08.07.2016

Rede zur Zweiten Verordnung zur Änderung der Anreizregulierungsverordnung

Freitag, 8. Juli 2016, Bundesratssitzung TOP 45

Sehr geehrter Herr Präsident,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

die Maßgaben in den Ziffern 6 und 11 der Ihnen vorliegenden Empfehlungsdrucksache, unter denen dem Bundesrat nach Befassung in den Ausschüssen die Zustimmung zur Verordnung empfohlen wird, sind für uns essentiell und Bedingung, um dem Vorhaben zuzustimmen.

Mit diesen Vorschlägen wurde länderseitig Augenmaß bewiesen und ein Kompromiss gefunden, mit dem auch der Verordnungsgeber gut leben können sollte. Deshalb möchte ich an dieser Stelle dafür werben, die Verordnung hier im Plenum mit den Änderungen zu verabschieden.

Es geht bei den oben genannten Änderungen nicht nur um Detailfragen sondern implizit um ganz grundsätzliche energiepolitische Weichenstellungen, deren Bedeutung nicht nur wirtschaftlicher Natur ist, sondern mit denen eine Entscheidung darüber verbunden ist, wie Bund und Länder bei der Gestaltung der Energiewende miteinander umgehen und wie die Versorgungsstrukturen in der Bundesrepublik in Zukunft aussehen sollen.

Um es auf den Punkt zu bringen: Sollen die Kosten, die durch die ambitionierten Leitungsausbauvorhaben und die Anwendung neuer Techniken (Verkabelung, HGÜ) auf Übertragungsnetzebene entstehen, teilweise dadurch kompensiert werden, dass man auf den nachgelagerten Verteilnetzebenen neue Restriktionen in den Regulierungsrahmen einbaut, die zu Einsparungen führen?

Aus Sicht eines Landes, das durch große Leitungsausbauvorhaben tangiert wird und dessen Verteilnetzbetreiber ihrem Versorgungsauftrag entsprechend in der Vergangenheit viel in die Netze investiert haben, kann man die Frage nur mit Nein beantworten. Solidarität heißt geben und nehmen.

Daher sprechen wir uns für die partielle Weitergeltung des zurzeit geltenden Rechtszustandes aus, soweit es um Refinanzierungsfragen und den Umgang mit Ineffizienzen bei Netzbetreibern geht. 

Konkret: Der Abbaupfad für Ineffizienzen, der jetzt schon bei fünf Jahren liegt, soll so erhalten bleiben, wie er ist. Des Weiteren muss die Übergangsregelung zur Beibehaltung der Sockel für bereits getätigte Investitionen mindestens von einer auf zwei Regulierungsperioden verlängert werden.

Der damit verbundene Verzicht auf Kostensenkungen in den genannten Handlungsfeldern ist marginal, hat aber zum Teil gravierende Auswirkungen auf eine nicht unbedeutende Zahl von Verteilnetzbetreibern in Deutschland.

Dazu müssen wir uns Folgendes vergegenwärtigen: Das Netzentgeltaufkommen in Deutschland beträgt allein im Strombereich ca. 20 Mrd. Euro p. a. und im Gasbereich witterungsabhängig und unter Berücksichtigung der weiteren Entgeltentwicklung bis zu 10 Mrd. Euro.

Laut Aussage des BMWi sollen mit der Abschaffung der Sockel und der Verschärfung des Effizienzpfades 350 Mio. Euro p. a. (inklusive Gas) eingespart werden. Das macht dann 1,5 Prozent des jährlichen Netzentgeltaufkommens aus, was im Strombereich umgelegt auf die Kilowattstunde einem Betrag von 0,075 ct entspricht. Im Gasbereich dürfte der Betrag noch niedriger liegen.

Ein durchschnittlicher Haushalt (2.500 kWh Jahresverbrauch) spart damit 1,87 Euro pro Jahr an Stromkosten.

