemberg beide Themen erheblich an Gewicht verloren haben und 2011 weit hinter anderen Themen rangierten.
  2. In beiden Ländern ist das Image der LINKEN auf der Skala von 5 bis -5 mit einem Wert von jeweils -2,7 eindeutig negativ. Die Partei DIE LINKE. nimmt damit in den Augen der Gesamtbevölkerung eine Außenseiterinnen-Rolle ein – und damit auch ihre Wähler/-innen. Dies muss nicht zwingend von Nachteil sein, doch offensichtlich gab die Stimmung in beiden Ländern bei dieser Wahl Außenseiterinnen keine echte Chance.
  3. Beide Landtagswahlen standen unter dem Eindruck der japanischen Dreifach-Katastrophe aus Erdbeben, Tsunami und AKW-Unfällen. Die Umwelt- und Energiepolitik dominierte die letzten Wahlkampfwochen. Nicht nur die seit jeher bestehende Hegemonie der Grünen in der Umweltpolitik und ihre auf allen Ebenen jeweils höchsten Kompetenzwerte bei diesem Themenfeld, sondern auch das Agieren der Bundesregierung (Moratorium) bestätigten im Nachhinein die Grünen als die Partei, denen man am ehesten zutraut den Atomausstieg durchsetzen zu können. Die Grünen lagen also im Prinzip richtig – das unterstrich letztlich auch DIE LINKE, die sich von ihrer ökologischen Konkurrenz allein durch die Forderung nach dem sofortigen und unmittelbaren Atomausstieg unterschied. Also dem radikaleren bzw. konsequenteren Atomausstieg. Der LINKEN gelang es dabei aber nicht, das Thema Energie- und Umweltpolitik mit ihrem Kompetenzkern Soziale Gerechtigkeit zu verknüpfen. Dass diese Verbindung nicht gelang und es zugleich eine Partei gab, auf die „der Trend“ zulief, führte zum Paradox, dass die LINKE durch eigenes Handeln Gefahr lief, die Wähler/-innenbewegung in Richtung Grüne selbst zu unterstützen. Die Zahlen aus Baden-Württemberg sprechen dafür, dass genau das geschehen sein könnte: Für die Wähler/-innen der LINKEN hatte „soziale Gerechtigkeit“ wahlentscheidende Priorität, aber das politische Wirkungsfeld des Themas engte sich mit der Ausbreitung des Umwelt- und Energiethemas immer weiter ein.
  4. In beiden Ländern musste DIE LINKE aus der außerparlamentarischen Opposition heraus agieren. In großen Flächenländern, zudem mit einer traditionell konfessionell, bürgerlich-ländlichen Bevölkerung stellt das eine enorme Herausforderung an die Parteistrukturen und –organisation dar, zuweilen eine Überforderung. Hinzu kam das Wahlrecht, dass in Baden-Württemberg eine Personenwahl notwendig macht, um eine Partei zu wählen.
  5. In beiden Ländern, mehr noch in Rheinland-Pfalz, besitzt die Partei kaum landespolitische Erfahrung und Referenzen. Aus dem Umfeld konnte sie weniger Unterstützung erwarten als bei Bundestagswahlen. Die Partei wurde vor allem als Partei wahrgenommen, die Ungerechtigkeiten benennt, darauf aber mit unrealistischen Forderungen reagiert, also zur Problemlösung wenig beizutragen hat. Inwieweit dies bewusst als Mangel an einer plausiblen Durchsetzungsstrategie für die eigenen Forderungen wahrgenommen wurde, bleibt offen.
  6. Das Landesvater-Image des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck trug bis weit in die eigene Anhänger/-innenschaft der LINKEN hinein Früchte. Von den LINKEN-Anhänger/-innen vertraten 85% die Auffassung, er mache seine Arbeit gut – so viele wie bei keiner anderen Partei außer der SPD-Anhänger/-innenschaft. Dies machte es der LINKEN jedoch schwer, gegen den beliebten Beck und die auf Beck fokussierte und von ihm überstrahlte SPD Wahlkampf zu machen. Hinzu kam, dass einige Plakate der LINKEN (Bildung) kaum von denen von SPD und Grünen zu unterscheiden waren. Kurz: Warum DIE LINKE als linke Oppositionskraft unbedingt in den Landtag von Rheinland-Pfalz müsse, konnte sie selbst nicht hinreichend vermitteln. Stimmen die Umfragezahlen, so wollten die Rheinland-Pfälzer der SPD zwar einen Denkzettel verpassen, aber zugleich Kurt Beck in einer Koalition behalten. Gewollt war also ein kleiner Regierungswechsel unter fortbestehender Führung der SPD. Als Koalitionspartner sah sich DIE LINKE selbst nicht vor und wurde auch nicht als solche gesehen. So lief es erneut auch hier auf die Grünen zu. Diese profitierten wiederum von der Verbindung des Bundes-„Trends“ und landespolitischen Konstellationen. Anders als in Baden-Württemberg gründet sich die aktuelle landespolitische Stärke nicht auf einer gestandenen mehrjährigen landespolitischen Arbeit. In Rheinland-Pfalz wurden kaum durchschlagene landespolitische Gründe ins Spiel gebracht, warum DIE LINKE unbedingt im Landtag sein sollte.
