18.10.2017

»Zentrales Deutsches Fernsehen« (ZDF)?

Beitrag auf dem Blog von www.freitag.de vom 18. Oktober 2017

In den Zeilen 1416 bis 1421 des im November des vergangenen Jahres beschlossenen CSU-Grundsatzprogramms, findet sich die Aussage "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll sich auf seine Kernaufgaben rückbesinnen. Dadurch kann er Relevanz zurückgewinnen. Wir wollen eine vorurteilsfreie Diskussion über die Neuordnung der öffentlich-rechtlichen Rundfunklandschaft in Deutschland. Wir streben langfristig die Zusammenlegung von ARD und ZDF unter einem Dach an: Kostspielige Doppelstrukturen sollen beseitigt werden, die Programmvielfalt erhalten bleiben."

Selbst innerhalb der Union ging man bislang davon aus, dass es sich bei dieser Beschlussfassung um eine der Merkwürdigkeiten handelt, mit denen die kleine Schwester der CDU und bayerische Dauerregierungspartei inhaltliche Eigenständigkeit zu demonstrieren sucht. Wichtige Vertreter der CDU, wie beispielsweise der ehemalige Bundesminister Franz-Josef Jung, der auch im ZDF-Fernsehrat sitzt, erteilten dem Vorstoß deshalb bereits im Herbst 2016 eine Absage: "Zwei öffentlich-rechtliche Sender sind gerade unter dem Aspekt der politischen Berichterstattung sinnvoll". Auch der medienpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Marco Wanderwitz (CDU), lehnte den Vorschlag ab. Das Handelsblatt zitiert ihn mit der Aussage "Das duale Rundfunksystem mit ARD und ZDF hat sich bewährt. Es garantiert eine international vorbildliche publizistische Vielfalt an qualitätsjournalistischen Angeboten. Davon brauchen wir in den heutigen bewegten Zeiten sicher nicht weniger".

Im Vorfeld dieser MPK sorgte nun auch der Chef der Staatskanzlei des von CDU, SPD und Grünen regierten Landes Sachsen-Anhalt, Rainer Robra (CDU), mit einem Interview in der Mitteldeutschen Zeitung für Aufsehen. Er formuliert dort: "Wir sollten das System [des öffentlich-rechtlichen Rundfunks] zeitgemäß ausgestalten, indem wir das Zweite Deutsche Fernsehen als den nationalen Player betrachten. Die Landesrundfunkanstalten sollten sich stärker regional präsentieren. [...] Das Erste soll präsentieren, was in den Ländern läuft [es] wäre dann mittelfristig kein nationaler Sender mehr, sondern das Schaufenster der Regionen. Die ARD ist ja nicht einmal eine eigene juristische Person, sie ist die Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten der Länder." Auf die Frage nach der Zukunft der Tagesschau in diesem Modell, das Robra als "in sich logisch" bezeichnet, antwortet er lakonisch: "Die wäre dann in dieser Form überflüssig".

 

Kritik an ARD und ZDF als Spielball im Parteienwettbewerb von Union, FDP und AfD

Der Vorstoß des langjährigen Medienpolitikers und erfahrenen Strategen der CDU in Sachsen-Anhalt kommt zeitlich nicht von ungefähr. Und richtet sich nur vordergründig auf die Debatte in der Ministerpräsidentenkonferenz. In der MPK ist ein solcher Vorschlag keinesfalls mehrheitsfähig ist - was Rainer Robra vollkommen bewusst ist. Die Zielrichtung orientiert vielmehr auf politischen Geländegewinn der Union im Parteienwettbewerb mit AfD und FDP. Hierfür bietet sich Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk als scheinbar ungefährliches Terrain an.

Im Unterschied zur CSU geht Robra - der dem ZDF-Fernsehrat angehört - wesentlich virtuoser vor. Die Institution des Zweiten Deutschen Fernsehens wird nicht in Frage gestellt. Vielmehr wird es quasi als »Zentrales Deutsches Fernsehen« neu interpretiert. Durch die vorgesehene Stärkung der 3. Programme als regionale Sendeformate, die heute bereits bundesweit empfangen werden können, leistet er für die Union en passant einen konservativen Beitrag zur laufenden Heimatdebatte. Dies ist jedoch eher Beifang.

