11.10.2017

„Links ist da, wo Menschen eine sichere Heimat haben“

Zwei Linke-Politiker nehmen den Begriff Heimat für ihre Partei in Anspruch - WELT-Gastkommentar

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Heimat? Für uns Linke? Aber sicher!

Von von Alexander Fischer und Benjamin-Immanuel Hoff

Die Linke fremdelt mit dem Heimatbegriff, viele wittern dahinter die Sehnsucht nach einem verloren gegangenen Ort. Zwei Linke-Politiker erklären, warum der Begriff dennoch ideal ist, um Lebenswelten progressiv zu verändern.

Die Heimatdebatte erlebt eine Renaissance, und – klug genutzt – könnte sie diesmal weder deutschtümelnd noch abgrenzend sein. In der klassischen Heimatdebatte stehen sich zwei Positionen gegenüber. Die einen meinen, dass unter die deutsche Vergangenheit ein Schlussstrich gezogen werden müsse. Dann könne der Begriff Heimat endlich „unverkrampft“ verwendet werden.

Diese Schlussstrichmentalität ist Beleg für diejenigen, die den Heimatbegriff für so kontaminiert halten, dass sich dessen Verwendung ebenso verbietet, wie es ihm an positiver Anknüpfungsfähigkeit mangelt. Dass eine Neonazi-Gruppe aus Thüringen sich „Thüringer Heimatschutz“ nannte, scheint die Evidenz dieser Kritik zu bestätigen. Doch die daraus abgeleitete Haltung „Links ist da, wo keine Heimat ist“ sucht vielfach bereits im eigenen Spektrum vergeblich nach Resonanz.

Der ostdeutsche Teil der Partei Die Linke die vormalige PDS, beruht zu einem wesentlichen Teil auf dem Teil der Ostdeutschen, der sich auch 27 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht in der Bundesrepublik aufgenommen, also heimisch fühlt. Das Gefühl nicht anerkannter Lebensleistungen in der DDR verhindert, dass diese Generation ankommt. Heimat ist für die Betreffenden die Sehnsucht nach einem verloren gegangenen Ort – ohne dass die politischen Zustände vor 1989 zurückgewünscht werden.

Differenzen gegenüber Oskar Lafontaine

Der Aufnahme von Flüchtlingen und der Grenzöffnung 2015 stand dieses Milieu ambivalent gegenüber. Einerseits tat es das mit dem Habitus internationalistischer Solidarität, lehnte deshalb Entgleisungen wie die "Fremdarbeiter"-Aussage Lafontaines ab und wählte auch nicht die AfD. Andererseits fürchtete es um den begrenzten Wohlstand, den man sich in den vergangenen Jahren aufgebaut hat. Aus Ostdeutschland kommt innerhalb der Linken schon länger die Forderung, die Debatte über linke Anforderungen an ein Zuwanderungsgesetz aufzunehmen. Zu Recht.

Die Linke kann, möglicherweise muss sie auch mit dem Heimatbegriff fremdeln. Es muss kein Nachteil sein, wenn sie vorsichtig mit ihm ist. Ihn pauschal abzulehnen wäre freilich ein Fehler. Es würde die problematische Entkopplung der progressiven politischen Milieus von ihrer historischen sozialen Basis, dem sogenannten Prekariat, verstetigen. Besser wäre es deshalb, das Postulat „Links ist da, wo keine Heimat ist“ durch die empathische und strategische Gestaltungsaufgabe abzulösen: „Links ist da, wo Menschen eine sichere Heimat (auch in der Fremde), und damit Zukunft und Möglichkeitsräume haben.“

Damit würde an die Erkenntnis angeknüpft, dass Heimat in der subjektiven Alltagswahrnehmung zunächst nicht mehr und nicht weniger ist als eine Chiffre für den Wunsch nach einem Leben in verlässlichen räumlichen, familiären, sozialen, ökonomischen und institutionellen Arrangements.

Auch den Begriff Sicherheit progressiv verwenden

Der notwendig nächste Schritt bestünde dann darin, zu buchstabieren, wie die Sicherheit vor den großen Risiken des Lebens gewährleistet wird. Egal ob Armut und soziale Ungleichheit, Krieg beziehungsweise Terror und Gewalt oder Diskriminierung und Ausgrenzung. Der selbstbewusste Weg bestünde darin, nicht nur Heimat progressiv zu verwenden – inklusiv statt ausgrenzend –, sondern den Sicherheitsbegriff von links gleich noch dazu.

Aufbauend auf dem zutiefst menschlichen Impuls, in der uns umgebenden Umwelt sowohl sicher beheimatet zu sein, als auch sie sich als frei gestaltbare Lebenswelt aneignen zu können: Es hängt für die politische Linke viel davon ab, dass sie den Wunsch nach Beheimatung nicht als ewiggestrig abtut, sondern daraus die Legitimation und die Mehrheiten für eine progressive Veränderung der Lebenswelten ableitet.

 

Benjamin-Immanuel Hoff ist Chef der Thüringer Staatskanzlei und Minister fürKultur, Bundes und Europaangelegenheiten.
Alexander Fischer ist Staatssekretär für Arbeit und Soziales in Berlin Berlin