10.05.2010

Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2010

Wahlbericht und erste Analyse von Dr. Benjamin-Immanuel Hoff und Horst Kahrs

Die schwarzgelbe Regierung in Nordrhein-Westfalen wurde nach nur einer Legislaturperiode wieder abgewählt. Der Düsseldorfer Landtag ist zu einem Fünf-Parteien-Parlament geworden. Über die Zusammensetzung haben 59,3 % der Wahlberechtigten entschieden, weniger als bei der voraufgegangenen Landtagswahl, die zum Wechsel von Rot-Grün zu SchwarzGelb führte, aber mehr als bei der Landtagswahl 2000.

Auch wenn die prozentualen Zahlen etwas anderes zu sagen scheinen, so ist das Ergebnis nicht einer besonderen Mobilisierung der Oppositionsparteien und einer sich darin ausdrückenden Wechselstimmung zu verdanken, sondern vor allem der Demobilisierung der CDU-Wählerschaft.

Die CDU erzielt ihr schlechtestes Wahlergebnis in NRW seit der Gründung des Bundeslandes. Ministerpräsident Rüttgers hat ein Wahldebakel zu verantworten. Er hat eine noch am Ende des Winters sicher geglaubte Wahl verloren. Die CDU hat gegenüber der letzten Landtagswahl rund 1 Million Stimmen verloren. Sie verliert ein Viertel ihrer Landtagsmandate.

Die FDP verbessert ihr absolutes prozentuales Ergebnis leicht gegenüber der Landtagswahl 2005, bleibt aber deutlich hinter ihrem Bundestagswahlergebnis 2009 von 14,9%. Auch bei den absoluten Stimmen liegt deutlich unter ihrem Europawahl-Ergebnis.

Die Wahlgewinner sind Grüne und LINKE.

Die Grünen erreichen ihr bestes Wahlergebnis in NRW und verbessern sich gegenüber ihrem Bundestagswahlergebnis 2009 (10,1%). In einigen Städten erreichen sie sogar die 20%-Marke (z.B. Köln). Offensichtlich hat es den Grünen alles andere als geschadet, ihre inhaltlichen Anliegen in den Mittelpunkt zu stellen und sich einerseits auf die SPD als Koalitionspartner erster Wahl festzulegen, aber gleichzeitig die Tür zur CDU nicht vollends zuzuschlagen.

DIE LINKE zieht erstmals in den Düsseldorfer Landtag ein. Sie bleibt deutlich unter ihrem Wahlergebnis von 8,4% bei der Bundestagswahl. DIE LINKE ist jetzt in 13 Landesparlamenten vertreten, ebenso wie die Grünen. Mit dem Einzug in den Düsseldorfer Landtag schließt sich der Kreis der Herausbildung der neuen Partei: Die Landtagswahlen 2005, bei der die PDS 0,9% und die WASG 2,2% der Stimmen erzielten, bildeten den Auftakt für die vorgezogenen Bundestagswahlen und die Gründung der neuen Linkspartei. Die Parteigründung wurde nun auch im bevölkerungsreichsten Land mit dem Einzug in das Parlament honoriert. Den Grünen gelang dies 1990 nur sehr knapp und erst im dritten Anlauf. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass der Einzug gegen die Wahlpropaganda aller anderen Parteien und eines großen Teils der medialen Öffentlichkeit erreicht wurde. Denn je offener der Wahlausgang wurde, desto klarer wurde, dass ein Einzug der Linken sowohl eine schwarz-gelbe als auch eine rot-grüne Koalition sehr unwahrscheinlich machen würde. Wer LINKE wählte, hatte sich in der Wahlpropaganda der anderen Parteien, also gegen eines der beiden Lager, für eine selbständige politische Kraft zu entscheiden.

Die SPD geht bei dieser Wahl als gefühlte Siegerin, tatsächlich jedoch als Scheinriese durchs Ziel. Sie liegt gleichauf mit der CDU, was nach dem Bundestagswahlergebnis von 28,5% nicht unbedingt zu erwarten war. Sie verliert andererseits gegenüber der letzten Landtagwahl nochmals an Stimmen und Prozenten und erreicht erneut das schlechteste Ergebnis seit 1957.

