18.05.2017

Gebietsreform in Thüringen (Interview der Wochenzeitung DIE ZEIT)

DIE ZEIT: Herr Hoff, warum wollen Sie in dieser Legislatur eine Gebietsreform? Einige Experten sagen, dass große Landkreise und Kommunen schlecht für die Demokratie sein könnten.

Benjamin Hoff: Ich glaube, dass etwas ganz anderes schlecht für die Demokratie ist: Eine gelähmte Verwaltung. Wir wissen, dass eine Gebietsreform kein Gewinnerthema ist, wir merken das ja täglich. Aber wir wissen auch, dass sie wichtig ist. Es kommt ganz darauf an, aus welcher Motivation heraus man so ein Reform-Projekt angeht.

ZEIT: Was ist Ihre Motivation?

Hoff: Jedenfalls ist es nicht unser Ansinnen, Geld zu sparen. Das haben wir von Anfang an gesagt: Wir wollen das gleiche Geld wie früher ausgeben, aber das Geld besser einsetzen – um die öffentliche Daseinsvorsorge zu verbessern. Kein Bürger soll auf irgendetwas verzichten. Die Verwaltung soll aber besser funktionieren. In Thüringen haben 40 Prozent der Kommunen weniger als 500 Einwohner. Es ist nun einmal schwierig, in einer 500-Einwohner-Gemeinde gutes Personal zu beschäftigen.

ZEIT: Was sagen Sie jenen Forschern, die behaupten: Kreisgebietsreformen stärken die Populisten – weil dort, wo Landkreise besonders groß sind, zum Beispiel die AfD besonders gut abschneide?

Hoff: Denen sage ich: Cum Hoc Ergo Propter Hoc – Korrelation ist nicht Kausalität. Nur weil etwas zeitlich zusammenfällt, muss es nichts miteinander zu tun haben.

ZEIT: Die Gebietsreformen der Vergangenheit im Osten haben vor allem das Gefühl hinterlassen: Der Staat zieht sich aus der Fläche zurück.

Hoff: Das tut er in Thüringen aber ausdrücklich nicht. Die neoliberal determinierten Gebietsreformen im Ostdeutschland der Neunziger sollten Personal und Geld einsparen. Das haben wir, wie gesagt, nicht vor. Wir werden nicht den Fehler machen, die ehemaligen Kreisstädte funktionslos werden zu lassen. Auch wenn Verwaltungen zusammengelegt werden, wollen wir die bürgernahen Dienstleistungen weiterhin überall anbieten. Starke Populisten sind ein Ergebnis neoliberaler Diskurse, das hängt nicht an Kreisgrenzen. Und nicht jede Gebietsreform ist neoliberale Politik.

ZEIT: Je größer eine Kommune, desto schwieriger könnte es für Bürger sein, sich zu engagieren.

Hoff: Es lässt sich überhaupt nicht empirisch nachweisen, dass die Zahl der Bürger, die sich kommunalpolitisch einbringen, in großen Landkreisen niedriger ist. Wieso engagieren Bürger sich denn seltener im Gemeinde- oder Stadtrat? Weil sie keine Lust auf Kommunalpolitik mehr haben, wenn sie nur noch über den Mangel in einer Kommune entscheiden dürfen. Wenn sie aber in einer Kommune leben, die auch was zu verteilen hat? Dann macht es gleich viel mehr Spaß. Deshalb sollen die Kommunen nach der Kreisgebietsreform auch mehr Geld haben.

ZEIT: Es geht den Thüringer Kommunen eigentlich vergleichsweise gut.

Hoff: Einigen geht es gut. Es gibt in diesem Land aber auch 144 Gemeinden mit Haushaltsnotlage. Wir haben in Thüringen eine weit unterdurchschnittliche Steuerkraft, was damit zu tun hat, dass es kaum Unternehmenssitze in Ostdeutschland gibt. Außerdem ist jetzt aus einem weiteren Grund der richtige Zeitpunkt für die Reform.

ZEIT: Aus welchem?

Hoff: Es gab in den achtziger Jahren ein Buch, das hieß: Der kurze Traum immerwährender Prosperität. Kein Aufschwung hält ewig. Man sollte bestimmte Reformen angehen, wenn die Mittel da sind. Das muss jetzt sein. Um für die Zeiten gerüstet zu sein, in denen die Mittel fehlen.

ZEIT: Haben nicht die letzten zwei Jahre gezeigt, dass der Bürgermeister, der durch den Ort geht und auf seine Bürger noch direkt am Gartenzaun einwirken kann, die wichtigste politische Figur im Kampf gegen Populismus ist?

Hoff: Ob ich einen ehrenamtlichen Ortsteilbürgermeister habe, der sich über den Zaun lehnt, oder einen hauptamtlichen Bürgermeister – das finde ich nur bedingt erheblich. Wir wissen aus Befragungen wie dem Thürngen-Monitor, dass selbst jene Bürger, die ihre eigene Lage positiv einschätzen, ein Gefühl von gesellschaftlichem Abgehängtsein beklagen – was sich ja widerspricht. Das scheint es ein ostdeutsches Gefühl zu geben: Viele Leute sind frustriert, dass man sich noch so sehr anstrengen kann, und trotzdem immer noch weit hinter dem Westen  liegt. Dieses Gefühl lindert auch kein Bürgermeister, der sich über den Zaun lehnt. Ein wichtiger Ansatz ist m. E., dass wir als Landesregierung- aber auch jede Bürgerin und jeder Bürger - Verantwortung übernehmen und uns mit den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen konfrontieren und weiterentwickeln wollen

Die Fragen stellte Martin Machowecz