08.06.2009

Wahl zum Europäischen Parlament 2009

Wahlnachtbericht und Analyse von Dr. Benjamin-Immanuel Hoff und Horst Kahrs


Rufen Sie die untenstehende Datei auf und lesen Sie die Analyse mit Grafiken und Tabellen.

Zusammenfassung

Europäische Ergebnisse

Die EU wird konservativer und europaskeptischer: Die Rechte hat die Parlamentswahlen in den 27 Staaten deutlich gewonnen. Die Sozialdemokraten büßen mehr als 50 Sitze ein, besonders drastisch die britische Labour-Partei - die hinter die rechtspopulistische UKIP zurückfiel und vor einem Scherbenhaufen steht.

Die konservative EVP-ED-Fraktion wird – vorbehaltlich von Zuordnungen der Abgeordneten vor der ersten Parlamentssitzung am 14. Juli 2009 auf 267 von insgesamt 736 Abgeordneten geschätzt. Daneben ziehen viele Vertreter EU-kritischer Parteien in andere Fraktionen ein. Größter Verlierer sind die Sozialdemokratischen Parteien Europas (SPE) - sie stellen 159 Abgeordnete, 56 weniger als bisher.

Dazu kommen 88 Abgeordnete aus Parteien, die bisher keiner Fraktion angehören - oder nicht mehr, wie die konservativen Tories aus Großbritannien oder die gleichgesinnte ODS aus Tschechien. Beide Parteien haben in ihren Ländern gesiegt und angekündigt, aus der EVP-ED-Fraktion auszutreten, um mit der polnischen PiS eine eigene, europakritischere Fraktion zu gründen. Würde man ihr Ergebnis in das der EVP-ED einrechnen, wäre der Rechtsruck in Europa noch offensichtlicher.

Leicht verloren auch die Liberalen - ihre ALDE-Fraktion haben dem Europaparlament zufolge künftig 81 Sitze, 21 weniger als bisher. Zulegen konnten die europäischen Grünen um elf auf 54 Abgeordnete.

Die rechtsgerichtete Fraktion Union Europa der Nationalen (UEN) kommt auf 35 Abgeordnete, 19 weniger als bisher. Hier sind wie in der Fraktion Unabhängigkeit und Demokratie (IND/DEM) keine deutschen Abgeordneten vertreten. IND/DEM hat dem ersten Ergebnis zufolge künftig 18 statt bisher 24 Parlamentarier.[1]

Die Wahlbeteiligung rutschte laut einer Hochrechnung des Meinungsforschungsinstituts TNS Opinion EU-weit auf 43,01% gegenüber 45,47% im Jahr 2004. Insgesamt waren 375 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, die 736 Abgeordneten des Europaparlaments zu wählen.

Rechtsruck in Europa

In Ungarn gab es einen massiven Rechtsruck: Die oppositionelle national-konservative Fidesz gewann mit 56,4 % mehr als dreimal so viele Mandate wie die regierenden Sozialisten. In Slowenien gewann die oppositionelle SDS.

Der Anti-EU-Trend zeigte sich vor allem in Österreich, wo die Liste des euroskeptischen Abgeordneten Hans-Peter Martin 17,7 % erreichte und dritte Kraft wurde.

In den Niederlanden kann die rechtspopulistische PVV von Geert Wilders als zweitstärkste Kraft mit vier Sitzen rechnen.

In Ungarn kam die rechtsextreme Jobbik (Die Besseren) auf 14,7 %, die rumänischen Ultranationalisten schafften sieben %.

In Dänemark steigerte die rechtspopulistische DVP ihren Stimmenanteil von 6,8 auf 15,1 %. In Irland allerdings kam die EU-feindliche Libertas auf nur 5,6 %.

In Griechenland erreichte die rechtsextreme Bewegung LAOS mit einer Steigerung von fast drei % und ein Ergebnis von zwei Sitzen.

Die Linke muss zurückstecken

Die europäische nicht-sozialdemokratische Linke geht aus dieser EP-Wahl nicht als Sieger hervor. Die Ergebnisse insbesondere in Italien, aus dem künftig kein Mitglied mehr in der Linksfraktion vertreten sein wird, und das weiterhin schwache Abschneiden in Osteuropa führen zu einer Schwächung der Linksfraktion im kommenden Europa-Parlament.

