08.07.2016

Rede im Bundesrat zum Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Freitag, 8. Juli 2016, Bundesratssitzung

Sehr geehrter Herr Präsident,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

im Rahmen des 1. Durchgangs des 9. SGB II-Änderungsgesetzes hier im Bundesrat hatte ich die Hoffnung geäußert, dass aus dem Gesetzentwurf der Bunderegierung im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine wirkliche Reform der Grundsicherung für Arbeitsuchende entstehen kann, die einen tatsächlichen Beitrag zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts leistet. Viele der von den Ländern im Gesetzgebungsverfahren eingebrachten Änderungsvorschläge hätten hierzu eine Grundlage bilden können, um zu wirklichen Verbesserungen für die betroffenen Menschen und zu Vereinfachungen zu kommen.

Ich muss nun leider feststellen, dass mit dem 9. SGB II-Änderungsgesetz keine Reform der Grundsicherung für Arbeitsuchende erfolgt, die diesen Ansprüchen gerecht wird, noch der von der Bundesregierung formulierte Anspruch mit dem Gesetz eine deutliche Rechts- und Verwaltungsvereinfachung zu erzielen, erreicht wird.

Die im nunmehr vorliegenden Gesetz enthaltenen Änderungen sind hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Verwaltungsabläufe in den Jobcentern überschaubar oder eher Stückwerk. Für die Leistungsberechtigten sind sogar weitere Verschärfungen vorgesehen (Sanktionen bei fehlender Mitwirkung). Wir brauchen einen stärkeren Schwerpunkt auf dem „Fördern“ und nicht dem „Fordern“.

Es wird somit weder die Hoffnung der Leistungsberechtigten auf ein gerechteres und einfacheres Gesetz noch die Hoffnung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter auf eine deutliche Rechts- und Verwaltungsvereinfachung erfüllt.

Dies ist umso bedauerlicher, wenn man sich vor Augen hält, mit welchem Aufwand das Änderungsgesetz seitens des Bundes, der Länder, der Leistungsträger (Bundesagentur für Arbeit und Kommunen) sowie zahlreicher Institutionen und Sachverständiger in der „Arbeitsgruppe Rechtsvereinfachung“ vorbereitet wurde. Mehr als drei Jahre Arbeit wurden für die im Gesetz verankerten wenigen bescheidenen Verbesserungen investiert: Verlängerung des Bewilligungszeitraums auf 12 Monate, Bruttowarmmiete als Gesamtangemessenheitsgrenze für Miet- und Heizkosten.

So werden viele Themen, bei denen eigentlich eine Mehrheit unter den Beteiligten bestand, in dem vorliegenden Gesetz völlig unberücksichtigt gelassen. Ich denke hier in erster Linie an das Sanktionsrecht und an einen Umgangsmehrbedarf für Alleinerziehende. Andere Aufgaben wie die Verbesserung der Ausgestaltung der öffentlich geförderten Beschäftigung werden nur durch marginale Anpassungen (Verlängerung AGH von 24 auf 36 Monate) erledigt.

Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt.

Ich bin der Auffassung, dass es sich hier um ein Grundrecht, das Grundrecht auf Existenzsicherung handelt. Grundrechte sind garantierte Rechte. Als solche sollten sie keinen Einschränkungen unterliegen. Das vorliegende Gesetz trägt diesem Umstand nicht ausreichend Rechnung.

Auch die von einigen Ländern geforderte Gleichbehandlung der Altersgruppen im Hinblick auf Leistungseinschränkungen sowie die Forderung nach Abschaffung der Kürzung der Leistungen für Unterkunft und Heizung nimmt das Gesetz nicht auf. Das bedauern wir.

Für viele der im Langzeitleistungsbezug der Grundsicherung für Arbeitsuchende stehenden ist es kein einfacher Weg, unabhängig von dieser staatlichen Transferleistung zu werden.

Die Anforderungen des Arbeitsmarktes an Qualifikation und Leistungsfähigkeit neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die oft von vielen Vermittlungshemmnissen geprägten Persönlichkeiten der Langzeitarbeitslosen, insbesondere derer die sich bereits seit dem Inkrafttreten des SGB II im Leistungsbezug befinden, fallen zu stark auseinander. Auf diese Diskrepanz bietet das hier vorliegende Gesetz keine ausreichende Antwort!

Die im SGB II für die öffentlich geförderte Beschäftigung zur Verfügung stehenden Instrumente reichen meiner Meinung nach nicht aus, um einen wirksamen Beitrag für eine Verringerung dieser Diskrepanz leisten zu können. Hier ist die Bundesregierung aufgerufen, endlich die Forderung nach einem Passiv-Aktiv-Transfer aufzugreifen und Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren.

Die von der Bundesregierung aufgelegten Programme zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit bringen nur für einen zu kleinen Personenkreis ein Stück mehr an sozialer Teilhabe und gesellschaftlicher Integration durch Arbeit. Zudem bin ich für weniger „Programmitis“ und mehr ordentlicher gesetzlicher Verankerung entsprechender Leistungsansprüche.

Unsere Gesellschaft kann es sich nicht leisten, mehrere Millionen Menschen dauerhaft von sozialer Teilhabe und gesellschaftlicher Integration auszuschließen. Die dadurch entstehenden Folgekosten sind wesentlich höher als die kurzfristigen Einsparungen durch den knappen Mitteleinsatz im SGB II Bundeshaushalt.

Das Ziel, Personalressourcen in den Jobcentern für die Betreuung von Langzeitleistungsbeziehern und für die zunehmend zahlenmäßig stärker werdende Gruppe der anerkannten Asylberechtigten durch eine deutliche Rechtsvereinfachung freisetzen zu können, kann das Gesetz ebenfalls nicht erfüllen.

Dies wäre jedoch gerade jetzt besonders wichtig. Die Jobcenter müssen in die Lage versetzt werden, einen bedeutenden Beitrag für eine erfolgreiche Integration von geflüchteten Menschen leisten zu können.

Wir dürfen dies nicht aus dem Auge verlieren und müssen auch von Länderseite den Druck auf die Bundesregierung aufrechterhalten, um wirksame Verbesserungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu erreichen.

Thüringen und Brandenburg haben daher im Ausschuss einen Entschließungsantrag gestellt, der das Bedauern oder eher die Enttäuschung zum Ausdruck bringt, dass nur eine geringe Anzahl von Änderungsvorschlägen der Länder seitens des Bundes berücksichtigt wurde. Dies betrifft insbesondere das Sanktionsrecht und die soziale Situation von Alleinerziehenden.

Aus meiner Sicht kann dieses Gesetz nicht unterstützt werden. Im Ergebnis wird sich Thüringen aufgrund der unterschiedlichen Positionierung der Koalitionspartner zu diesem Gesetz enthalten.

http://www.bundesrat.de/video?id=6971042