12.05.2014

Große Aufgabe, schmales Zeitfenster

Beitrag in der Tageszeitung "Neues Deutschland"

Am kommenden Wochenende wählt die LINKE auf einem Parteitag ihre Bundesspitze für die kommenden zwei Jahre. Die Unterschiede zur Situation im Sommer 2012 sind evident. Auf dem Parteitag in Göttingen stand der Zusammenschluss aus PDS und WASG vor einer Zerreißprobe, heute gilt das Projekt als konsolidiert, wenn auch auf niedrigerem Niveau.

Mit den beiden Parteivorsitzenden, Katja Kipping und Bernd Riexinger, sowie dem Bundesgeschäftsführer und erfolgreichen Wahlkampfmanager, Matthias Höhn, tritt eine Parteispitze zur Wiederwahl an, der gelang, was vor zwei Jahren nicht viele für möglich hielten: die Partei aus der Göttingen-Krise zu führen, zu stabilisieren und gemeinsam mit Gregor Gysi als drittstärkste Kraft im Bundestag zu verankern.

Von den Höhenflügen des Jahres 2009, als die LINKE bei der Bundestagswahl 11,9 Prozent erhielt und von Infratest dimap im Jahresschnitt mit 10,5 Prozent gemessen wurde, ist man weiterhin entfernt: der bisherige Jahresschnitt 2014 liegt bei 8,2 Prozent. Dies entspricht ungefähr dem Ergebnis der Bundestagswahl 2013. Stellt man hingegen in Rechnung, dass die Partei vom gleichen Institut zum Zeitpunkt des Göttinger Parteitags mit fünf Prozent bewertet wurde und über das gesamte Jahr 2012 einen Wert von 6,3 Prozent erreichte, ist die Verbesserung deutlich.

Aus der Göttingen-Krise heraus

Nachdem auch die niedersächsische Linkspartei ihr Wahlziel mit 3,1 Prozent deutlich verfehlte, stand der Verlust aller linken Landtagsfraktionen in den westdeutschen Flächenländern im Raum. In Hessen jedoch gelang, wenn auch nach einer Zitterpartie, zum dritten Mal in Folge der Einzug in das Landesparlament. In den anschließenden Sondierungsgesprächen bewies sich der dortige Landesverband als rationaler und berechenbarer Akteur. Rot-Rot-Grün in Hessen scheiterte nicht an der Linkspartei, sondern am Wunsch der dortigen Grünen, gerade in diesem Flächenland schwarz-grün erproben zu wollen.

Dass die Linkspartei im kommenden Jahr ihre parlamentarischen Repräsentanzen in Hamburg und Bremen erneut verteidigen und möglicherweise ausbauen wird, kann vor diesem Hintergrund als einigermaßen sicher gelten. In Brandenburg möchte die LINKE im Herbst die erfolgreiche Regierungsbeteiligung mit der SPD fortsetzen. Anders als in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin könnte ihr dieses Ziel sogar ohne spürbare Stimmenverluste nach den ersten fünf Jahren in der Regierung gelingen. Während in Sachsen die Bildung einer erfolgreichen Regierungsalternative zur CDU insbesondere daran zu scheitern droht, dass SPD und Grüne auf eine Rolle als Mehrheitsbeschaffer der Union spekulieren, könnte Bodo Ramelow in Thüringen der erste linke Ministerpräsident in Deutschland werden, in einem Bündnis mit der SPD und gegebenenfalls mit den Grünen.

Nicht zuletzt konnte der Mitgliederschwund der Partei zumindest vorläufig gestoppt werden. Im vergangenen Jahr stabilisierte sich die Mitgliedszahl trotz eines weiterhin bestehenden Sterbeüberhangs. Zusammengefasst kann der sich zur Wiederwahl stellenden Parteispitze eine solide Arbeit bescheinigt werden. Insbesondere dann, wenn die Performance anderer Parteien im gleichen Zeitraum betrachtet wird:

Die Piratenpartei hatte zum Zeitpunkt des Göttinger Parteitags im Juni 2012 ihren Höhepunkt in den Umfragewerten gerade überschritten. Zwischen April und Juni 2012 wurde sie von Infratest dimap mit einem Durchschnittswert von 10,5 Prozent gemessen. Nach Berlin und dem Saarland gelang der Einzug in die Landtage von Schleswig-Holstein und NRW. Bei der Bundestagswahl scheiterte die Partei hingegen deutlich mit 2,2 Prozent. Sie ist zerstritten, richtungs- und führungslos. Der Wegfall jeglicher Sperrklausel bei der Europawahl könnte ihr zwar zu einem Mandat im Europaparlament verhelfen, doch nicht zu einer Wiederbelebung der mit ihr verbundenen Hoffnung auf eine dauerhafte Einflussnahme im bundesdeutschen Parteiensystem.

