Leseprobe

 

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Zu diesem Buch

Gemessen an den anderen Parteien im Deutschen Bundestag ist DIE LINKE eine junge Partei. Mit ihren sieben Jahren steckt sie noch in den Kinderschuhen.

Bezieht man hingegen ihre beiden Quellparteien, die PDS und die WASG sowie deren Traditionslinien in den sozialdemokratischen, linkssozialistischen, kommunistischen, radikaldemokratischen sowie anarcho-syndikalistischen Pfaden der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung ein, reicht die Geschichte der Linkspartei bis in das 19. Jahrhundert, zur bürgerlichen Revolution von 1848.

Obwohl sich die Welt seit dieser Zeit radikal gewandelt hat, unterliegt die Sicht auf die Funktion von Parteien und die an sie gerichteten Erwartungen im Hinblick auf Mobilisierung, innerparteilicher Partizipation sowie gesellschaftlicher Verankerung aber auch die Parteienkritik einer Pfadabhängigkeit, deren Ursprünge sich bis zur Formierung der deutschen Sozialdemokratie 1863 aus dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein zurückverfolgen lassen.

Der Begriff der Pfadabhängigkeit entstammt ursprünglich der Technikwissenschaft und beschreibt das Phänomen des Überdauerns bestimmter Konfigurationen, wie zum Beispiel der Buchstabenanordnung der englischen Schreibmaschine (QWERTY) aus den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts, obwohl gewandelte technische Möglichkeiten ergonomisch günstigere Alternativen ermöglichen würden.

Die Sozialwissenschaft hat das Konzept der Pfadabhängigkeit adaptiert und erweitert, um vergangenheitsbezogene Beobachtungen wie individuelle oder organisatorische Handlungsroutinen, bürokratisches Beharrungsvermögen oder institutionelle Trägheit erläutern zu können. Diese Erscheinungen werden gemeinhin auch oder gerade mit Parteien in Verbindung gebracht.

Vernachlässigt wird dabei, dass das Handeln von Parteien institutionellen Normen, wie z.B. dem Wahlrecht oder verfassungsrechtlich und parteiengesetzlich normierten Standards innerparteilicher Demokratie unterliegt. Zudem werden Erwartungen an ihre gesellschaftliche Verankerung und Deutungskraft gerichtet, die sich zumeist aus einem Parteienbild des 20. Jahrhunderts speist und dem die Parteien aus verschiedenen Gründen heute nur noch unzureichend gerecht werden (können). Selbst die oft zitierte Parteienverdrossenheit erscheint nicht selten in Gestalt enttäuschter Erwartungen an die gesellschaftliche Gestaltungsfähigkeit der Parteien.

Diese Rahmenbedingungen tragen neben der institutionellen Trägheit und dem Beharrungsvermögen aller bürokratischen Apparate, zu denen Parteien zweifellos gehören, zur Pfadabhängigkeit der Parteienentwicklung bei. Alle Studien der vergangenen Jahre betonen deshalb die zentrale Rolle der Parteien für die bundesrepublikanische Demokratie ohne zu versäumen darauf hinzuweisen, dass die Parteien aufgrund abnehmender gesellschaftlicher Verankerung, ausgedrückt in Wahlergebnissen und Mitgliedszahlen, unter Legitimationsdruck geraten sind.

Dies ist freilich nur eine Seite der Medaille. Untersuchungen über die Binnenstruktur der Parteien zeigen jenseits aller Klischees, das Parteien dynamische, diskussionsfreudige und lebendige Zusammenschlüsse von Menschen sind, die sensibel auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren, sich an Innovationen und technischen Neuerungen orientieren und bemüht sind, anschlussfähig zu sein für die Bedürfnisse und Lebenswelten der potentiellen Parteimitglieder – also aller Bürgerinnen und Bürger.

Im Zentrum dieses Buches steht die Partei DIE LINKE – eine junge Partei mit langer Tradition und vielen spannenden Gegensätzen in ihrer organisatorischen Verankerung in den alten und nicht mehr so neuen Bundesländern, in urbanen Zentren und dem ländlichen Raum, in der Altersstruktur und dem politischen Selbstverständnis. Mehrfach totgesagt ist sie immer wieder aufgestanden und mittlerweile ein aus dem Parteienspektrum Deutschlands nicht mehr wegzudenkender Einflussfaktor.