Andererseits sind auch positive Ergebnisse in vier Ländern vorweisen – wenngleich die Erwartungen in vielen Ländern deutlich höher gespannt waren: in Spanien, Frankreich, Portugal und Deutschland konnten die Mitgliedsparteien der Europäischen Linkspartei bzw. Wahlbündnisse mit EL-Parteien ihre Ergebnisse verbessern.

Ergebnisse der EP-Wahl in Deutschland

Das Interesse an der Europawahl 2009 war in Deutschland stabil niedrig. Aufgrund der in einigen Bundesländern zeitgleich stattfindenden Kommunalwahlen lag die Wahlbeteiligung geringfügig höher als 2004. Sie hat offensichtlich dazu beigetragen, die Verluste der CDU zu erhöhen. Generell verlor sie in den Kommunalwahlländern stärker als im Durchschnitt.

Die Union ist der Wahlverlierer des Abends. Sie verlor 6,6% Stimmenanteile bzw. 13,2% ihrer Wählerschaft von 2004 und sieben Mandate.

Die SPD ist der Nichtsieger des Abends. In den Vorwahlumfragen deutlich höher gehandelt, gewann sie keine Stimmenanteile hinzu, verlor nochmals 0,7% und erreichte einen historischen Tiefstand bei bundesweiten Wahlen. Die SPD konnte nicht beweisen, dass das schlechte Ergebnis von 2004 ein Ausrutscher war. Sie hat eine deutlich und offensichtlich dauerhaft abgeschmolzene Stammwählerschaft, etwa ein Drittel der Wählerinnen und Wähler bei der letzten Bundestagswahl. Der überwiegende Teil der sozialdemokratischen Anhängerschaft will offensichtlich von Wahl zu Wahl immer wieder neu mobilisiert werden, bleibt ansonsten den Wahlurnen fern. Anders noch als 2005 verfügt die SPD für die kommenden Bundestagswahlen über keine vergleichbare Zuspitzungsmöglichkeit. Sie stellt den Kanzler nicht, und ihr Kandidat kann nach diesem Wahlergebnis und den wenig glaubhaften Koalitionsmöglichkeiten nicht mehr als Konkurrent auf Augenhöhe für die Kanzlerin dargestellt werden. Als wenig erfolgreich hat sich das negative campaigning auf den Wahlplakaten erwiesen. Offensichtlich sorgten die drei Plakate für so viel Aufsehen, dass darüber die spätere positive Wahlwerbung der SPD nicht mehr durchdrang. Eine Aufholjagd, wie sie 2005 Schröder gelang, traut der SPD niemand zu, die Rückwirkungen dieser Wahlniederlage in die Mobilisierungsbereitschaft werden sich in den kommenden Wochen erst noch zeigen.

Die FDP ist zweifellos Gewinnerin des Wahltages. Sie profitiert von den Verlusten der CDU. Sie gewinnt 4,9% und fünf Mandate hinzu. Es gelingt ihr wirtschaftsliberale Wähler und Wählerinnen von der CDU zu gewinnen. Wie DIE LINKE bleibt sie bei Europawahlen hinter ihren Umfrageergebnissen zurück, während die Grünen als dritte Oppositionspartei eher über ihren Umfragewerten liegen.

LINKE und Grüne sind die kleinen Gewinner des Wahltages. Sie gewinnen jeweils ein Mandat hinzu.

Für DIE LINKE ist es ihr erstes echtes bundesweites Wahlergebnis. Bestätigt wurde, dass sich durch die Vereinigung von PDS und WASG das Verhältnis zwischen West- und Oststimmen von zwei zu acht auf über vier zu unter sechs verändert hat.

Bundespolitisch erhalten durch die EP-Wahl die Wetten auf einen Sieg einer schwarz-gelben Option bei der Bundestagswahlen schlechtere Quoten. CDU und FDP erhielten zusammen immerhin fast 49% der Stimmen, die anderen drei Parteien kamen zusammen auf gerade 40,4% der Stimmen. Für jede Alternative zur CDU-Kanzlerin erweist sich die SPD als zu schwach.

Die Bedeutung der EP-Wahl für den Ausgang der Bundestagswahl besteht vor allem in einer Art Zustandsbeschreibung der Parteien. Was schaffen sie wenn es nicht darum, eine nationale Regierung und eine Regierungskonstellation zu wählen, was schaffen sie als für sich? Wie ist es um die Mobilisierungsfähigkeit der Themen und der Kampagne bestellt?


[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,629070,00.html


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