Die Grünen hatten ihr Allzeithoch in den Umfragen bereits ein Jahr früher als die Piraten. Zwischen März und September 2011 erreichte die Ökopartei bei Infratest dimap durchschnittlich 22,4 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2012 liefen sie als kleinste Bundestagspartei und mit minus 14 Prozent gegenüber dem Umfragehoch aus 2011 ins Ziel. Wohin die Reise der Partei inhaltlich und strategisch gehen wird, ist ersichtlich noch nicht ausgemacht.

Unerwartet leiser Abschied von Lafontaine

Der in Erinnerung bleibende Moment des Göttinger Parteitags war das Rededuell der zwei öffentlichkeitswirksamsten Köpfe der Linkspartei, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Letzterer hielt eine Wutrede in Reaktion auf Gysi, der in seiner Rede Hass in der linken Bundestagsfraktion und der Linkspartei diagnostizierte, die letztlich zu einer Spaltung führen könnte.

Wer nach Göttingen davon ausging, dass die unbestreitbaren Erfolge Lafontaines der Maßstab sein würde, an dem sich die Parteispitze messen lassen müsse, wurde eines anderen belehrt. Unerwartet leise und souverän ist die Parteiführung aus dem Schatten von Lafontaine getreten – spätestens bei der Verabschiedung des Bundestagswahlprogramms. Im Vorfeld des Dresdner Parteitages im Sommer 2013 und in Reaktion auf den Medien- und Umfragehype um die im Mai des Jahres gegründete euroskeptische Alternative für Deutschland (AfD) hatte Lafontaine eher beiläufig in einem Interview den Vorschlag unterbreitet, auch die Linkspartei solle sich für den Euro-Austritt einsetzen. Diese Debatte bestimmte den Wahlprogrammparteitag, denn auf solchen Konventen sind kontroverse Inhaltsfragen stets und insbesondere Machtfragen. In der Süddeutschen Zeitung wurde diagnostiziert, dass es Lafontaine nicht mehr gelänge, »mit einer hingehusteten Provokation in seiner Partei eine Epidemie auszulösen«. Dies ist jedoch nur eine Seite.

Das Führungstrio Riexinger, Kipping und Höhn hat im gemeinsamen Einstehen gegen einen Schwenk zu den Eurogegnern von AfD und NPD auch eine Entscheidung dafür getroffen, mit wem und für wen die Linkspartei Politik machen möchte. Oskar Lafontaine ist verschiedentlich eine Neigung zum Rechtspopulismus unterstellt worden. Seine in Chemnitz im Bundestagswahlkampf 2005 getätigte Aussage »dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen«, galt dafür als hervorstechendster Beleg.

Wer behauptet, Lafontaine habe eine inhaltliche Nähe zum rechten Populismus, liegt dabei jedoch vollkommen falsch. Richtig ist vielmehr, dass Lafontaine stärker als andere Akteure, auch in der Linkspartei, die gesellschaftspolitischen Lager und ihre Ordnungsmodelle verstanden hatte und aus dieser Kenntnis politische Botschaften konzipierte. Die Hannoveraner Soziologen Michael Vester und Heiko Geiling differenzierten bereits vor einigen Jahren drei soziale Ordnungsmodelle in den gesellschaftspolitischen Lagern und ordneten dem enttäuscht-autoritären Lager ein protektionistisches Ordnungsmodell zu, das populistisch Schutz vor (ausländischer) Konkurrenz verspricht. Der gesellschaftliche Anteil dieses Lagers wurde mit über 25 Prozent bemessen.

Der Linken-Spitze ist die Schwierigkeit bewusst, dass sich das Potenzial der Linkspartei »zu fast gleichen Teilen auf in die Bereiche Prekariat, Beschäftigte und Bildungselite« aufteilt. Daraus den Kern eines progressiven Lagers zu bilden, soll wie Katja Kipping jüngst im »Spiegel« ausführte, mittels einer Doppelstrategie erfolgen: »Einerseits ein alternativ, links-ökologisch orientiertes Milieu anzusprechen, zum anderen auch eine zu gespitzte Ansprache, die mobilisierend wirkt in Schichten, die sich von Politik eigentlich nur noch abwenden.« Der Bezugspunkt dieser sollen solidarische Ordnungsmodelle statt Protektionismus sowie Anleihen bei den Themen rechter Populisten sein.

Ob ein revitalisiertes Mitte-Unten-Bündnis, das die Partei bereits vor einigen Jahren propagierte, der angemessene Verstärker des »neuen Sounds« der Linken ist, den die Linkspartei laut Katja Kipping anstimmen möchte, kann durchaus skeptisch gesehen werden. Jeder neue linke Sound benötigt einen politisch angemessenen Klangkörper. Doch über dessen inhaltliche und strategische Schwachstellen wird seit geraumer Zeit debattiert. Drei Aspekte sind dabei von besonderem Interesse: (1) Unter welchen Bedingungen macht die Linkspartei für wen Politik, (2) mit wem und (3) welche Aufgaben hat sie zu erfüllen?

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