26.03.2017

Kramp-Karrenbauer- statt Schulz-Effekt

Beitrag auf dem Blog von www.freitag.de vom 26. März 2017

Beliebte Amtsinhaberin schlägt beliebter gewordene Herausfordererin

Martin Schu‎lz hat mit dem Begriff "Kramp-Karrenbauer-Effekt" den Nagel auf den Kopf getroffen. Bei dieser Landtagswahl wurde eine Ministerpräsidentin mit überragenden persönlichen Zustimmungswerten wiedergewählt. Fast jeder zweite Wähler im Saarland (79%) befand laut Infratest dimap, Kramp-Karrenbauer "sei eine gute Ministerpräsidentin". Dieser Position stimmten bei den CDU-Anhänger/-innen 98% zu, seitens der SPD-Anhänger/-innen drei Viertel (75%) und sogar zwei Drittel der AfD-Anhänger/-innen (65%). Selbst von den LINKEN-Anhänger/-innen waren noch fast die Hälfte dieser Auffassung (44%). Laut Forschungsgruppe Wahlen waren 80% aller Befragten der Auffassung, dass die Ministerpräsidentin ihre Arbeit gut macht und zwar mit 99% (CDU-Anhänger/-innen), 78% (SPD), zu 56% (AfD), 55% (DIE LINKE) und zu jeweils fast 80% bei Anhänger/-innen von Grünen (79%) und FDP (78%).

‎Beim Vergleich zwischen Kramp-Karrenbauer und der SPD-Spitzenkandidatin Anke Rehlinger, lag die Amtsinhaberin mit 52% vor der Herausfordererin, die auf 36% kam (Forschungsgruppe Wahlen) bzw. 52% zu 38% bei Infratest dimap.

Vergleicht man diese Werte über einen längeren Zeitraum, dann zeigt sich darin eher ein Profilgewinn für die Herausfordererin als für die Amtsinhaberin, denn im März 2015 lag Kramp-Karrenbauer im direkten Vergleich mit Rehlinger noch bei 62% zu 18%, im März 2017 bei 51% zu 32% und in der Wahlwoche bei 52% zu 38%. Während die Ministerpräsidentin bei der Zufriedenheit mit ihrer Arbeit seit Mai 2014 stabil Werte um 75% mit einer leichten Delle im Mai 2016 (70%) verzeichnete, steigerte sich Frau Rehlinger in diesem Zeitraum von 50% auf 68% in dieser Woche. Die SPD wäre schlecht beraten, wenn sie angesichts dessen den Stab über ihre Spitzenkandidatin brechen würde.

‎Gleichwohl war seitens Rehlinger gegen Kramp-Karrenbauer im direkten Vergleich (noch) nichts auszurichten. Konnte die SPD-Kandidatin bei den Persönlichkeitswerten Sympathie (31% zu 22%) und Glaubwürdigkeit (23% zu 13%) noch den Anschluss an die Ministerpräsidentin halten, lag sie bei der Frage Sachverstand (33% zu 7%) und der Zukunftsfrage "Bringt das Saarland eher voran" mit 38% zu 19% deutlich abgeschlagen. Obwohl oder möglicherweise weil Frau Rehlinger als Juniorpartnerin Teil des Kabinetts Kramp-Karrenbauer war, das sich einer großen Zufriedenheit seitens der Bevölkerung erfreut, schnitt die Ministerpräsidentin bei der Frage Führungsstärke mit 63% zu 21% mit dem Amtsbonus besser ab.

Es gehört zu den vernachlässigten Wahrnehmungen der vergangenen Landtagswahlen, dass nicht Parteien ihre Ministerpräsidenten ziehen, sondern umgekehrt, der Persönlichkeitsfaktor eine erhebliche Wirkung auf das Parteiergebnis hat. Dies war insbesondere in Rheinland-Pfalz aber auch in Baden-Württemberg,‎ Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg zu besichtigen.

