26.10.2013
Benjamin-Immanuel Hoff

Hessen ist das derzeit spannendste rot-grün-rote Labor

Rund einen Monat nach der Landtagswahl trafen sich SPD, Grüne und Linke in Hessen zu ihrer zweiten Sondierungsrunde. Sechs Stunden tauschten sich die Vertreter/-innen der drei Parteien aus und entschieden sich, kommenden Freitag eine weitere Sondierungsrunde durchzuführen, bei der die Landesfinanzen im Mittelpunkt stehen werden.

Nirgendwo wurde Rot-Grün-Rot bislang so ernsthaft sondiert

Selbstverständlich ist es gut möglich, dass am Ende alle drei Parteien oder einzelne Akteure das Ende der Gespräche bekannt geben. Alle hätten dafür Gründe: Für die Grünen gäbe es sicher Argumente, nach der Absage an ein schwarz-grünes Bündnis im Bund nun in Hessen diese Option erneut zu probieren. Sie würden damit die Lösung von der rot-grünen Fokussierung demonstrieren. Einige sähen das auch als Möglichkeit, die verfahrene politische Kommunikation in Hessen konstruktiver zu gestalten. Die SPD hat vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Jahre 2008 weiterhin das Risiko eines ungeklärten Verhältnisses zu einer rot-grün-roten Option. Die Überlegung, einen Mitgliederentscheid zu den Koalitionsoptionen durchzuführen, ist deshalb nicht der schlechteste Weg einer Rationalisierung der SPD-internen Entscheidungsfindung. Auch die LINKE in Hessen könnte nach Abwägung der Verhandlungsergebnisse zu der Entscheidung kommen, dass die Gemeinsamkeiten die Unterschiede nicht überwiegen, um für eine Wahlperiode stabil zusammen zu regieren. Weitere Beweggründe für oder gegen rot-grün-rot ließen sich aus Sicht jeder der drei Partner finden.

Gleichwohl und das ist von Relevanz: In keinem Bundesland haben die drei Parteien bislang so ernsthaft, unaufgeregt und insgesamt offen über ein rot-grün-rotes Bündnis verhandelt. Das allein ist bereits ein Fortschritt im Diskurs zwischen den drei Parteien. Die Akteure der drei Parteien in Thüringen und Sachsen, in denen 2014 gewählt wird, aber auch andere Bundesländer können und sollten genau beobachten, wie in Hessen verhandelt, die Beziehungen zwischen den drei Parteien entideologisiert und Vertrauen - bei allen Auf und Ab, die zu einem solchen Prozess dazu gehören - hergestellt wird.

Sigmar Gabriel bekommt an der hessischen LINKEN dargelegt, dass seine Differenzierung - linksradikale Sektierer im Westen, dufte Realos im Osten - ein Irrtum ist. Entscheidend in diesem Prozess ist, dass die Spitzenleute - trotz aller Unterschiede im Stil, in Details und einzelnen Grundsatzfragen - miteinander sprechen und Ergebnisse erzielen können.

Tragfähige Plattform finden

Einzelne mögen argumentieren, dass die drei Parteien es sich einfach machen würden, indem sie die Themen, an denen man sich einig sei, zuerst behandelt hätte. An den schwierigen Themen würde sich die Spreu vom Weizen trennen. Das Argument überzeugt nicht.

In NRW konnten wir 2010 beobachten, dass die Sondierungsgespräche nicht darauf angelegt waren, Vertrauen zu erzeugen. Das stellte sich - wenn überhaupt - in Ansätzen erst im Jahr der quasi Tolerierung ein. Auch in Thüringen scheiterte Rot-Grün-Rot nicht an mangelnden Gemeinsamkeiten, sondern fehlendem Vertrauen.

Selbstverständlich ist es sinnvoll, zuerst Gemeinsamkeiten zu erzeugen, kleinere Schwierigkeiten erfolgreich zu überwinden, festzustellen, dass alle Beteiligten Kompromisse eingehen müssen. Nur so wird eine Grundlage dafür geschaffen, bei den wirklich schwierigen Themen, den tatsächlichen Differenzen möglicherweise Lösungen zu erarbeiten, die so stabil sind, dass alle drei Beteiligten gesichtswahrend sich auf dieser Plattform bewegen können.

Im Kern dürfte es bei dem Gespräch in der kommenden Woche darum gehen, herauszufinden, ob und wie unter den Bedingungen der Schuldenbremse gemeinsame Gestaltungspolitik möglich ist. Klar, die LINKE hat die Schuldenbremse in der hessischen Verfassung abgelehnt. Aus guten Gründen und mit Unterstützung eines großen Teils auch der sozialdemokratischen Basis, wie die gewerkschaftlich unterstützte Kampagne gegen die Schuldenbremse zeigte.