Obwohl in den vergangenen Jahren über DIE LINKE eine beachtliche Zahl an Analysen publiziert wurde, sowohl wissenschaftlich motiviert, als auch journalistischer Deutung entsprungen, bleibt häufig unbefriedigt zurück, wer Antworten auf die Fragen sucht: Was für eine Partei ist DIE LINKE und wo geht sie hin? Wer wählt DIE LINKE und warum? Wie verlaufen die Konfliktlinien in der Linkspartei und was ist die Klammer, die all die unterschiedlichen Akteure zusammenhält?

Das vorliegende Buch widmet sich diesen Fragen in drei Kapiteln, die jeweils für sich oder aufeinander aufbauend gelesen werden können.

Das erste Kapitel widmet sich den Herausforderungen vor denen Parteien stehen, die trotz abnehmender Mitgliedszahlen weiterhin den Anspruch haben, eine Mitgliederpartei sein zu wollen. Dabei werden zunächst die Ursachen schwindender Bindungskraft der Parteien betrachtet und die Schlussfolgerungen aus der Parteienforschung einerseits und der Partei DIE LINKE sowie ihrem Umfeld selbst dargestellt.

Gezeigt wird, dass sich eine Mitgliederpartei weniger durch die Anzahl der in ihr organisierten Personen auszeichnet, als vielmehr durch die Möglichkeiten jedes und jeder Einzelnen, auf den Kurs der Partei auch und gerade in wichtigen Entscheidungsfragen Einfluss zu nehmen. In diesem Zusammenhang sind sowohl die vielfältigen Bestrebungen der Parteien, ihre Organisationsstrukturen, Kommunikations- und Entscheidungsformen zu reformieren von Interesse, als auch der Mitgliederentscheid, den die SPD jüngst durchführte, um über die Beteiligung an der Großen Koalition zu entscheiden. Sie setzte damit einen Maßstab, an dem die Partei DIE LINKE nicht mehr vorbei kommen wird. Ist die Beteiligung an einer Regierung innerhalb der Linkspartei in relevantem Maße umstritten, wird sie sich einer Mitgliederbefragung zu unterziehen haben. Und auch die SPD wird künftig die direkte Mitbestimmung ihrer Mitglieder nicht mehr auf die Akklamation von Kanzlerkandidaten oder zur Bestätigung von bereits vorab durch die Parteigremien entschiedenen Sachverhalten reduzieren können.

Mitgliederpartei zu sein, heißt demnach Partizipation zu leben. Wie diese Partizipation sich konkret ausdrückt, hängt wiederum von den Rahmenbedingungen ab, die sich zwischen dünn besiedelten Raum, Klein- und Mittelstädten oder Metropolregionen wie Berlin, Hamburg bzw. dem Rhein-Main- oder Ruhrgebiet unterscheiden.

In der Diskussion darüber, was DIE LINKE sieben Jahre nach ihrer Gründung von den anderen Parteien unterscheidet, werden viele Vorschläge unterbreitet. Zuletzt veröffentlichten die beiden Vorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping und Bernd Riexinger, im Herbst des vergangenen Jahres ein umfangreiches Strategiepapier. DIE LINKE soll nach Auffassung von Kipping und Riexinger eine „aktive Mitgliederpartei“ sein, die in ihrer Tätigkeit auf das Konzept der Herstellung gesellschaftlicher Hegemonie, das vom italienischen Kommunisten Antonio Gramsci in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde, Bezug nimmt.

Inwieweit diese Bezugnahme hilfreich bei der strategischen Parteientwicklung ist, wird ebenfalls im ersten Kapitel diskutiert. Im Ergebnis wird dies bejaht, doch wird auch die These aufgestellt, dass die von den Vorsitzenden und im Umfeld der Rosa-Luxemburg-Stiftung vorgenommene Gramsci-Rezeption dessen leninistisches Parteienkonzept bewusst ausblendet, um Gramsci als Vorbild für bewegungslinke Parteistrategien nutzen zu können.