 

Hohe Zufriedenheit mit der Landesregierung

Mit der Arbeit der Landesregierung waren nach Infratest dimap 69% der befragten Wahlberechtigten zufrieden. Darunter auch mehr als zwei Drittel der SPD-Anhänger/-innen, knapp die Hälfte der grünen Anhänger/-innen und mehr als jeder vierte Anhänger der Partei DIE LINKE. Solche Zufriedenheitswerte sind kein Garant für den Bestand einer Koalition, aber sie sprechen keineswegs für eine hohe Wechselbereitschaft. Profitieren kann deshalb von solchen Werten die jeweils stärkere Regierungspartei, wie sich an Baden-Württemberg 2016 (70% Zustimmung), Bayern 2013 (65%) und Rh‎einland-Pfalz (61%) zeigte. Dass die SPD im Saarland in einer solchen Situation - anders als in den drei genannten Ländern - das Vorwahl-Ergebnis im Wesentlichen halten konnte, spricht sicherlich nicht gegen einen bundesweiten Schub bei den Sozialdemokrat/-innen und für eine Profilierung ihrer Spitzenkandidatin.

 

Rot-Rot, R2G und Mission Versöhnung vertagt

Die Rolle von Oskar Lafontaine in der saarländischen Politik und derjenigen der SPD ist hinlänglich beschrieben worden. Dass der Gedanke nicht ohne Reiz ist, Oskar Lafontaine hätte es gelingen können, im Saarland mit Anke Rehlinger und ggf. mit Simone Peters die erste rot-rote oder rot-rot-grüne Landesregierung im Westen zu bilden und damit ein unverkennbares Signal für die Bundestagswahl im Herbst zu setzen, liegt auf der Hand. Gleichwohl waren die Rahmenbedingungen dafür - im Lichte der empirischen Erkenntnisse betrachtet - eher ungünstig.

Fangen wir mit dem Guten an: Dass immerhin ein Drittel der Befragten (33%) in einem westdeutschen Bundesland ein rot-rotes Bündnis befürwortet und sich 24% für ein rot-rot-grünes Bündnis aussprechen, ist nicht weniger als bemerkenswert.

Gleichwohl wollten 58% der Befragten eine Fortsetzung des Bündnisses aus CDU und SPD.

Auch 79% der SPD-Wähler/-innen präferierten eine Große Koalition, wenn auch unter Führung der SPD, während sich 34% der SPD-Wähler/-innen auch dann für eine Fortsetzung der Großen Koalition aussprachen, wenn die CDU das Bündnis anführen würde. Ein rot-rotes Bündnis konnte 47% der SPD-Wähler/-innen zur Zustimmung bewegen und 35% die Aussicht auf r2g.

‎Der Schlagabtausch zwischen Vertreter/-innen der SPD und der LINKEN am Wahlabend, an welcher der beiden Parteien der Politikwechsel nun gescheitert sei, ist müßig. Die Fakten liegen auf der Hand: Gewonnen hat die CDU, weil eine große Zahl von Wähler/-innen die Ministerpräsidentin erneut im Amt sehen wollte, diejenige Landesregierung anführend, die sich einer sehr hohen Zustimmung erfreut. Unter die Räder gekommen sind dabei die Grünen, für die das Saarland seit jeher ein schwieriges Pflaster ist und nur mit denen im Landtag die Ablösung von Kramp-Karrenbauer hätte knapp gelingen können.

 

Zu früh für den Abgesang auf Martin Schulz

Es ist bereits eingangs darauf hingewiesen worden: der Einzige, der am Wahlabend souverän mit dem Medienhype des Schulzzugs umging, war Martin Schulz selbst.

Klar, eine gewonnene Landtags‎wahl an der Saar hätte seiner Kampagne Rückenwind gegeben. Aber hier stritt eine Juniorpartner-SPD gegen eine beliebte Ministerpräsidentin. Am 7. und am 14. Mai 2017 wird in Kiel und Düsseldorf jeweils ein SPD-Amtsinhaber als Ministerpräsident bzw. Ministerpräsidentin in die Wahl gehen. Aller Voraussicht nach werden diese zwei Spiele von der SPD gewonnen.

