22.11.2013
Tom Strohschneider in: Neues Deutschland, 21.11.2013

Die Flügel schlagen wieder

Die Debatte über rot-rot-grüne Möglichkeiten macht sich auch auf den Flügeln der Linkspartei bemerkbar: hier in scharfer Abgrenzung zu SPD und Grünen, dort im Bemühen, neue linke Wege zu gehen.

Ende nächster Woche kommt das Forum demokratischer Sozialismus (fds) zu seinem Bundestreffen zusammen; die Antikapitalistische Linke (AKL) hat ihres schon hinter sich. Hier wurden Papiere verabschiedet, dort sollen neue Sprecher gewählt werden. Die Flügel der Linkspartei sind wieder in Bewegung – einer der Drehpunkte ist erneut die »Regierungsfrage«.

Als »Irrealos« werden sich nicht nur die schon länger in rot-rot-grünen Gesprächsrunden aktiven Linkspolitiker angesprochen fühlen, sondern generell die Spitzen der Partei, die nach der Bundestagswahl mehrheitlich den Beschluss fassten, SPD und Grünen Gespräche anzubieten. Auch danach hat es immer wieder Aufforderungen vor allem in Richtung SPD gegeben, vorübergehend bestehende Mehrheitsoptionen wahrzunehmen oder zu Gesprächen zusammenzukommen.

Benjamin-Immanuel Hoff, seit 2010 Sprecher des linksreformerischen fds, hat unlängst angemahnt, nicht nur zur Ermöglichung von Bündnissen mit SPD und Grünen »beizutragen, wo immer es geht« – sondern auch eine linke »Ambivalenz« zu überwinden: auf der einen Seite gern und oft Kritik an rot-rot-grünen Kooperationen zu äußern, andererseits aber bei Ablehnung durch SPD und Grünen »mit der Attitüde des enttäuschten und beleidigten Liebhabers« zu reagieren.

Mit ihrem Beschluss, künftig ein Bündnis auf Bundesebene nicht mehr auszuschließen, hat die SPD den rot-rot-grünen Ball wieder ein paar Meter in Richtung Spielhälfte der Linkspartei befördert. Eine Kooperation solle »nicht als politisches Projekt überhöht werden«, warnt Hoff, und verweist auch auf die eigenen Schwächen. Bei den Linksreformern seien »Binnenkonflikte kultiviert« worden, Debatten würden nicht geführt. Dies gelte nicht zuletzt für das Feld der Außen- und Sicherheitspolitik. Während in der LINKEN gern die Formel »Realo gleich Aufweichung der Friedensposition« strapaziert wird, verweist Hoff darauf, dass im linksreformerischen Spektrum der Partei ein gemeinsamer Begriff einer linken Außen- und Sicherheitspolitik noch gar nicht abschließend diskutiert sei.

Hoff hat nun erklärt, »für die notwendige Arbeit« und »das Zuschütten von Gräben im linksreformerischen Spektrum« brauche es »andere Akteure«. Auf dem Bundestreffen in Berlin werden neue Sprecher gewählt: neben Luise Neuhaus-Wartenberg aus Leipzig und Julia Alexandra Nüß aus Kiel kandidiert auch Stefan Liebich.

Der Bundestagsabgeordnete, der innerhalb der Linkspartei immer mal wieder als eine Art prototypischer Realo kritisiert wurde, hat zuletzt versucht, Akzente in der außenpolitischen Debatte zu setzen. Auf diesem Feld liegen die größten Hindernisse für eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen. Liebich weiß aber, dass die Herausforderungen für das fds auch woanders liegen. Das Forum wird bisweilen als Traditionskompanie der alten PDS gesehen, als Karrierenetzwerk und als »Hort der Bartschisten« – was die inhaltliche Durchschlagskraft nicht gerade stärkt.

»Bekenntnisse zu Dietmar Bartsch sind nicht das Anliegen des fds, auch da er nicht fds-Mitglied ist«, sagt Liebich gegenüber »nd«. »Wir unterstützen ihn, wenn er eine Politik macht, die wir teilen, kritisieren ihn aber natürlich, wenn das nötig ist, wie andere Spitzenpolitiker unserer Partei auch.« Er wehrt sich auch gegen das Bild, das Forum sei »verlängerter Arm einer Kneipenrunde« und sagt: »Wir wollten von der PDS ja nicht die Fahnen und Lieder in die neue Partei mitnehmen, sondern deren programmatischen und strategischen Kompass.«

Dass die Linksreformer »am glaubwürdigsten für eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit werben« können, ist für Liebich dabei nur die eine Seite der Medaille. »Auf der anderen Seite werden wir auch die schärfsten Kritiker unserer Regierungsbeteiligungen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin sein, weil unsere Mitstreiter dort an vorderster Front standen und stehen und wir daher wissen, was da lief«, sagt der Bundestagsabgeordnete. »Unser Ziel ist aber nicht, es zu denunzieren, sondern es künftig besser zu machen.«

Im kommenden Jahr finden im Osten mehrere Landtagswahlen mit der Option auf rot-rot-grüne Mehrheiten statt. Wie die Linkspartei bei diesen Herausforderung abschneidet, wird auch von der Debattenkultur abhängen, zu der sie bereit ist – oder nicht.

Und auch da deutet sich nun Bewegung auf den Flügeln an. Man wolle, sagt Liebich, den »Blick auf innerparteiliche Strömungen und deren Verhältnis untereinander verändern«, und damit auch jenen entgegentreten, »die in den Strömungen das Kernproblem in unserer Partei sehen«.


Eine Übersicht über die Debatte in der Linkspartei nach der Bundestagswahl gibt es unter dasND.de/linkedebatte