Bund-Länder-Finanzbeziehungen

Nun geht es freilich nicht mehr um das Ob der Schuldenbremse, sondern das Wie einer möglichen gemeinsamen rot-grün-roten Regierung. Insofern ist es richtig, dass Thorsten Schäfer-Gümbel, der in Berlin über schwarz-rot mitverhandelt, die Ergebnisse der dortigen Verhandlungen für Hessen abwarten möchte.

Mit der Großen Koalition im Bund verändern sich nicht nur die Rahmenbedingungen im Bundesrat. In der zweiten Kammer stand in den vergangenen anderthalb Jahren eine schwarz-gelbe Regierung im Bund einem Mehrheitsblock aus rot-grün-roten Ländern gegenüber. Diese 36 Stimmen reduzieren sich auf 33, da das SPD-regierte Hamburg eher zu dem Block aus 18 Stimmen Großer Koalitionen zuzüglich 6 CSU-Stimmen zu rechnen sein wird. Die Bundesregierung kann sich also - egal wie Hessen sich entscheidet - auf mindestens 27 Stimmen zählen.

Die Ministerpräsidenten und Länder-Vertreter in den Verhandlungsgruppen von Union und SPD wollen die Koalitionsverhandlungen dazu nutzen, finanzielle Verbesserungen für die Länder zu erreichen und Pflöcke für die anstehende Neuverhandlung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen einzuschlagen. Davon kann Hessen im Zweifel nur profitieren.

Die drei Parteien werden am kommenden Freitag deshalb vermutlich gar nicht zu einem abschließenden Ergebnis in der Finanzplanung kommen können, sondern müssen vielmehr eine gemeinsame Kommunikation darüber finden, wie bei allen Unwägbarkeiten des Erbes der Regierungen Koch/Bouffier einerseits und der anstehenden Neujustierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, eine stabile Haushalts- und Finanzpolitik möglich ist. Dass eine Vermögensteuer u.a. Maßnahmen zur Einnahmeverbesserung im Haushalt mit schwarz-rot in Berlin für mindestens vier Jahre keine Aussicht auf Erfolg haben, gehört zu den Ausgangsbedingungen aller drei Verhandlungspartner.

Unter Koch/Bouffier hatte Hessen gemeinsam mit Bayern durch eine erneute Klage beim Bundesverfassungsgericht versucht, den Länderfinanzausgleich auszuhebeln. Eine progressive Landesregierung sollte die Klage nicht weiter verfolgen, aber sich dafür einsetzen, dass eine erneute Föderalismusreformkommission nach dem Beispiel der gemeinsamen Kommission von Bundesrat und Bundestag zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung eingesetzt wird. Dies würde dazu führen, dass Bund und Länder aber auch die Landtage beteiligt werden. Sie sind nicht nur die Haushaltsgesetzgeber auf Landesebene, sondern die Opposition, die im Bund nur noch 17% ausmacht, würde besser beteiligt werden können. Die Klage könnte im Zweifel aufrecht erhalten bleiben, aber das BVerfG seine Entscheidung zurückstellen bis zum Ende der Kommissionstätigkeit.

Innerparteiliche Lernerfahrung

Auf dem Programmparteitag in Erfurt hatte die LINKE mehr über Haltelinien bei Regierungsbeteiligungen gesprochen, als darüber, wie man überhaupt dazu kommt, politische Verabredungen mit SPD und Grünen treffen zu können.

Die Grünen haben als erste auf die Veränderungen in der politischen Architektur reagiert. Rational und ohne überschäumende Emotion stellten sie fest, dass rot-grün zwar schön aber eben nicht mehr zwangsläufig mehrheitsfähig ist und deshalb eine Regierungsbeteiligung nur über den Weg von schwarz-grün oder rot-grün-rot möglich ist. Diese Erkenntnis wird sich früher oder später auch in der SPD durchsetzen, will sie wahlpolitisch wieder erfolgreich sein.

Der LINKE-Diskurs wird sich vor diesem Hintergrund verändern, denn nicht Haltelinien sind die Antwort auf die neuen Herausforderungen, sondern sowohl tragfähige Konzepte als auch die Fähigkeit, in einer möglichen Regierungssituation stabil, transparent, diskursiv und dadurch erfolgreich zu agieren.

Hessen ist insoweit das derzeit spannendste politische Labor im Land.

Zum Autor:

Benjamin-Immanuel Hoff ist Sozialwissenschaftler, Staatssekretär a.D. und CEO des Beratungsunternehmens MehrWertConsult.

Bis Ende 2013 ist er noch Sprecher des linksreformerischen "forum demokratischer sozialismus" (fds) in der Partei DIE LINKE.