Spannend sind deshalb eher andere Punkte, die gegen den Abgesang auf Schulz sprechen oder zumindest, dass es dafür allein mit den Ergebnissen der Saarland-Wahl zu früh ist:

1. Laut Forschungsgruppe Wahlen stimmten 80% der Aussage zu, dass für das Abschneiden der SPD im Saarland Martin Schulz eher hilfreich sei. Für das Abschneiden der CDU im Saarland hielten nur 31% die Kanzlerin für hilfreich, während rund ein Viertel (26%) meinten, dies würde eher schaden. Laut Infratest dimap gaben 66% der CDU-Wähler/-innen im Saarland an‎, dass die Kanzlerin ein wichtiger Grund gewesen sei, die CDU zu wählen, aber 79% der SPD-Wähler/-innen sagten dies über Martin Schulz.

2. Gefragt von Infratest dimap, wer für notwendige Veränder‎ungen sorge, zeigen sich 62% der Befragten überzeugt, dass dies Martin Schulz sei, den 67% für bürgernäher halten als Frau Merkel (17%). Sechs Prozentpunkte trennt beide bei der Glaubwürdigkeit (43% Merkel vs. 37% Schulz).

3. Während 76% der von Infratest dimap Befragten der Auffassung sind, dass Martin Schulz "frischen Win‎d in die Politik bringt", meinen 63%, dass Frau Merkel "ihre besten Zeiten als Bundeskanzlerin hinter sich" habe. Weitere 64% glauben, dass mit Schulz wieder sichtbare Unterschiede zwischen SPD und CDU bestünden.

 

Wessen Genosse ist der Trend?

Werfen wir abschließend noch einen Blick auf die anderen Parteien:

1. DIE LINKE ist im Saarland immer noch stärker als in allen anderen westlichen Bundesländer‎n. Diese Stärke ist weiterhin enorm mit Oskar Lafontaine verbunden. Eine parallel zu den Umfragen zur Landtagswahl veröffentlichte Prognose für das Stimmverhalten im Saarland zur Bundestagswahl zeigt eine Diskrepanz von 13% (Landtagswahl) zur 4% (Bundestagswahl). Die Saar-Linke schrumpft auch bei dieser Landtagswahl prozentual. Vergleiche in absoluten Stimmen zwischen dieser Landtagswahl und vorhergehenden Landtags- und Bundestagswahlen müssen weiterer Betrachtung über den Wahlabend hinaus vorbehalten bleiben. Insgesamt ist zu konstatieren, dass DIE LINKE seit der Bundestagswahl 2009 im Wesentlichen schlechtere Wahlergebnisse als bei den jeweiligen Vorwahlen vergegenwärtigen muss. Inwieweit die Landtagswahlen in Kiel und Düsseldorf dazu führen, dass die Partei zwei West-Landtage zurückerobern kann, wird sich zeigen. Dies wäre tatsächlich ein starkes Signal nachdem der Hype der Piratenpartei DIE LINKE aus Landtagen warf.

2. Das Saarland ist für die Grünen seit jeher ein‎ schwieriges Pflaster. Nur vier Mal gelang ihnen hier der Einzug in den Landtag. Erstmals 1994 mit 5,5‎%, 2004 mit 5,6%, 2009 mit 5,9% und 2012 mit 5,0%. Die Verluste an der Saar reihen sich ein in eine Kette von Wahlverlusten in elf der sechzehn Bundesländer. Ihre Stärke resultiert aus ihren Regierungsbeteiligungen, weniger aus ihren Wahlergebnissen. In Mecklenburg-Vorpommern und im Saarland ist die Partei nicht mehr im Landtag vertreten. In Rheinland-Pfalz verloren sie im vergangenen Jahr 10,1% und kamen gerade noch mit 5,3% wieder in den Landtag. Ebenso in Sachsen-Anhalt, wo sie im vergangenen Jahr zwei Prozentpunkte verloren und mit 5,2% in den Landtag und in die Anti-AfD-Koalition aus CDU, SPD und Grünen einzogen.Auch in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein werden ihnen deutliche Verluste vorhergesagt. D‎as Dilemma der Grünen besteht in drei Entscheidungen der Partei:

a) In Auswertung der vergangenen Bundestagswahl entschieden sie sich, nicht erneut auf Gerechtigkeit als Wahlkampfthema zu setzen. In einer Zeit, in der 72% der von Infratest dimap im Saarland Befragten sagen, dass sie es gut finden, dass Martin Schulz die Arbeitsmarktpolitik der SPD korrigieren will, 51% meinen, dass sich die Verhältnisse ‎in Deutschland spürbar ändern müssen (darunter: 74% Linkspartei-Wähler/-innen, 55% der SPD und nure 27% der Grünen) und soziale Gerechtigkeit mit 48% das wahlentscheidende Thema an der Saar war, könnte sich diese Entscheidung als nachteilig erweisen.

b) Die Grünen waren bis zu ihrer Urwahl der Überzeugung, dass ihre Stärke in der Äquidistanz läge, also der gleich großen Entfernung zu allen potentiellen Regierungspartnern. Diese strategische Entscheidung ist hilfreich bei der Regierungsbildung aber sie bildet nicht zwangsläufig das Bewusstsein der eigenen Mitgliedschaft und Kernwähler/-innenschaft ab, die sich stets eher als Teil von Mitte-Links verstand und versteht. Mit einer SPD, die einen Lagerwahlkampf führen will, in dem sie die Führung von Mitte-Links einzunehmen bereit ist, fehlen den Grünen die strategischen Eckpfeiler, die sie als Teil eines solchen Lagers sehen.

c) Die Regierungsbeteiligungen der Grünen sind ihr derzeit stärkstes Pfund. Daran lassen sie erkennbar keinen Zweifel. Darüber gestalten sie Politik - insbesondere im Bundesrat und den Arenen der föderalen Aushandlungsproze‎sse. Jede verlorene Regierungsbeteiligung erweckt den Eindruck, dass die Partei den Peak überschritten haben könnte. Eine grüne Partei, die nicht in der nächsten Bundesregierung vertreten wäre, würde diesen Eindruck noch ungefilterter erwecken.

 

‎3) Die AfD hat im Saarland ein aus Sicht der Partei miserables Ergebnis eingefahren. Die Ursachen dafür liegen

a) in der Partei vor Ort, die trotz erheblicher Probleme mit der Abgrenzung zur NPD und dem organisierten Rechtsextremismus nicht die Kraft fand, sich von dem einschlägigen Spitzenpersonal zu trennen,

b) der Abwesenheit der Relevanz der Flüchtlingsthematik im Verghleich zu anderen wahlentscheidenden Themenfeldern und

c) einem parteipolitischen Umfeld, das dieses Themenfeld bereits besetzte. Laut Infratest dimap äußerten 63% der Befragten Zustimmung, dass DIE LINKE im Saarland abgelehnte Asylbewerber schnell abschieben will und 66% der Linkspartei-Wähler/-innen vertreten diese Auffassung. Oskar Lafontaine wird dies mit hoher Wahrscheinlichkeit als Erfolg seiner Strategie sehen, die in der Bundespartei bekanntermaßen hoch umstritten ist.

Für das Verkünden einer Trendwende bei der AfD ist es sicherlich noch zu früh und das Saarland ein schlechterer Indikator als andere Landtagswahlen dieses Jahres.

4) Die FDP ist im Saarland von jeher eine Randerscheinung. Im Gegensatz zu Schleswig-Holstein und NRW wo die kommenden Landtagswahlen stattfinden. Das Projekt Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag ist nicht an der Saar entschieden worden.

 

Fazit: Lokales Ereignis - keine bundesweite Bedeutung

Die erste Wahl im Bundestagswahljahr, das bereits zum Super-Wahljahr hochgejazzt wurde, ist ein lokales Ereignis, dessen bundesweite Bedeutung in der heutigen medialen Berichterstattung ma‎ßlos überschätzt wurde. Hier wurde auf Basis einer Grundgesamtheit von n=1 umfassende Welterklärungen versucht. Das macht keinen Sinn. Das Rennen bis zum Herbst ist eröffnet - und offen.