Worum es eigentlich geht, ist der Rundfunkbeitrag. Seit 2013 ersetzt er die bis dahin bestehende Rundfunkgebühr. Jeder Inhaber einer Wohnung ist zur Zahlung von derzeit 17,50 EUR (bis 2015: 17,98 EUR) verpflichtet, unabhängig davon, ob und wieviele Rundfunkgeräte, worunter heute eben auch empfangsfähige mobile Endgeräte gehören, vorhanden sind. Der Rundfunkbeitrag hat seitdem ein erhebliches Legitimationsdefizit. Vorwiegend lokale Berichterstattungen über rigorose Beitragseinziehungen, die bis zur Erzwingungshaft gehen aber insbesondere Maßnahmen, wie z.B. die Autos säumiger Zahler durch Parkkrallen bewegungsunfähig zu machen, tragen zur Aufrechterhaltung der Kritik bei, die unterschwellig spürbar grassiert. Allein die Zahl an Petitionen in allen Landtagen und dem Bundestag sind dafür ein Indiz. Darüber hinaus haben insbesondere kleine Unternehmen, wie z.B. Hostelbetreiber und andere stets kritisiert, dass der Beitrag sie finanziell überfordern würde und die nicht vorhanden Ausnahmen kritisiert.

Die AfD erkannte von Beginn an das Potential dieser Ubzufriedenheit und machte sich populistisch zu Nutze. Die Infragestellung der "Zwangsgebühr" wurde vermischt mit Kritik an Eliten und dem vermeintlichen Staatsfunk ARD, ZDF etc., die als "Lügenpresse" pauschal denunziert wurden.

Im Bundestagswahlkampf hatte sich die FDP im Windschatten einer vor allem auf digitale Modernisierung abzielenden Kampagne inhaltlich als Tea-Party deutscher Prägung inszeniert und ebenfalls die Rundfunkbeitragskritik als Mobilisierungsthema zu eigen zu machen versucht. Dabei jedoch vor allem anti-etatistisch argumentierend. Und bereits 2016 unterstützte FDP-Chef Lindner laut Handelsblatt die Forderung nach der Fusion von ARD und ZDF mit einem Seitenhieb auf die CSU, ob diese Worten auch Taten folgen lasse, denn "schließlich hat die CSU in der Vergangenheit jede Expansion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mitgetragen und verschleppt gemeinsam mit anderen Bundesländern die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten vorgeschlagene Absenkung des Rundfunkbeitrags“.

Während Sachsens-Regierungschef Stanislav Tillich viel Kritik einstecken musste für seine Forderung, die CDU müsse sich angesichts des Erfolgs der AfD stärker rechts der Mitte positionieren, testet der Stabschef des CDU-Ministerpräsidenten Rainer Haselhoff aus, wie man ohne darüber zu reden, die CDU rechts der Mitte positioniert und der AfD die Meinungsführerschaft bei Themen jenseits der Flüchtlingspolitik abnimmt.

 

Nicht ARD und ZDF sind das Problem des Rundfunkbeitrags...

Diese Strategie ist und bleibt grundsätzlich gefährlich. Österreich und die skandinavischen Länder haben gezeigt, dass der Versuch, die von Rechtspopulisten besetzten Diskursräume wieder besetzen zu wollen, nicht dazu führt, dass die Rechtspopulisten an Erfolg verlieren. Im Gegenteil - es ist die scheinbare Bestätigung der Berechtigung der von ihnen vorgetragenen Positionen. Ergebnis dieses erfolglosen Hase-und-Igel-Spiels ist, dass der gesellschaftliche Diskurs sich insgesamt nach rechts verschiebt.

Wer der populistischen Herausforderung widerstehen will, muss zunächst akzeptieren, dass Demokratie und Populismus nicht zu trennen sind. Populismus ist Gefahr und Korrektiv der Demokratie zugleich. mit den Worten von Benjamin Arditi ist Populismus der betrunkene Gast am Tisch der Demokratie, der unbequeme und deshalb verdrängte Wahrheiten auf den Tisch legt und somit aus dem Unterbewusstsein der Demokratie holt.

Dass der Rundfunkbeitrag in seiner bestehenden Form problematisch ist, hat sich über die vier Jahre seiner Existenz gezeigt. Er hat ein erhebliches Legitimationsproblem im öffentlichen Bewusstsein und er steht wahrnehmbar unter rechtlichem Druck. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Prinzip "Gezahlt wird unabhängig von der Nutzung" jüngst erstmals durchlöchert (BVerwG 6C 32.16), wenn auch ausschließlich mit Bezug auf einen Zusatzbeitrag für Hotel- und Gästezimmer. Dieser sei nur dann verfassungsgemäß, wenn in den Zimmern auch eine tatsächliche Empfangsmöglichkeit vorhanden sei. Nachdem ein Tübinger Gericht den Europäischen Gerichtshof mit der Prüfung des Rundfunkbeitrags angerufen hat und auch das Bundesverfassungsgericht sich mit einer Vielzahl entsprechender Klagen von Privatpersonen und Unternehmen befasst, wird beim Rundfunkbeitrag nachgesteuert werden müssen.

