09.02.2017

Sonderrechte für Geheimdienste

Beitrag auf dem Blog von www.freitag.de

Am Freitag dem 10. Februar 2017 behandelt der Bundesrat das neue Bundesarchivgesetz. Es steht auf der sogenannten Grünen Liste, also den Tagesordnungspunkten, bei denen es keine Aussprache und auch keine Anrufung des Vermittlungsausschusses gibt. Angesichts der Tagesordnung, auf der eine Reihe sehr umstrittener Punkte verhandelt wird, ist dies nachvollziehbar. Es verdeckt jedoch den Umstand, dass insbesondere Sonderregelungen für die Nachrichtendienste zu erheblicher Kritik am neuen Bundesarchivgesetz geführt haben.

Nach fast 30 Jahren wird das Bundesarchivgesetz modernisiert und an die Erfordernisse der Digitalisierung angepasst. Zugleich soll mit der Novellierung des Bundesarchivgesetzes Journalisten, Wissenschaftlern und Privatpersonen der Zugang zu Dokumenten erleichtert werden. Zu diesem Zweck werden Schutzfristen für personenbezogenes Archivgut von 30 auf zehn Jahre nach dem Tod der betroffenen Person gesenkt. Für Amtsträgerinnen und Amtsträger sowie Personen der Zeitgeschichte entfällt die Schutzfrist komplett, es sei denn, der schutzwürdige Privatbereich wäre betroffen. Die Novelle sieht ferner vor, dass alle Stellen des Bundes ihre Akten nach spätestens 30 Jahren an das Bundesarchiv in Koblenz abgeben.

Archive - Gedächtnisse der Gesellschaft und Orte der Informationsfreiheit

Das Bundesarchivgesetz ist im Kern ein Informationsfreiheitsgesetz. Indem Bürgerinnen und Bürger Einblick in die Akten nehmen können, wird eine demokratische Kontrolle von Handlungen und Entscheidungen von Politik und Verwaltung im Nachhinein ermöglicht. Dies konkretisiert die Funktion von Archiven als Gedächtnisse der Gesellschaft in der parlamentarischen Demokratie.

Archive bilden die Geschichte unseres Landes ab und stehen allen zur Verfügung. Umso wichtiger ist es, dass alle Behörden und Institutionen gleichermaßen in der Pflicht stehen, Transparenz herzustellen.

Problematisch ist, dass die Nachrichtendienste von dieser Transparenz im neuen Bundesarchivgesetz ausgenommen werden. Die Regelung zur Anbietungspflicht für Unterlagen der Nachrichtendienste hatte bereits in der Sachverständigenanhörung des Deutschen Bundestages eine zentrale Rolle gespielt.

Die Neuregelung in § 6 Absatz 1 Satz 2 sieht eine Ausnahme von der Anbietungspflicht vor, wenn zwingende Gründe des nachrichtendienstlichen Quellen- und Methodenschutzes sowie schutzwürdige Interessen von bei den Nachrichtendiensten beschäftigten Personen entgegenstehen.

Die Formulierung wurde zwar im parlamentarischen Verfahren insoweit geändert, als es nun „zwingender Gründe“ und nicht lediglich „überwiegender Gründe“ für eine Ausnahme von der Anbietungspflicht geben muss.

Im Ergebnis bleibt es aber dabei, dass die Nachrichtendienste selbst entscheiden, ob und welche Unterlagen an das Bundesarchiv übergeben werden, ohne dass dies gerichtlich nachprüfbar ist. Das wiegt mit Blick auf die Bereichsausnahme des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) besonders schwer, wonach Nachrichtendienste vom Informationszugang ausgenommen sind (§ 3 Ziff. 8 IFG). Damit bleibt das, was von den Nachrichtendiensten den Archiven nicht angeboten wird, dem Informationszugang Dritter auf Dauer verschlossen.

Der Verband deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA) nennt die neue Regelung zu Recht „einen bedenklichen Eingriff in die Möglichkeit der demokratischen Kontrolle der Nachrichtendienste“. Die Journalistengewerkschaften dju und DJV fordern in einer gemeinsamen Stellungnahme die Streichung der „immer noch großzügigen Sonderregelung“. Auch die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) kritisiert, dass historisch bedeutsame Unterlagen gegebenenfalls nicht archiviert werden und somit für Forscher und Wissenschaftler verloren gehen könnten. Sie forderte bereits in der Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages gemeinsam mit weiteren Sachverständigen die Streichung.

Um nicht falsch verstanden zu werden. Die politische Diskussion um die Rolle und Aufgabe von Geheimdiensten muss nicht am Bundesarchivgesetz geführt werden. Und es geht auch nicht darum, geheimhaltungsbedürftige Unterlagen offen zu Markte zu tragen. Erst recht dann nicht, wenn damit eine Gefährdung für einzelne Personen oder für schutzwürdige Interessen des Staates verbunden wäre.

Zu Recht weist der Verband der Archivare (VdA) aber darauf hin, dass man in Archiven auch bisher in der Lage war, mit hochbrisanten Unterlagen adäquat umzugehen. Sogenannte VS-Archive gewährleisten auch heute schon die Archivierung und den Schutz von Verschlusssachen.

Der Expertise von Archivarinnen und Archivaren sollte man auch weiterhin ausnahmslos alle behördlichen Unterlagen anvertrauen. Nur so ist eine lückenlose Recherche möglich und nur so kann man darauf vertrauen, auch in Jahrzehnten und Jahrhunderten noch das ganze Bild staatlichen Handelns erkennen und auf dieser Grundlage Entscheidungen rekapitulieren, im besten Falle die Wiederholung von Fehlern vermeiden zu können.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.