Wer über Parteientwicklung spricht, kann über die Parteimitglieder und heutzutage auch die Wählerinnen und Wähler nicht schweigen. Beide Gruppen, Mitglieder und Wähler/-innen sind kein monolithischer Block, sondern entstammen trotz schwächer gewordener Milieuprägungen unterschiedlichen sozialen und politischen Milieus. Im zweiten Kapitel werden deshalb die Milieus, aus denen die Wählerinnen und Wähler der Linkspartei stammen, aufgefächert und erläutert. Diese Darstellung, die den Charakter eines Literaturüberblicks einnimmt, soll dazu dienen, die häufig auf Spekulation und weniger auf analytischer Klarheit beruhende »bunte Mischung« von Milieus, Zielgruppen etc. im Sprachgebrauch der Linken etwas zu konkretisieren. Dieses Kapitel ist insoweit stark anwendungsorientiert und soll denjenigen eine Handreichung bieten, die sich mit der Frage beschäftigen, wie die Milieus, die der Linkspartei nahestehen, erreicht und gewonnen werden können.

Mit dem dritten Kapitel soll die Lücke im Verständnis davon, was die Partei DIE LINKE ist, wie sie interagiert und worin die Ursachen für ihren Erfolg einerseits und die immer wieder eruptiv aufbrechenden innerparteilichen Konflikte andererseits liegen könnten, zumindest in Teilen geschlossen werden. Dieser Abschnitt widmet sich deshalb den Milieus, aus denen die Mitglieder und Aktivist/-innen der Partei DIE LINKE stammen. Im Bewusstsein davon, dass die Flügel und Strömungen zwar nur einen kleinen Teil der Mitgliedschaft umfassen aber zugleich auch die in der Partei bestehenden Positionen quasi idealtypisch abbilden, wird ein Modell vorgeschlagen, mit dem DIE LINKE besser zu verstehen ist, als in der typischen Einordnung: Ost gegen West, Dogmatiker gegen Reformer.

Das vorgeschlagene Modell wendet die vorher gewonnenen Erkenntnisse über politisch prägende Milieus und gesellschaftlichen Wertewandel die Flügel und relevanten handelnden Akteursgruppen der Linkspartei an und verortet sie in einem dreidimensionalen politischen Raum. Dadurch wird es möglich, die innerparteiliche Vielfalt der Linkspartei transparenter zu machen und zu erläutern, worin manche innerparteilichen Konflikte so harsch geführt werden. Gleichzeitig könnte das Modell auch dazu genutzt werden, sich über die Hintergründe der Differenzen im Politikkonzept und dem Politikstil innerhalb der Linkspartei bewusster zu werden und zu erkennen, dass diese Differenzen häufig weniger stark inhaltlich begründet sind als gemeinhin unterstellt.

Das Buch richtet sich an diejenigen, die als Mitglieder oder Funktionsträger der Linkspartei mit Parteientwicklung und Parteireformen befassen sind und sich im Dickicht der von der Parteienforschung angebotenen Modelle und Theorien zu recht finden möchten. Es soll zugleich denjenigen nützlich sein, die sich näher mit der Partei DIE LINKE auseinandersetzen möchten. Wenn es dazu beitragen würde, z.B. innerhalb von SPD und Grünen zum besseren Verständnis dieser noch jungen Parteiformation beizutragen, wäre ein Ziel bereits erreicht.

Vor allem ist dieses Buch ein Diskussionsangebot an all diejenigen, die jenseits parteipolitischer und ideologischer Scheuklappen über die Perspektiven linker Politik, über den Tellerrand der Partei DIE LINKE hinaus, diskutieren wollen.

Auch wenn der Autor für die hier vertretenen Positionen die alleinige Verantwortung übernimmt, sind die Anregungen und Hinweise einer Vielzahl kluger Menschen darin eingegangen. Stellvertretender Dank an Horst Kahrs, Claudia Gohde, Heinrich Eckhoff, Udo Wolf und Cornelia Hildebrandt. Christoph Lieber gilt mein besonderer Dank für eine wunderbar verständige Lektoratsarbeit. Dem VSA-Verlag insgesamt vielen Dank für das Interesse und die Bereitschaft, das kleine Büchlein so zügig in das Verlagsprogramm aufzunehmen und zu publizieren.