Dass ARD und ZDF über lange Jahre hinweg sich mit Strukturoptimierungen nicht befassen mussten, in Zeiten der Bonner Republik die Rundfunkanstalten auch als Versorgungsinstitutionen für verdiente »Public Servant« institutionalisiert und von Politiker/-innen besetzte Rundfunk- und Fernsehräte, ausgesprochen üppige Gehalts- und Altersversorgungsstrukturen etabliert wurden, ist heute finanziell spürbar. Doch wenn Politikerinnen und Politiker mit einem Finger auf ARD, ZDF und Deutschlandradio zeigen, verweisen vier Finger auf sie selbst zurück.

 

...aber sie müssen exzellenter werden, um ihn zu legitimieren.

Statt als CDU/CSU die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Konzert mit FDP und AfD in Frage zu stellen, müsste deutlich gemacht werden:

1) Wir haben die Kritik am Rundfunkbeitrag verstanden und müssen im Lichte der jüngsten und auch der zu erwartenden Rechtsprechung transparent über Änderungen am Rundfunkbeitragssystem sprechen, um dessen Legitimation im öffentlichen Bewusstsein herzustellen.

2) Selbstverständlich müssen die Rundfunkanstalten konsequent Einsparungspotenziale ermitteln - dazu gehört auch das vergleichsweise üppige System der Altersversorgung, das jüngst erst wieder - rechtzeitig vor Veröffentlichung der Vorschläge für die Strukturoptimierung - von der ARD tarifvertraglich abgesichert und fortgeführt wurde.

3) Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht nur Ankermedium, sondern Institutionen wie die Tagesschau, die heute-Sendung und die sie tragenden Anstalten sind das, was anerkennend in der Spiegel-Affäre über das Hamburger Nachrichtenmagazin gesagt wurde: Sturmgeschütz der Demokratie. Nicht unwichtig in Zeiten postfaktischer Diskurse und selbstreferentieller Filterblasen, die Berichterstattungen von ARD, ZDF, Deutschlandradio, der Deutschen Welle und den Dritten Programmen deshalb als bedrohlich empfinden, weil sie Wahrheit und nachprüfbarer Faktizität verpflichtet sind.

4) Gleichwohl sind die Anstalten nicht sakrosant. Im Gegenteil. Sie müssen sich ebenso wie der Rundfunkbeitrag gesellschaftlich immer wieder legitimieren. Dabei sollte jedoch anders als bei den Forderungen der CSU oder Rainer Robra das Kind nicht mit dem parteitaktischen Bade ausgeschüttet werden. Wer in einem ostdeutschen Bundesland leichtfertig fordert, die Tagesschau abzuschaffen, hat vergessen, welches Politikum in der DDR darin bestand, Westnachrichten zu empfangen. Noch in den 1980er Jahren wurde der Autor dieses Textes in der Schule gefragt, welche Form die Uhr habe, die vor den Abendnachrichten erscheint, um herauszufinden, ob die Eltern die »Aktuelle Kamera« oder die Tagesschau konsumierten.

Insoweit kommt es darauf an, statt dem Populismus der Rundfunkbeitrags-Delegitimation das Wort zu reden, einen langfristig tragfähigen Begriff der „relativen“ Beitragsstabilität zu entwickeln. Denkbar und wohl unausweichlich ist unter dieser Lesart eine moderate Erhöhung der Rundfunkbeiträge ab der kommenden Beitragsperiode. Sicher, für Sachsen-Anhalt, wo 2020 erneut gewählt wird und die AfD derzeit zweitstärkste Partei ist, ein denkbar ungeeigneter Zeitpunkt. Dennoch darf dies kein Tabu sein - unter der Maßgabe, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio es verstehen, spürbare Schritte bei Qualitätsjournalismus, guter Arbeit, Digitalisierung an den richtigen journalistischen Schnittstellen, weitere Stärkung der regionalen Verankerung der journalistischen Arbeit sowie neuer Schwerpunktsetzungen zum Beispiel im zukunftsrelevanten Medienbildungsumfeld, zu erfüllen. Die Kurzformel hieße: Mehr BBC für ARD und ZDF. Denn bislang haben die Anstalten keine gute Antwort auf die Frage gegeben, wie es ihnen gelingen soll, gemeinsam mit Deutsche Welle und Deutschlandfunk in gleichem Maße an Exzellenz hervorzustechen, ohne insgesamt fast um die Hälfte teurer zu sein als die BBC. Dafür wird es notwendig sein, von der berechtigten Sicht auf Altersversorgungslasten, Einsparpotenziale mit dem Ziel der grundsätzlichen Beitragsstabilität, die eine gewisse und noch festzulegende Schwankungsbreite nicht verlässt, abzurücken und stattdessen den Aspekt beitragsfinanzierter Exzellenz in den Mittelpunkt zu stellen. Dies erscheint allemal zielführender, als die Instrumentalisierung der Zukunftsdebatte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für parteitaktische Geländegewinne in der kommenden Jamaika-Koalition und der Konkurrenz zur AfD zu instrumentalisieren.