  7. Inwieweit die notorische Zerstrittenheit des Landesverbandes Rheinland-Pfalz der LINKEN als ein Bestimmungsgrund der Wahlniederlage eine Rolle spielte, wird sich in der Außenwirkung kaum messen und ermessen lassen. Allenfalls der Unterschied in der Mobilisierung von Bundestagswähler/-innen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ließe sich als empirischer Hinweis anführen – er ist aber nicht so groß, dass er das Scheitern an der Sperrklausel erklären würde. Allerdings dürfte die Lage des Landesverbandes in der Binnenwirkung nicht wahlkampffördernd gewesen sein und hat vermutlich Multiplikator/-innen in Gewerkschaften und Verbänden auch nicht ermuntert, die Wahl der LINKEN zu empfehlen.
  8. Alle Umfragen zeigen, dass der Einzug in den Landtag von Rheinland-Pfalz zu jeder Zeit eine fragliche Angelegenheit gewesen ist. In den letzten zwei Wochen vor der Wahl, als das Interesse an der Wahl nochmals deutlich anstieg, wurde DIE LINKE bei allen Instituten nur noch mit 4% gewichtet. Während bei anderen Wahlen der Anteil der „Kurzentschlossenen“, die sich für DIE LINKE entschieden, oftmals überdurchschnittlich hoch war, waren es jetzt nur durchschnittliche 3%.
  9. In Baden-Württemberg ist DIE LINKE an einem ausgeprägten politischen Wechselklima gescheitert. Sie hatte ihre Wähler/-innenschaft insbesondere in denjenigen sozialdemokratischen Milieus gefunden, die angesichts der Agenda 2010-Politik mit der SPD gebrochen hatten. Zwar gibt es kaum Anzeichen, dass nun in Größenordnungen eine Rückwanderung zur Landes-SPD stattgefunden hätte, wohl aber dafür, dass eine erhebliche Zahl zu den Grünen gewechselt ist. Vor allem gibt es aber Indizien dafür, dass Bundestagswähler/-innen der LINKEN nicht in ausreichendem Maße mobilisiert werden konnten, in dieser für die politischen Verhältnisse Baden-Württembergs nach 57 Jahren CDU-Dominanz für die LINKE zu stimmen. Ein Anteil von 55-60% der Bundestagswähler/-innen der LINKEN, wenn NRW als Maßstab gelten kann, hätten für einen sicheren Einzug in den Landtag in Stuttgart mobilisiert werden müssen. Allein ein Anteil von nur 35% konnte zum Urnengang für die LINKE im Land bewegt werden.
  10. Die Frage ist also, warum bei einer deutlich höheren Wahlbeteiligung DIE LINKE eine unterdurchschnittliche Wählermobilisierung gelingt. Vordergründig können taktische Gründe angeführt werden: Um den Wechsel herbeizuführen, konnte man eine Mehrheit für Schwarz-Gelb verhindern, in dem man DIE LINKE in den Landtag wählte - oder man konnte eine neue Mehrheit wählen. Je näher der Wahltermin rückte, um so realistischer wurde diese Variante. Für potentielle LINKE-Wähler/-innen, die mit ihrer Stimme Einfluss nehmen wollten, die also auf jeden Fall Schwarz-gelb verhindern wollten, erwies sich mehr und mehr die taktische Option, SPD oder Grüne zu wählen, als erfolgversprechend. Dass eher grün gewählt wurde, konnte ein Hinweis darauf sein, dass der Bruch mit der Sozialdemokratie tiefer ist, und bei der Dominanz von Themen der Umwelt-, Energie- (und Verkehrspolitik) eher der Weg zum grünen Original gegangen wird,
  11. Je näher der Wahltag rückte, desto wahrscheinlicher wurde es, erstmals einen grünen Ministerpräsidenten zu wählen. Diese Entwicklung dürfte bei der vorhandenen Wechselstimmung eine nicht unbeträchtliche Sogwirkung entfaltet haben. Das gute Abschneiden der Grünen auch unter Arbeitslosen zeigt, dass der grüne Kandidat für Angehörige aller Schichten wählbar gewesen ist. Dahinter verbirgt sich mehr als Tagesaktualität. Die Grünen stehen in Baden-Württemberg, dem Land von Daimler, Bosch, der deutschen Maschinenbau-Exportindustrie für einen alternativen industriepolitischen Weg und punkten über die „Green New Deal“ auch bei Themen wie Wirtschaft und Arbeitsplätzen, Mittelständlern, Handwerkern, Arbeitslosen usw.
  12. Während die Grünen in Baden-Württemberg von der Erosion der CDU profitieren und zugleich sozialdemokratische und linke Wähler/-innen für sich gewinnen konnten, ist der LINKEN der Zugang zu den katholisch-sozialen Arbeitnehmer-Schichten bisher nicht gelungen. Aus diesem Grunde verliert sie in einer zugespitzten Wechsel-Situation an wahltaktischem und konstellationstaktischem Gebrauchswert. Wolfang Kretschmann hat am Wahlabend geäußert, der grüne Wahlerfolg sei das Ergebnis von dreißigjährigem Bohren harter Bretter. Das ist sicherlich übertrieben, aber für die Periode ab 1992 nicht unzutreffend. Mit schnellen Erfolgen wird auch DIE LINKE nicht mehr rechnen können.