Dem stehen aber Ertragsausfälle bei Stadtwerken im Bereich von 10 bis 20 Prozent gegenüber. Die Ausfälle betreffen nur Regionalversorger und Stadtwerke.

Übertragungsnetzbetreiber und Ferngasnetzbetreiber können ihre Sockel behalten und im Zuge des Netzausbaus noch zusätzliche Gewinne generieren, da die genehmigten Investitionsbudgets den dauerhaft nicht beinflussbaren Kosten zugerechnet werden. Schon diese Ungleichbehandlung begegnet gravierenden Bedenken, die im Übrigen auch rechtlicher Natur sind.

Der Verordnungsentwurf ist ohne die Berücksichtigung der Ausschussempfehlungen in sich nicht ausgewogen und berücksichtigt Länderinteressen nur in äußerst selektiver Weise.

Die vorgesehene Einführung eines kapitalkostenorientierten Mechanismus zur kostenverursachungsgerechten Berücksichtigung von im Laufe einer Regulierungsperiode getätigten Investitionen für Verteilnetzbetreiber – die der Auslöser für die vorgesehenen Verschärfungen ist – wäre zwar grundsätzlich zu begrüßen. Sie nützt in der vorliegenden Fassung allerdings am meisten denjenigen Netzbetreibern, die in der Vergangenheit nicht investiert haben und dies jetzt schnellstmöglich nachholen müssen.

Dagegen werden mit der Abschaffung des Sockeleffektes diejenigen Unternehmen getroffen, die ihrem Versorgungsauftrag entsprechend investiert haben. In Thüringen - aber nicht nur dort - ist Letzteres der Fall. Hier führen die von der Bundesregierung vorgesehenen Änderungen der Anreizregulierungsverordnung zu einer Verschlechterung der Refinanzierungsbedingungen für bereits getätigte Investitionen, die im Vertrauen auf den geltenden Regulierungsrahmen getroffen wurden. Insbesondere die Refinanzierung der ab 2007 getätigten Investitionen wäre nach den nun vorgesehenen Regelungen nicht mehr gegeben, weil der schon entstandene Zeitverzug bei der Berücksichtigung der Investitionskosten nicht wie bisher durch Ausnutzung des Sockeleffektes kompensiert werden kann.

Wenn nun noch verschärfte Ineffizienzabbauziele hinzukommen, indem die Unternehmen Vorgaben nicht wie bisher in fünf, sondern in drei Jahren umsetzen müssen, führt dies zu einer weiteren Auszehrung der Unternehmenssubstanz, die im Einzelfall existenzgefährdend werden kann.

Die dann gegebene enteignende Wirkung des Verordnungsentwurfes stößt nicht nur auf (verfassungs-)rechtliche Bedenken. Politisch wird die Lage noch schwieriger. Es wäre der Bevölkerung unseres Landes nicht zu vermitteln, wenn regionale und kleine Verteilnetzbetreiber aus der Versorgungslandschaft in Zukunft verschwinden würden und dabei Zusammenhänge mit überregionalen Netzausbauvorhaben hergestellt werden müssten.

Der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates hat also aus gutem Grund mit der vorgeschlagenen Revision der Verschärfung des Abbaupfads der Ineffizienzen (Rückführung auf fünf Jahre, dem Ist-Zustand entsprechend) sowie der Verlängerung der Übergangsregelung für die Beibehaltung der Sockeleffekte von einer auf zwei Regulierungsperioden Änderungen am Verordnungsentwurf vorgesehen, die der beschriebenen Problematik entgegenwirken und die verfassungsrechtlichen Probleme entschärfen sollen.

Insofern bitte ich Sie dringend, dem Verordnungsvorhaben nur mit den Maßgaben der Empfehlungsdrucksache in den Ziffern 6 und 11 zuzustimmen. Finden die Ziffern keine Mehrheit, wird Thüringen den Verordnungsentwurf der Bundesregierung zur Änderung der Anreizregulierungsverordnung insgesamt ablehnen.