Die SPD verliert gegenüber der letzten Landtagswahl 380.000 Stimmen und unterbietet das Bundestagswahlergebnis 2005 nochmals um knapp 3.000 Stimmen. Von einer Annäherng an alte Stärke kann mitnichten die Rede sein.

Für die neue SPD-Führung ist dieses Ergebnis trotz der Negativrekorde dennoch eine Bestätigung. Das Tief der Bundestagswahl scheint vorerst überwunden zu sein. Vor allem aber kann die Partei einen Wahlerfolg feiern und steht weder am Wahlabend noch am Tag danach als Verliererin da. Das kann zu einer deutlichen Verbesserung der innerparteilichen Stimmungslage beitragen.

Auf der Basis des vorläufigen amtlichen Endergebnisses sitzen 181 Abgeordnete im Landtag, eine NRW-Regierungsmehrheit braucht demnach mindestens 91 Mandate. Die alte schwarzgelbe Koalition verfügt nur noch über 80 Mandate, eine rot-grüne Koalition erreicht 90 Sitze.

Sieht man von der rechnerisch möglichen „Spanien“-Variante ab, sind drei Koalitionsbildungen möglich:

- eine Koalition aus CDU und SPD käme auf 134 Mandate;

- eine Koalition aus CDU, Grünen und FDP käme auf 103 Mandate;

- eine Koalition aus SPD, Grünen und LINKE käme auf 101 Mandate.

Die rot-rot-grüne Variante ist in den Umfragen bei der Wahlbevölkerung die unbeliebteste Variante, somit diejenige, die die inneren Kräfte der möglichen Partner am stärksten strapaziert, gleichzeitig die einzige Variante, die die SPD in erkennbarer Opposition zur schwarz-gelben Bundesregierung bringen würde. Ein Dreierbündnis mit der FDP hatten die Grünen vor der Wahl ausgeschlossen.

Die SPD steht in der Koalitionsbildung daher an einem Kreuzweg: zurück in die „große“ Koalition und Sprung in das offene Meer einer alternativen Konstellationsbildung mit Aussicht auf ein gesellschaftliches Reformbündnis.

Für die Bundesregierung ist dieser Wahlausgang mehr als ein Denkzettel. Sie verliert ihre Mehrheit im Bundesrat. Mehr noch: Das Wahlergebnis in NRW zeigt, wie flüchtig der Wahlsieg von Rüttgers 2005 war, zeigt, dass hinter schwarz-gelb in Düsseldorf keine stabile, strukturelle Mehrheit stand. Das gleiche gilt auch für die Bundesregierung und wird durch den Wahlausgang ins Bewusstsein der Akteure gerückt.

Die Ursachenforschung reicht weit in die Kreise der medialen und intellektuellen Öffentlichkeit hinein, die der schwarzgelben Regierung im Grunde wohlgesonnen, aber über das Erscheinungsbild und das angeblich zögerliche Agieren verärgert sind.

Einerseits gilt die FDP als Schuldige, weil sie zu offensichtlich Klientel-Interessen vertreten und sich der haushaltspolitischen Realität verweigert habe. Andererseits wird innerhalb der Union das zögerliche, unentschlossene Agieren der Kanzlerin für das schlechte Erscheinungsbild der Koalition verantwortlich gemacht. Wahlweise, weil sie die FDP nicht rechtzeitig domestiziert habe oder weil sie vor den angeblich unvermeidlich anstehenden Konsolidierungsmaßnahmen bisher zurückgeschreckt sei. Man wisse nicht, wohin sie das Land steuern wolle. An diesem Punkt treffen sich innerparteiliche Kritiker, noch – bis auf Bundestagspräsident Lammert – Vertreter der zweiten und dritten Reihe und Verbandsvertreter der Unternehmen.

Eins ist sicher: Die Debatten innerhalb der Regierungskoalition werden nach diesem Wahlabend deutlich zunehmen, auch wenn sie zunächst von der aktuellen Euro-Krise überlagert werden. Denn nach dem Verlust der Bundesratsmehrheit sind weitere Kompromisse im Bundesrat erforderlich. Das Wahldebakel wird nicht allein Rüttgers zugerechnet werden, sondern auch Merkel.

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